Der Jugendwahn führt zur Altersdiskriminierung. Gerade kann dieses Phänomen im Sport beobachtet werden: Rücktritte von Michael Schumacher und Michael Ballack wurden verkündet. Eine Kolumne von Oskar Beck.

Stuttgart - Unter dem Druck des Jugendwahns treibt der Sport seine alten Kanonen zurzeit vor sich her und scharenweise in den Zwangsrücktritt. Binnen weniger Tage haben sich Michael Schumacher und Michael Ballack ins Privatleben verabschiedet – aber diese Entwicklung war schon abzusehen, als „Bild“ im September mit der Schreckensmeldung erschien: „Waldi Hartmann weg vom Schirm!“ Wir alten Dackel haben keine Lobby mehr.

 

Aber schuld sind wir selbst. Trau keinem über 30, haben wir als militante 68er in unserem jugendlichen Leichtsinn durch die Megafone skandiert, und nun haben wir den Salat. Mercedes will Schumi nicht mehr, die ARD pfeift auf Waldi, und in Amerika heißt es: Wir wissen zwar nicht, dass der Ball rund ist – aber Ballack ist jedenfalls zu alt. Notgedrungen hat der deshalb jetzt aufgehört und verraten: „Ich versuche mein Leben zu genießen und mich an die neue Situation zu gewöhnen.“

Frühreife Gesellschaft des Jugendwahns

Oder hat es Schumi gesagt? So oder so, diese neue Situation sieht folgendermaßen aus: Sobald du als Capitano oder im Cockpit heutzutage 98 Länderspiele auf dem Buckel oder 91 Formel-1-Rennen gewonnen hast, sägt dir die frühreife Gesellschaft des Jugendwahns die Beine auf und zählt die Jahresringe – und wehe, du bist dann 36 oder gar 43, sogleich ist das Urteil gefällt: rostet, riecht ranzig, schimmelt. Danach bleibt dir entweder noch a) eine Kreuzfahrt durch die Karibik, b) die heimische Rosenzucht oder c) das tägliche Gassiführen des Hundes.

Michael Schumacher wollte sich als siebenmaliger Weltmeister und amtlich anerkannter bester Autofahrer aller Zeiten als Stern auf der Kühlerhaube eigentlich noch einen Bewährungsaufschub genehmigen – aber dann hat er neulich in Singapur im Sekundenschlaf einen kleinen Auffahrunfall gebaut. Prompt hieß es, er brauche jetzt eine Brille. Und die Silberpfeil-Legende Juan Manuel Fangio wurde aus dem Grab heraus sogar noch mit dem lästerlichen Satz zitiert: „Eines der besten Mittel gegen das Altwerden ist das Dösen am Steuer eines fahrenden Autos.“ Das wollte sich Schumi nicht mehr antun, mit dem Rücktritt hat er sich dem Willen des Zeitgeists gebeugt: Verfallsdatum überschritten.

Vom Rad der Zeit überrollt

So ein Boxenstopp aus unfreien Stücken tut weh. „Plötzlich bist du zu alt“, das hat Waldi gebellt, als er vom Rad der Zeit überrollt wurde. Nach 34 Jahren zog die ARD jäh den Stecker, obwohl der Weggetretene eisern behauptet: „Ich bin körperlich und geistig noch voll auf der Höhe.“ Was ihm als Altersschwäche ausgelegt wurde? Womöglich war es jener unselige Abend, als der Reporter Hartmann am Boxring den viel zu früh verstorbenen einstigen Ali-Gegner Jürgen Blin betrauerte, worauf der Tote anderntags aus seinem Hamburger Wirtshaus anrief und fuchsteufelswild verlangte: „Ich fordere eine Richtigstellung in der ,Tagesschau‘.“

Seither sieht Waldi alt aus. Der Komödiant Atze Schröder hat sogar verlangt, Fifa-Chef Sepp Blatter müsse „zu mindestens fünfmal ,Waldis WM-Club‘ verdonnert werden“, also zur Höchststrafe. Doch die wurde stattdessen dann gegen Hartmann verhängt, aus Altersgründen, „und das“, beschwert er sich, „obwohl wir über die Rente mit 67 reden“. Das Wort Altersdiskriminierung nimmt Waldi in einer Schärfe in den Mund, wie man das seit den vergleichbaren Härtefällen Karl Moik („Musikantenstadl“) und Dieter-Thomas Heck („Melodien für Millionen“) nicht mehr erlebt hat – und entrüstet sucht er jetzt nach einem Sender, der einen „rüstigen Jungsenior“ (Waldi über Hartmann) noch mit Kusshand nimmt.

Er sollte Max Schautzer anrufen. Der war als Moderator von „Pleiten, Pech und Pannen“ für jede Topquote gut, über Nacht aber auch zu alt. Darauf schrieb er als „Robin Hood der Rentner“ („Bild“) ein Buch gegen den Jugendwahn und kündigt seit Jahren die Gründung eines TV-Kanals für die Zielgruppe „40 plus“ an. Sobald sich ein Investor findet, will Schautzer täglich zwölf Stunden senden, mit altbekannten TV-Gesichtern und viel zu früh abgelegten Publikumslieblingen – man könnte sich in Sachen Hartmann also gut einen täglichen Frühschoppen à la „Waldis Club“ vorstellen, in Form des Gedankenaustauschs etwa zum Für und Wider des künstlichen Hüftgelenks oder nächtlichen Harndrangs.

„Ich habe 13 Punkte in Flensburg“

Als „Sprachrohr einer vernachlässigten Generation“ versteht sich Schautzer – und es soll ihm bloß keiner erzählen, dass Schumi mit 43 fürs Autofahren zu tütelig ist, dem fühlt er sofort den Puls. Denn Schautzer selbst rast als strammer Max wie der Henker, hat Angst um seinen Führerschein und unlängst vermeldet: „Ich habe 13 Punkte in Flensburg.“ Da hat einer den Knüppel noch in der Hand und den Fuß auf dem Gas – und das mit 72.

Wann wird man als Kanone zu alt? Eine Zeit lang sah es so aus, als könne die Latte auf großzügige 108 Jahre hochgelegt werden, denn Johannes Heesters schlug sich in dem Alter auf der Bühne noch tapfer – bis er dann in einem Interview auf die Frage nach Hitler meinte: „Ein Kerl war er, ein guter Kerl.“ Mit 108, heißt es seither, sollte man langsam ans Aufhören denken.

Aber Schumacher? Ballack? Waldi? Speziell Letzterer sieht sich als Opfer des blinden Jugendwahns – „das ist ein Schlag ins Gesicht aller über 60-Jährigen“, wettert er so kraftvoll, wie das normalerweise nur einer schafft, der morgens als Erstes 30 Liegestütze auf einem Arm macht und gleichzeitig mit dem anderen ein Glas Tomatensaft mit drei rohen Eiern stemmt.

Wir wollen es nicht beschreien – aber womöglich hätte er seine Altherrenwitze aus Waldis Club auch mit 108 und mit Holzfuß noch hingekriegt.