Auf Franz Beckenbauer, die einstige Lichtgestalt des deutschen Fußballs, kommen heikle Wochen zu – sie könnten den Weltmeister als Fußballer und Trainer mehr kosten als 7000 Schweizer Franken.

Stuttgart - Man kann über Horst Heldt sagen, was man will, aber den Zustand des Sports hat der Schalker Bundesligamanager präzise charakterisiert – als von der Fifa irgendein neuer Vorschlag kam, staunte er: „Sind die nicht alle im Gefängnis?“

 

Gefängnis ist im Sport das Wort des Jahres, vor Razzia, Korruption und Geldwäsche. Bei den Schimpfworten liegen so grässliche Ausdrücke wie Platini, Diack, Niersbach, Putin, Zwanziger, Netzer oder Jack Warner weit vorne – und wer einen richtig beleidigen will, nennt ihn Blatter.

Wann stößt der Name Beckenbauer dazu?

Majestätsbeleidigung hin, Denkmalschändung her, leider müssen wir die widerwärtige Frage stellen, denn über unserer Lichtgestalt ziehen finstere Wolken auf. Dieser Tage hat sich die Ethikkommission der Fifa den Franz schon einmal vorgeknöpft „wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft“ – böse Zungen behaupten, er habe sich zu zaghaft der Frage gestellt, wie er als Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees bei der Vergabe der WM 2022 (an Katar) und der WM 2018 (an Russland) abgestimmt hat, oder warum ihn kurz danach der Verband russischer Gasproduzenten zum „Weltbotschafter“ ernannte. Die Fifa hat Beckenbauer dafür schon 2014 einmal kurz suspendiert, was ihn den WM-Trip nach Rio kostete, und jetzt muss er zur Strafe auch noch 7000 Schweizer Franken blechen.

Gute Freunde sammeln für Beckenbauer bereits

Dafür muss eine alte Oma lang stricken, und damit der Franz nicht mittellos unter einer Isar-Brücke landet, gehen seine engsten Freunde angeblich bereits mit dem Hut für ihn sammeln. Die Hartherzigen unter uns halten das eher für übertrieben und argwöhnen: Beugen die Freunde vom Franz womöglich vor, ist da Schlimmeres im Busch – ist dieses Trinkgeld, das ihm die Fifa abknöpft, nur die Ruhe vor dem Sturm?

Ein Gewitter droht, mit Donner und Hagelschlag, und es geht dann nicht mehr um Peanuts. Am 4. März veröffentlicht die Kanzlei Freshields die Ergebnisse ihrer Ermittlungen zum Erwerb des WM-Sommermärchens 2006 sowie der berühmt-berüchtigten und spurlos verschollenen 6,7 Millionen Euro. Der DFB hat sicherheitshalber schon einmal Schadenersatzforderungen in die Wege geleitet, bevor ein etwaiges schuldhaftes Handeln womöglich verjährt. Jeder aufrechte Bewunderer unseres bayerischen Ballzauberers wälzt sich an der Stelle schweißgebadet im Schlaf, und noch etliche Generationen nach uns werden sich Haare raufend seinen mit dem Außenrist geschlenzten Satz auf der Zunge zergehen lassen: „Ich hab’ alles blind unterschrieben.“

Man kann dem Franz im Grunde nicht böse sein, so war sein ganzes Leben ein Kinderspiel, und kaisertreu hat sogar die Polizei gelegentlich weggeschaut. Vor Jahren fuhr er einmal zu rasant Auto, aber geblendet vom Leuchtschweif der Lichtgestalt ließen zwei Münchner Wachtmeister den Strafzettel verschwinden und wurden wegen Urkundenfälschung aus dem Staatsdienst entlassen und zu Bewährungsstrafen verurteilt. Alles haben wir dem Franz durchgelassen, sogar einen papageibunten Sakko an seinem Geburtstag, eine derbe Schiedsrichterbeleidigung („Du Plattfuß-Indianer!“), oder dass er auch in puncto Libido ein freilaufender Libero war. Mit 17 wurde er erstmals Vater, und als er während einer Weihnachtsfeier des FC Bayern später eine Sekretärin der Geschäftsstelle schwängerte, sagte er: „Der liebe Gott freut sich über jedes Kind.“

