Wenn Fußballer die Welt verbessern wollen, wird es gefährlich – deshalb stoppt die Deutsche Fußball-Liga (DFL) Grußbotschaften.

Stuttgart - Wer heutzutage eine gewagte politische Grußbotschaft loswerden will, muss höllisch aufpassen, dass sie ihm nicht im verkehrten Moment über die Lippen kommt – weil er sich sonst das Maul verbrennt.

 

Unübertroffen bleibt diesbezüglich Ronald Reagan, der als US-Präsident anno 1984 anlässlich eines Radiointerviews verkündete: „Liebe Landsleute, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass ich heute ein Gesetz unterzeichnet habe, das die Russen für vogelfrei erklärt – wir beginnen in fünf Minuten mit der Bombardierung.“

Ist unser Cowboy jetzt vollends verrückt geworden, dachten im ersten Schreck Scharen von Amerikanern, und ungekämmt und unrasiert haben sie hastig das Nötigste zusammengerafft und Hals über Kopf die Flucht in den nächstbesten atomraketensicheren Luftschutzbunker angetreten – fast 30 Jahre später können wir erleichtert darüber lachen, im Wissen, dass Moskau noch steht und überhaupt alles halb so wild war: Reagan konnte beim Warmreden ja nicht ahnen, dass er längst auf Sendung war.

Barack Obama nennt Benjamin Netanjahu einen „Lügner“

Das passiert US-Präsidenten übrigens häufiger, als wir alle denken. Auch George W. Bush ist bei der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit gelegentlich schonungslos das Wort „Scheiße“ oder an guten Tagen gegenüber einem Interviewer sogar unverblümt das Kompliment „Riesenarschloch“ entrutscht – und als Barack Obama beim Zwiegespräch mit Nicolas Sarkozy den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu als „Lügner“ beschimpfte, hätte er auch nicht daran gedacht, dass ihn dabei einer belauscht.

Wenn man die Dinge unter dem Gesichtspunkt des Sports betrachtet, ist die Lage allerdings kein bisschen erfreulicher, auch da wird der Absonderer wichtiger Botschaften oft auf dem falschen Fuß erwischt. Luis Aragonés verflucht sich vermutlich bis heute dafür, dass er sich als Nationaltrainer der spanischen Europameister von 2008 aus der Politik nicht heraushielt, sondern seinen damals beim FC Arsenal beschäftigten Stürmer José Antonio Reyes für den dortigen Konkurrenzkampf gegen Thierry Henry mit dem zündenden, aber dummerweise von den falschen Ohren mitgehörten Rat motivierte: „Sag dem Neger, dass du besser bist als er.“

Dumm gelaufen. Noch dümmer ist freilich, wenn man einen fragwürdigen Gruß bei vollem Bewusstsein in aller Öffentlichkeit zum Besten gibt – und Sie können ziemlich sicher davon ausgehen, dass auch in dem Fall ein Fußballer dahintersteckt. Diese Kicker haben ja nicht viel zu tun, und wenn der Tag lang genug ist, zerbrechen sich viele den Kopf, wie sie der Politik auf die Sprünge helfen und die Welt verbessern können – und es kommt dann schnell zu einem Missverständnis wie jüngst in Nürnberg.

Mandzukic reist auffallend demonstrativ den Arm hoch

Dort hat Mario Mandzukic am vergangenen Samstag für den FC Bayern das 1:0 geschossen, und der Kroate jubelte, indem er den Arm auffallend demonstrativ hochriss – worauf sich sein Mitspieler Xherdan Shaqiri, ein Schweizer mit Kosovowurzeln, dem zackigen Salut begeistert anschloss. Hin und her haben alle überlegt, was diese Handbewegungen zu bedeuten haben, doch für alle Tschetniks, wie man die serbischen Freischärler aus dem Balkankrieg nennt, war sofort klar: Der Salut von Mandzukic und Shaqiri galt den kroatischen Generälen Gotovina und Markac – tags zuvor waren sie vom UN-Kriegsverbrechertribunal in zweiter Instanz freigesprochen worden.

