Großes Fußball-Fernsehen: Der Kahn, der für Deutschland den letzten großen Titel gewann, ist auch im TV-Duell nicht gekentert – und hat Mehmet Scholl ausgedribbelt.

Stuttgart - Katrin Müller-Hohenstein war von Anfang an optimistisch. „Oliver Kahn ist der beste Experte, den man sich wünschen kann“, ahnte die ZDF-Fußballnixe vor der Europameisterschaft auf Usedom – und trotz schwerer See ist der Kahn in der Tat nicht gekentert, dank seiner Devise: „Die Offensive gewinnt Spiele, aber die Defensive die Titel.“

 

So hat Olli gegen Scholli jetzt auch das EM-Sachverständigenduell gewonnen. Anders als der stürmische Mehmet Scholl ist er Torwart, scheut das Risiko und verbrennt sich nicht die Finger – die Null muss stehen.

Keine Angst, als Nächstes kommt jetzt nicht der billige Kalauer, dass auch bei der ARD die Null steht, nämlich als Experte am Mikrofon. Dafür ist Scholl ein zu erfrischendes Kerlchen, aber manchmal halt auch mal derart fröhlich und frech, dass der Hafer ihn sticht, der Gaul mit ihm losgeht und der Schuss dorthin, wo hinten ist – jedenfalls war die Attacke auf Mario Gomez ein Eigentor, sie hat weder den lauffaulen Sack noch den frechen Sack entscheidend weitergebracht.

Kahns Seitenhieb auf Scholls Kinnspitze saß besser. „Haben wir nach der Sache mit Robert Enke nicht von mehr Rücksichtnahme gesprochen?“, fragte er und verriet, dass er es nicht für Expertenpflicht hält, einen Spieler „öffentlich zur Sau machen“. Und als Franz Beckenbauer nach den anschließenden Gomez-Toren in „Bild“ stammtischwirksam meinte, der Scholli habe da einen mit dem Holzhammer ganz schön angestachelt, verzog Kahn nur das Gesicht und erklärte in Richtung des Kaisers behutsam, dass man mit einem öffentlichen verabreichten Arschtritt so ein Rückgrat durchaus auch brechen kann.

„So“, offenbarte Olli mitleidig, „hat man vielleicht vor dreißig Jahren noch motiviert.“

„Was ist denn – bieder?“

Diesen kühlen Kopf hat er als Experte durchgezogen, was schwierig genug war, denn leicht hätte der Kahn in Seenot geraten können. Das ZDF stellte ihn als Leuchtturm in diesen eigenartigen EM-Fernsehgarten auf Usedom, und weil die Ostsee ein Ozean ist, holten sie Oceana, die dem Olli dann ihr „Endless Summer“ in die Ohren trällerte – aber überhaupt wurde er endlos umzingelt von fußballfernen Umtrieben, die hübsche Facebook-Jeannine zwang den alten Kahn sogar, ein Twitter-Account zu eröffnen, und mit der Moderatorin Müller-Hohenstein war es, fand die „Frankfurter Rundschau“ zwischendurch, „als würde eine Touri-Suse den Strandkorbverleiher von Boltenhagen interviewen“.

Einmal sagte Kahn: „Die Iren spielen zu bieder.“

Darauf sie: „Was ist das denn – bieder?“

Wie bewusstlos ist Olli kurz dagestanden, der Dialog hat ihn fast niedergestreckt wie der Golfball, den er einmal in der Bundesliga an die Birne bekommen hat, aber nach dem EM-Finale war er dann wieder voll da – und hat das große Problem der deutschen Mannschaft auf den Punkt gebracht: Ihr neuer Fußball ist wunderbar, jetzt fehlen nur noch die alten Siegertugenden. Womit er ungefähr meinte, was der Fernsehveteran Rubi Rubenbauer an den Spaniern so bewundert: „Sie spielen nicht nur Tiki-Taka, sondern auch Aua-Aua.“

Kahn weiß, wovon er spricht

Kahn war begeistert von Sergio Ramos, der sich ganz früh im Spiel kurz Balotelli vorknöpfte, oder von Gerard Piqué, der ausnahmsweise nicht mit seiner Freundin Shakira, sondern mit Cassano „Waka-Waka“ machte. „Das“, sagt Kahn, „war ein Zeichen: nicht mit uns.“

Kahn weiß, wovon er spricht, nämlich von sich. Wenn es um die Wurst ging, hat auch er notfalls ein Gesicht gemacht wie der Glöckner von Notre Dame. Als „Fratze des Bösen“ ist er von gegnerischen Torjägern tituliert worden – unvergessen ist der TV-Werbespot, in dem ein Elfmeterschütze, als er Kahn vor sich sieht, beim Anlauf auf der Stelle umdreht und flüchtet.

Messdiener gewinnen keine Titel. Leitwölfe brauchst du, sagt Kahn. Bandenchefs. Vielleicht wird Sami Khedira einer, der ist aus Hartholz geschnitzt und verfügt über das Machtwort der Körpersprache. Wie der Italiener Buffon oder der Spanier Carles Puyol, der diesmal verletzt gefehlt hat. Oder früher Ballack, Sammer, Effenberg und Breitner. Ein Blick in deren Augen war wie ein Blick in die Mündung einer doppelläufigen Flinte, das Kinn haben sie herausgeschoben, den Brustkorb aufgeblasen, und ihre bloße Anwesenheit genügte, um die Gegner kleiner und die Mitspieler größer zu machen.

„Oder ein Balotelli?“, hat Katrin Müller-Hohenstein plötzlich gefragt. Nein, um Himmels willen, schrie Kahn auf – keine Bekloppten braucht man, sondern Anführer.

Kahn hätte für den Sieg eine Ratte gefressen. So hat er dem deutschen Fußball den letzten großen Titel gewonnen, anno 2001 im Elfmeterschießen des Champions- League-Endspiels der Bayern gegen Valencia – es war seine Antwort auf Mehmet Scholl, der im selben Spiel zuvor einen Elfmeter so leicht und locker geschossen hatte, dass es der kullernde Ball bis zum Tor nur schaffte, weil ihm der Torwart Cañizares auf halbem Weg entgegenkam. Auch Scholli ist nun mal kein Olli.