Der Pakt mit Putin zahlt sich aus – der Kremlchef schlägt den Fifa-Chef für den Friedensnobelpreis vor. Ein klarer Fall für unseren Kolumnisten Oskar Beck.

Stuttgart - Gott sei dank, Sepp Blatter reist wieder. Als der Fifa-Chef neulich die Frauen-WM in Kanada mied, waren viele besorgt, dass er womöglich die Schweiz nie mehr verlässt – jedenfalls nicht dorthin, wo ihm passieren könnte, was sich der britische Fifa-Enthüller Andrew Jennings neulich so wünschte: „An der Straße hält plötzlich ein Polizeiauto, und der Sheriff sagt: Steigen Sie ein, Herr Blatter.“

 

In St. Petersburg droht ihm das nicht. Dort ist Blatter fast Staatsgast. Dort rollt ihm Wladimir Putin den roten Teppich aus, empfängt ihn im prunkvollen Konstantinpalast und schwört ihm, dass er ihn an keinen ausliefert, schon gar nicht ans FBI, und Blatter dankt es ihm mit tätschelnder Zuneigung, inniger Umarmung und dem warmen Wort: „Wir sagen Ja zu Russland.“

Wir – das ist er. Dieser arme alte Mann sagt vermutlich zu allem und jedem Ja, der ihn noch liebt und stützt. Und wo andere Blatters ausgestreckte Hand nur noch mit der Beißzange anpacken, packt Putin zu. Auf Höhe des Oberbauchs haben die beiden sich dieser Tage feste die Hand gedrückt, ach was: die Faust haben sie sich gegeben, dass die bösen Zungen unter den Belesenen spontan von Goethes Faust sprachen – oder gar von Oscar Wildes Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“. Der Hauptdarsteller, reich, schön, maßlos und dekadent, verkauft sich da an den Teufel, der ihm darauf alle Wünsche erfüllt – und nur sein Porträt altern lässt, während Gray die ewige Jugend erlangt.

Blatter würde alles tun für die Macht

Was würde Blatter tun für die ewige Macht? Es gibt niederträchtige Lästergoschen, die aus St. Petersburg berichten, er habe Putin den Puderzucker hinten reingeblasen und sei auch noch hinterhergekrochen. Sicher ist, dass sich der Fifa-Weltpolitiker beim russischen WM-Politiker mit dem Satz bedankte: „Der Fußball trägt zum Frieden bei.“ Dass Putin unter Umständen auch anderweitig zum Frieden beitragen könnte, ist dem 79-Jährigen während seiner Rede bei der Loszeremonie für die WM-Qualifikation womöglich aus Altersgründen entfallen – und auch Hulk hat er in seiner Vorfreude auf die ungetrübte russische WM nicht weiter erwähnt. Der Brasilianer in Diensten von Zenit St. Petersburg war eigentlich als WM-Losfee vorgesehen, aber dann sagte er über den Rassismus in der russischen Liga: „Es ist eine Schande. So etwas geschieht beinahe in jedem Spiel. Wenn das in drei Jahren bei der WM auch passiert, wäre es hässlich und widerlich.“

Hulk ist als Losfee prompt kurzfristig ausgefallen, und für Blatter wurde es ein schöner Tag. „Er ist ein tapferer Mann“, lobte ihn Russlands WM-Cheforganisator Alexej Sorokin – womöglich gefällt ihm die mannhafte Art, mit der der Fifa-Chef zu verhindern versucht, dass die Schweizer Behörden bei ihren Ermittlungen bezüglich etwaiger Unregelmäßigkeiten bei der WM-Vergabe an Russland auf falsche Gedanken kommen.

Auch Putin mag Blatter. Im Schweizer Sender RTS hat er ihn jetzt aus Dankbarkeit für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen – denn so eine schöne Rede wie die von Blatter am Wochenende hat der Kremlchef nicht mehr gehört, seit ihn vor zwei Jahren Gerard Depardieu heiligsprach und ihn als Gutmensch mit Papst Johannes Paul II. verglich. Putin hatte dem französischen Kinohelden, der sich damals gebeutelt fühlte von den hohen Steuern zu Hause, Zuflucht gewährt, ihn samt Pass zum Wahlrussen befördert und zur Privataudienz in Sotschi am Schwarzen Meer empfangen – das russische Fernsehen übertrug Depardieu in Großaufnahme, er strahlte wie ein fettglänzendes Wienerwald-Hähnchen und herzte Putin wie jetzt Blatter Putin herzt.

