Der VfB trifft am Freitag auf Heidenheim. Wir wissen aber schon jetzt, wie das schwäbische Derby ausgeht. Eine Kolumne von Oskar Beck.

Stuttgart - Morgen empfängt der VfB die Heidenheimer, aber als anspruchsvolle Leser können Sie von einer Zeitung wie der hier erwarten, dass Sie schon heute brühwarm erfahren, wie die große Schwabenschlacht ausgeht. Wir haben lange überlegt, ob wir zu einem Hellseher rennen, durch die Glaskugel schauen, dem VfB die Karten legen, den Ostälblern aus der Hand lesen oder die Experten Scholl und Kahn befragen, aber das wäre hinausgeschmissenes Geld – jedenfalls ist mein Altherrenstammtisch dann auf eine bessere Idee gekommen.

 

„Lass es uns ausspielen“, sagte Helmut Dietterle.

„Die schießen wir weg“, sagte Karl Allgöwer.

„Ich bin der Schiedsrichter“, sagte ich.

Ein kurzes Telefonat noch, dann war alles klar, das Shoot-out stand, das Duell war besiegelt, kleine Bälle, Doppel. „Wir kommen“, sagte Frank Schmidt.

Ein paar Tage später. Tennisclub Aalen-Waldhausen. Zwei Uhr mittags. Als der Altinternationale Allgöwer und der Schiedsrichter nach mühsamer und mit kraftraubenden Umleitungen gepflasterter Anreise eintreffen, schlagen sich die Lokalmatadoren schon warm. Genau gesagt schlagen Frank Schmidt, der Trainer des 1. FC Heidenheim, und sein Assistent Christian Gmünder dem armen Dietterle die Bälle um die Ohren.

„Die haben heimlich trainiert“, ahnt der VfB-Veteran.

Die Heidenheimer brennen. Sie wollen, vom Ehrgeiz sichtlich zerfressen, dem VfB-Granden die Stirn bieten, keinerlei Respekt lassen sie sich anmerken vor dem als „Wasen-Karle“ bekannten Ex-Vizeweltmeister Allgöwer und dem Bundesliga-Kämpen Dietterle, der in den 70er Jahren beim VfB mit dem Satz Aufruhr verursachte: „Wenn du mit Dieter Hoeneß Doppelpass spielen willst, musst du ihn anschießen.“ Jetzt spielt er Doppel, gegen Heidenheim. Damit alles seinen geregelten Gang geht, klettere ich auf den Stuhl und gebe von oben herab die Regeln bekannt: „Der Schiedsrichter hat hier das Sagen, darf aber im Zweifelsfall unflätig beleidigt werden.“

Es ist im Sinne aller, und es geht los. Service Schmidt. Er ist ein Mann wie ein Baum, einsneunzig, und sofort ist klar: Wenn sein krachender Aufschlag kommt, müssen die VfB-Oldies sich anschnallen. Aber er kommt nicht, das Netz ist zu hoch. 0:15, 0:30, 0:40, Spiel VfB, 0:1. „Tennis ist ein Fehlersport“, flucht Schmidt. Um ihn aus seinen nagenden Selbstzweifeln zu reißen und auf andere Gedanken zu bringen, rufe ich geistesgegenwärtig die Botschaft vom Stuhl: „Aufschlag Knallgöwer.“

Es ist, wie sich sofort herausstellt, keine leere Drohung. Allgöwers rechte Klebe kommt immer noch, nur nimmt er als Abschussrampe halt nicht mehr den Fuß, sondern den Arm. Wer darüber mehr wissen will, kann beim TV Geislingen anrufen, das ist sein Tennisclub, und bei den Senioren Ü 40 zittern sie vor ihrem Kanonen-Karl, dabei wird er demnächst 60.

Spiel VfB, 0:2.

„Blamier ons net, Helmut!“

„Chris, wir müssen punkten“, sagt Schmidt und staucht sich und seinen Co-Trainer zusammen. Dabei gibt der alles, laufstark sorgt Gmünder für zwei bis drei packende Ballwechsel und hebt das Spiel auf ein Niveau, dass es plötzlich sogar Publikum anlockt. Ein Fahrrad nähert sich, eine Frau steigt ab, und Dietterle, sichtlich motiviert, gelingt im nächsten Moment ein unfassbarer Volley, longline. „Das ist meine Frau“, sagt er. „Blamier ons net, Helmut!“, klatscht Jutta Dietterle und peitscht ihn nach vorn.