Beckenbauer durfte Dinge sagen, die für andere tabu waren

Ach, unser wilder Kaiser. Was haben wir uns auf die Schenkel geklopft. Fünfzig Jahre lang war er die erste und letzte Instanz im Lande und unser Unsterblichster in der Göttergalerie, und wenn er sich die EU zur Brust nahm („In Brüssel sitzen nur gescheiterte Existenzen, die von ihren Regierungen davongejagt wurden – der größte Nietenverein Europas“), haben wir alle genickt. Beckenbauer durfte Dinge sagen, für die jeder andere Franz als Firlefranz entmündigt worden wäre und die den früheren Fifa-Medienchef Guido Tognoni einmal in die verzweifelte Bitte trieben: „Entfliehe dem Tagesgeschäft, geh auf den Golfplatz, segle um die Welt, buche eine Fahrt auf den Mond.“ Hat der Kaiser für das alles schon demnächst Zeit? „Er könnte Regierungen stürzen“, hat der Wiener Aktionskünstler Andre Heller („Zirkus Roncalli“) einst gesagt, aber jetzt stürzt er eher sich selbst.

Der Wind dreht, er pfeift von vorne. „Wie steht der deutsche Fußball zu Beckenbauer?“, hat die „Bild“-Zeitung getitelt – wenn sogar seine dortigen Freunde ihren Kolumnisten beim Nachnamen nennen, heißt das nichts Gutes. Seine „Bild“-Kolumne ruht, und vorbei sind die ungetrübten Zeiten, als er sich mit „Gute Freunde kann niemand trennen“ in die Hitparade sang.

Die Freunde werden weniger, auf jeden Fall aber lassen sie nach – und falls das Sommermärchen 2006 demnächst als Winteralbtraum 2016 endet und der Freshfields-Bericht unsere Bundesrepublik als Bananenrepublik entlarvt, könnte das die Staatsanwaltschaft Frankfurt bei ihren Ermittlungen heftig motivieren. Auch die Fifa-Ethikkommission droht für den Fall mit ihrem Wiedereinstieg, und es könnte Beckenbauer am Ende über die 7000 Schweizer Franken hinaus Kopf und Kragen kosten, mindestens aber den Kaisertitel.

„Das Kaiserreich“, hat der Leitartikler des Fachblatts „Kicker“ uns Deutschen bereits beigebracht, „ist zu Ende.“

Kaiser Wilhelm II. winkt zu Ehren von Max Schmeling

So war es schon bei Kaiser Wilhelm. Der musste 1918 abdanken und ins Exil nach Holland, in die Residenz Doorn. Dort ist Max Schmeling im Juni 1936 bei der Heimkehr aus New York von seinem Jahrhundertsieg gegen Joe Louis mit dem Luftschiff „Hindenburg“ drübergeflogen und hat in seinen Memoiren später hinterlassen, wie der Kapitän plötzlich die Bugnase drückte: „Wir flogen sehr niedrig, und aus der Gondel beobachteten wir, wie Wilhelm II. im Garten stand und seinen Hut mit weitausholenden Armbewegungen zu uns heraufschwenkte.“

Achtzig Jahre später könnte die Geschichte sich wiederholen. Wir sehen die gefühlsstarken Bilder schon vor uns, wie unsere Helden nächsten Juli auf dem Heimflug vom EM-Finale in Paris mit dem Zeppelin eine Schleife über das Kaiserexil in Salzburg fliegen, vom Garten wedelt der Franz mit dem Hut zu den Europameistern hinauf – und in der Gondel sagt Jogi Löw wehmütig zu Leroy Sané: „Bub, guck, der da unten war unser letzter Kaiser.“