Der Gazprom-Kanzler ist willkommen

Dieselbe Umarmung, derselbe Handschlag. Auch Putin braucht Freunde, er ist froh über jeden, fragen Sie Gerhard Schröder. „Da kommt ja mein Gazprom-Kanzler“, freut sich der Russe innerlich über den treuen Deutschen. Dieses Gefühl hat der Kremlchef jetzt auch beim Fifa-Chef, wenn der bei seinem Russlandplädoyer sagt: „Der Fußball baut Brücken. Der Fußball bringt Menschen zusammen.“ Menschen wie Blatter und Putin, die sich suchen und finden, weil sie Probleme haben mit dem Rest der Welt.

So war es immer. Die Einsamkeit zwingt zu pikanten Bündnissen von Menschen und Mächten, denken wir an Ben Johnson. Der Kanadier war der Schnellste der Welt, bis er 1988 im skandalösesten 100-Meter-Lauf des Jahrtausends gegen Carl Lewis als schamlos gedopter Schurke aufflog und von Wolke sieben ins Fegefeuer stürzte. Für Johnson begann, was er seine „Reise durch die Hölle“ nennt, in Freakshows rannte er gegen Pferde – für ein warmes Abendessen wäre er auch gegen den Teufel gelaufen. Warum, fragte sich der Ausgestoßene, soll ich mich dann nicht gleich an den Teufel verkaufen? Also hat er für den libyschen Despoten Muammar al-Gaddafi dessen Fußball spielenden Sohn al-Saadi trainiert.

Später stieß Diego Maradona dazu. Auch der Argentinier war ein Verbannter, bei der WM 1994 hatten sie den gedopten König des Fußballs vom Hof gejagt, und bitter antwortete er fortan auf die Frage, wer für ihn der größte Sportler der Welt sei: „Ben Johnson. Man hat auch ihn ins Unglück getrieben.“ Die beiden waren Brüder im Geiste und in der Isolation, Maradona engagierte Johnson als Fitnesstrainer, und gemeinsam trainierten sie dann den jungen Gaddafi. Von Fidel Castro bekam Maradona bei einer Entziehungskur in Kuba eine Revolutionsmütze, und in Venezuela rief er nach dem Ableben von Hugo Chavez Faust an Faust mit dessen Nachfolger Maduro in die Menschenmassen: „Che lebt! Der Kampf geht weiter!“

Der Basketballgott und der Diktator

So suchen und finden sie sich, die Außenseiter der Welt, verblüffende Allianzen werden geschmiedet. Die skurrilste Nummer gelang Dennis Rodman: Der ehemalige Basketballgott der Chicago Bulls geriet in die Sackgasse eines vom Wodka gesteuerten Lebens als schriller Gockel, war nicht mehr gesellschaftsfähig – und warf sich dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un an den Hals. „Er ist mein Freund fürs Leben“, verriet der Gockel über den Verrückten, der den USA an seinen weniger guten Tagen gerne mit nuklearer Vernichtung droht.

Viele werden sich jetzt fragen: Was haben diese Parias mit Sepp Blatter und Wladimir Putin zu tun?

Nichts.

Außer dass auch der Schweizer und der Russe sich über den Schellenkönig loben. Putin soll jetzt richtig gerührt gewesen sein wegen Blatters Rede, denn selbst ein prorussischer Separatist aus der Ostukraine hätte nicht viel blumiger sagen können, dass der Kremlchef mit seiner WM 2018 den ersehnten Frieden auf Erden stiften wird. „Russland“, so verspricht der Fifa-Präsident, „wird ein fantastischer Gastgeber sein.“ Für Blatter ist Russland das jetzt schon. Wenn nicht erstunken und erlogen ist, was man aus St. Petersburg hört, hat ihm Putin für den Rückflug gutes Wetter gewünscht – ohne Nebel, damit er nicht in Berlin oder sonstigem FBI-Territorium notlanden muss – und ihm zugeflüstert, dass ihm für das Exil der Konstantinpalast jederzeit offen steht. Dort darf Blatter dann Zar sein.