0:3. Für die Heidenheimer ist das jetzt ein Auswärtsspiel, das Publikum haben sie auch noch gegen sich. Aber wenigstens bleibt der Schiedsrichter neutral und erklärt zwei VfB-Bälle auf fragwürdige Art für aus. 1:3. Danach serviert wieder Schmidt, und man sieht ihm an: Diesen Aufschlag gibt er nicht ab, nicht ums Verrecken. „Auf jetzt!“, feuert er sich an und zeigt große Gefühle, wie im Kino. Schmidt ist ja auch Filmstar. Vor drei Jahren war er Hauptdarsteller in der TV-Doku „Trainer!“, einer Langzeitbetrachtung dreier Trainer. Einer war Schmidt, und die aufwühlendste Szene war die, als er im Spiel gegen Preußen Münster zum Kollegen Pawel Dotschew fuchsteufelswild hinüberbrüllt: „Wen nennst du hier Labertasche?“ Man legt sich besser nicht mit ihm an. Aber vor allem kriegt ihn keiner klein. Spiel Heidenheim, 2:3.

„Na also“, sagt Schmidt. Wegen dieses wilden Willens und des dazugehörigen Bisses wollte ihn letztes Jahr, nach Zornigers Scheitern, der VfB holen, aber die Heidenheimer sagten bockig: „Unverkäuflich.“ Sie wissen, was sie an Schmidt haben. Der Satz geht trotzdem verloren. 2:6.

Pause.

Schmidt ist ein zäher Hund

„Pass auf, Karl“, warnt Dietterle, „lass dich nicht einlullen.“ Er traut dem Braten noch nicht. Er kennt seinen Schmidt. Das ist kein Schmidtchen, sondern ein zäher Hund, den man umbringen muss, um ihn zu besiegen. Ein geborener Heidenheimer halt. Als Dietterle dort Trainer war, stieg er mit dem Spieler Schmidt in die Oberliga auf. Ein Sechser war Schmidt, oder Libero vor der Abwehr – und am 14. August 1994 hat er als Haudegen des TSV Vestenbergsgreuth den FC Bayern in ein 0:1 und in die Pokalsensation des Jahrhunderts getrieben. Wer Matthäus und Scholl stoppt, kann auch Allgöwer/Dietterle bremsen.

2:4 steht es im zweiten Satz zwar schnell wieder, aber mit dem Rücken zur Wand bittet Heidenheim zum zähen Kampf, ohne Rücksicht auf den Verschleiß von Mensch und Material. „Stop“, ruft Schmidt. Saite gerissen. Die Nerven sind genauso gespannt, das ist jetzt Derbyatmosphäre wie bei Real gegen Atletico, Schalke gegen Dortmund oder Bastia gegen Ajaccio. Keinen Meter Boden geben die Heidenheimer gegen die alten VfB-Kanonen mehr preis, sie wehren sich mit dem offenen Messer in der Tasche, und ohne die Besonnenheit des überragenden Schiedsrichters hätten wir hier jetzt ganz schnell überhitzte Gemüter.

Sieg für den Ball-im-Spiel-Halter

„Chris, halt durch“, schreit der Motivator Schmidt seinen Mitspieler an, „wir wachsen hier nicht seit fünf Minuten über uns hinaus, um am Ende dieses Spiel doch zu verlieren.“ 3:4, Heidenheim verkürzt und schnuppert plötzlich an der Wende zum Wunder. Das sachverständige Publikum ist von den Socken, offener Szenenapplaus von Jutta Dietterle. Aber dann schlägt ihr Mann eiskalt zu, wie ihn seine Tenniskumpels beim TSV Wasseralfingen kennen. „Ich bin“, sagt Dietterle, „ein Ball-im-Spiel-Halter. Ich warte auf die Fehler der anderen.“

6:3. Spiel, Satz und Sieg VfB.

Frank Schmidt verlangt schon auf dem Weg zum Netz lautstark eine Revanche. Aber mit einem Männerhandschlag akzeptiert er die Niederlage und zieht mit dem großen Besen den Platz ab, wie es sich für schwer Geschlagene gehört. „Wir VfBler mögen anständige Verlierer“, lobt ihn Karl Allgöwer – und freut sich auf Freitagabend.