Eine Jubelgeste als Glückwunsch? Ach was, Humbug, papperlapapp, winkte Mandzukic ab, das war nur ein harmloser Gruß in die Kurve, „zu unseren Fans“. Wir erinnern uns jetzt an Paolo di Canio. Der Torjäger von Lazio Rom grüßte immer die Fankurve, altitalienisch – wobei die Ähnlichkeit zum erhobenen Duce-Arm durchaus gewollt war. Wenn Torjäger sich politisch aus dem Fenster lehnen, kann das im Einzelfall durchaus wichtig und ein Zeichen herausragender Mündigkeit sein – aber mitunter geht der Schuss halt auch ins Knie oder in die Hose, und die bunte Welt des Sports kennt da viele Beispiele. Richard Williams etwa, der für seinen Redefluss gefürchtete Vater der tennisspielenden Williams-Schwestern, gab einer indischen Zeitung einmal ein rassiges Interview, und das Überdruckventil auf dem Dampfkessel der Williamsbirne muss höllisch gepfiffen haben, als er loslegte: „Der weiße Mann hat mich mein Leben lang gehasst, und ich hasse ihn. Nie sind Venus und Serena akzeptiert worden. Aber wenn man in Amerika ein paar kleine weiße Nieten hat, die keinen Ball richtig schlagen können, wird das als großartig betrachtet.“

Die Forschung versucht seitdem herauszukriegen, ob diese Farbenlehre die Welt wirklich weitergebracht hat – oder ob es eher ausgeht wie bei Englands altem Idol Paul („Gazza“) Gascoigne, der sich vor wichtigen Spielen früher gerne mit einem Stahlhelm unter der Schlagzeile ablichten ließ: „Wir erklären Deutschland den Fußballkrieg.“

SA-Hymne mit Nationalhymne verwechselt

Jedem Rottweiler steht heutzutage gesetzlich ein Maulkorb zu, der ihn kontrolliert kläffen lässt – aber die Kicker werden zügellos an der langen Leine allein gelassen mit den verwegensten politischen Botschaften. In Australien kreuzte André Gumprecht, Ex-Profi von Bayer Leverkusen, beim Kostümball seines Clubs Central Coast Mariners einmal im Braunhemd und mit aufgeklebtem Bärtchen als Adolf Hitler auf – wesentlich komischer war auch der Kölner Boxwitzbold Peter („de Aap“) Müller nicht, als er kurz nach dem Krieg in einem US-Ring mit der Mundharmonika das Horst-Wessel-Lied vortrug („Die Fahne hoch“), weil er die SA-Hymne für die deutsche Nationalhymne hielt.

So ist das manchmal, wenn Sportler das Wasser nicht halten können und sich in die Politik vergaloppieren, jedenfalls hat der deutsche Fußball auf das Nürnberger Vorkommnis sicherheitshalber sofort reagiert. Seit im Sommer dem DFB-Co-Trainer Hansi Flick im historisch nicht ganz unbelasteten Danzig vor einem EM-Spiel die aus polnischer Sicht etwas gellende Devise „Stahlhelm auf!“ entfuhr, ist der Kontrollausschuss offenbar sportpolitisch sensibilisiert – und nicht willens, auf der Bühne der Bundesliga die Wiederaufnahme des Balkankriegs und der Kosovofrage zuzulassen, womöglich noch mit Verlängerung, Nachspielzeit und Elfmeterschießen.

Die zwei Bayern sind jedenfalls brieflich und unverzüglich um geeignetere Jubelformen gebeten worden, und für Xherdan Shaqiri ist, wenn wir ihn richtig verstehen, die Sache damit erledigt: Was für ihn zählt, ist der Ball, nicht der Balkan. Er wisse„nichts von den dortigen politischen Verhältnissen“, sagt er und gibt sich doppelt so ahnungslos, wie er womöglich ist – was aber nur halb so schlimm ist wie die Versuchung anderer Sportler, mit scheppernden Botschaften als Hilfspolitiker die Welt zu befrieden.