Mitte 30 statt Ende 50: Rotten die jungen Trainer die alten aus? Oder ist auch das wieder nur ein Trend, der kommt und geht?

Stuttgart - Der VfB hat diese Woche mit seinem Trainer Hannes Wolf um ein Jahr verlängert. Viele hatten drei Jahre erwartet, aber das wäre völlig daneben gewesen – denn am Ende des Vertrags wäre Wolf dann schon 40.

 

Also ein alter Sack.

Kein Verein, der mit der Zeit geht, will noch einen vierzigjährigen Trainer. Streng genommen ist Wolf schon jetzt zu alt, mit 36. Domenico Tedesco beispielsweise ist erst 31. Bevor den der FC Schalke 04 neulich verpflichtete, soll Manager Heidel als letzte Instanz seinen Abwehrchef Naldo gefragt haben: „Was meinst du, Naldo?“ Naldo, der 34-jährige Brasilianer, legte kurz die Stirn in Falten – sagte dann aber zur Erleichterung aller: „Okay, er darf mich duzen.“

Das ist der Trend: Ehe in der Bundesliga ein neuer Trainer verpflichtet wird, muss neuerdings der Ältestenrat in der Mannschaft befragt werden. Sechs Trainer in der neuen Saison sind unter 40, der Altersschnitt liegt bei 44,3 Jahren, und wer 50 ist, kann sich die Kugel geben, man hat es bei Martin Schmidt erlebt. „Wir brauchen neue Impulse“, haben sie beim FSV Mainz 05 erklärt. Offenbar schimmelt der Schweizer schon – jedenfalls wurde er durch den 38-jährigen Sandro Schwarz ersetzt.

Ganz Schalke lacht sich tot

Man kann zuschauen, wie die Trainer jede Minute jünger werden. Auch Alexander Nouri in Bremen ist 38, der Augsburger Manuel Baum erst 37, und Wolf wilde 36. „Wolf reißt Schaaf“ lautet der Trend, und der billige Kalauer auf Kosten des Altmeisters Thomas Schaaf ist unvermeidlich, aber auch so verdienten Mitveteranen wie Mirko Slomka, Bruno Labbadia oder Armin Veh wird der Verjüngungsprozess gemacht. Vermutlich sitzt der eine oder andere in diesem Moment vor dem Telefon und kommt sich vor wie Max Raabe, wenn er mit seinem Palastorchester untröstlich singt: „Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich.“

Nur die Dortmunder trotzten bei der Trainersuche noch dem Jugendwahn. Oder sie haben in der Hektik einfach vergessen, Peter Bosz nach seinem Pass zu fragen. 53 ist der Holländer, sein Verfallsdatum ist also weit überschritten, aber jetzt ist es zu spät. Ganz Schalke lacht sich nebenan tot und freut sich auf Tedesco, der aus dem Fohlenstall der VfB-Trainer stammt, die DFB-Trainerlizenz mit der Schulnote 1,0 absolviert und dabei mit Glanz und Gloria sogar seinen berühmten Kurskollegen Julian Nagelsmann abgehängt hat.

Offen bleiben jetzt nur noch zwei Fragen: Steckt in jedem Trainertalent ein Nagelsmann – und ist es überhaupt ein Trend?

Ganz Stuttgart feierte Opa Huub als Retter

Sicher ist: Julian Nagelsmann ist unter den Trainern das erste Wunderkind. Vom ersten Tag an hatte er in Hoffenheim keinerlei Probleme, er war damals 28, nahm aber den Zweiflern sofort den Wind aus den Segeln, indem er sagte: „Ich bin so alt wie die Spieler, wir sind dieselbe Generation. Das ist ein Vorteil.“ Er ist für die Spieler ein Bruder. Sein Vorgänger Huub Stevens war ihr Opa, der über hippe Frisurentrends oder chinesische Philosophien in ihren Ganzkörper-Tattoos nur ungern mit sich reden ließ – sondern lieber (wie im Jahr zuvor beim VfB) über den Trainingsplatz brüllte: „Affen! Affen seid ihr!“

Die gute Nachricht: Die Affen zeigten es damals ihrem Peiniger, was seine uralten Methoden beim VfB prompt wundersam wirken ließ, flankiert von seiner unerschütterlichen Altherrenruhe. Jedenfalls feierte am Ende ganz Stuttgart den Opa als Retter – mit Huub-Konzerten.

Das sind die Momente, in denen der Trend zum Jugendstil wackelt und die Älteren spontan an Otto Rehhagel denken – und an dessen unvergessliche Erzählung über den früheren Kremlboss: „Als Boris Jelzin am offenen Herzen operiert wurde, von wem ist er behandelt worden? Nicht von einem jungen Mann der Moskauer Uni, sondern von einem 75-jährigen Fachmann aus Amerika.“

Otto hat als Oldie noch mit 73 trainiert, vor fünf Jahren, bei Hertha BSC, im Abstiegskampf. Als es brannte, kam er als Feuerwehrkommandant mit dem großen Spritzenwagen und dem dicken Schlauch, aber es ging schief. Nach Rehhagels Kapitulation wurde erstmals das Ende der Alten verkündet – aber nur kurz, denn im Jahr danach trainierte der Rentner Jupp Heynckes den FC Bayern prompt zum Triple und zur größten Saison der Vereinsgeschichte.

Sind die Alten wirklich reif für die letzte Ölung?

Die Zukunftsforscher haben diese Diskussion schon oft erlebt. Immer wieder starten Wunderkinder als Adler und landen als Suppenhuhn. Galt nicht auch Markus Weinzierl vor einem Jahr als einer dieser jungen, modernen, dynamischen Trainer? Einen Sommer später stellen sie ihn in Schalke hin wie einen planlosen Stümper. Luft raus, plopp. Neues Spiel, neues Glück, Tedesco.

Jeder will seinen Nagelsmann. Der Trend macht beim Fußball nicht halt. In Österreich wurde Sebastian Kurz Außenminister mit 27, und das US-Magazin „Time“ hat den Wiener Wunderknaben in die Top Ten der „Next Generation Leaders“ aufgenommen. Und in Frankreich ist ein 39-Jähriger nicht nur Staatspräsident, sondern auch noch Ehemann seiner Ex-Lehrerin. Alle werden jünger, die Staatschefs, die Außenminister, die Ehemänner und die Trainer. Die Gegenwart gehört den Nagelsmännern.

Kommt es wie im Film „Der letzte Kaiser“?

Aber gehört ihnen auch die Zukunft? Oder bringt Carlo Ancelotti, der bei den Bayern stramm auf die 60 zusteuert, die Blase des Jugendwahns zum Platzen? Springt im Lauf der Saison womöglich sogar Stevens noch mal ein, wenn einer der jungen Kollegen in der Krise schlapp macht? Wir wünschen es keinem und schon gar nicht Hannes Wolf – aber was mit Wunderkindern alles passieren kann, haben wir bei Bertoluccis „Der letzte Kaiser“ (1987) im Kino erlebt; Der kleine Puyi bestieg als Zweijähriger in China den Thron und musste als Fünfjähriger wieder abdanken.