Die Staatsgalerie Stuttgart stellt derzeit Oskar Schlemmer aus. Aber auch seine Tochter hat in Stuttgart Karriere gemacht: Karin Schlemmer war eine der großen Schauspielerinnen am Staatstheater.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Sie war beliebt. Manche Theaterbesucher erinnern sich noch heute an die Schauspielerin, die hinreißend komisch sein konnte. Die Frau, deren „schepperndes Lachen“ einem nicht mehr aus dem Ohr ging, wie ein Kritiker einmal schrieb. Karin Schlemmer kam 1949 ins Ensemble des Staatstheaters Stuttgart – und blieb dort bis zu ihrem Tod 1981. „Glänzend und hinreißend“ sei sie gewesen, schrieb Gerhard Stadelmaier in seinem Nachruf in der StZ. Noch heute hat Janine Schlemmer im Keller ganze Säcke mit Fanpost an ihre Mutter stehen. Es sind auch viele Briefe von Verehrern darunter.

 

Die Stuttgarter Schauspielerin Karin Schlemmer war die Tochter von Oskar Schlemmer. 1920 wurde der Künstler nach Weimar berufen und prägte das Bauhaus wesentlich mit. Er war frisch verheiratet mit Helena Tutein, die als eine der ersten Frauen Volkswirtschaft studiert hatte. Sie kam aus Mannheim, war emanzipiert und wollte auf ihren Namen nicht verzichten. So nannte sie sich Tut Schlemmer.

Karin Schlemmer wurde 1921 geboren, ein Jahr später kam Ute-Jaina auf die Welt und 1925 Tilman. In Dessau lebte die Familie in einem der Meisterhäuser. „In der Bauhaus-Zeit muss es sehr lebendig zugegangen sein“, erzählt Janine Schlemmer, „es war immer was los“. Tut sei aber auch oft unterwegs gewesen und habe die Kinder bei Bekannten in Obhut gegeben. „Meine Mutter hat erzählt, dass sie immer wieder bei anderen Leuten gelebt hat“, sagt Janine Schlemmer.

Karin Schlemmer ging ihren eigenen Weg

Die Familie Schlemmer wurde immer wieder auseinandergerissen, vor allem wegen diverser Umzüge. 1929 wurde Schlemmer an die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe Breslau berufen, die 1932 ihren Lehrbetrieb aber weitgehend einstellen muss. Die Familie zog nach Berlin. Aber Schlemmer, von den Nazis diffamiert, wurde auch dort entlassen, sodass die Familie schließlich nach Süddeutschland zurückkehrte und ein Häuschen in Sehringen bezog. Die Ortswechsel, die politischen Umstände – Karin Schlemmer hatte vermutlich keine ganz einfache Kindheit, vermutet ihre Tochter. In Berlin besuchte sie das Gymnasium. „Sie war sehr gut in der Schule“, sagt Janine Schlemmer, „in Sehringen aber musste sie auf eine Dorfschule, wo sie sich sehr gelangweilt hat.“ Trotzdem seien diese politisch eigentlich so schweren Jahre eine schöne Zeit gewesen – „die Familie war das erste Mal richtig zusammen, Schlemmer hat fast gar nicht gemalt, sie hatten Heidschnucken und Angorahasen“.

Das Verhältnis zwischen Oskar Schlemmer und seinen Kindern muss gut gewesen sein, die Familie musizierte viel, Ute-Jaina an der Geige, Tilman an der Trompete, Karin und Oskar spielten Klavier. „Ich glaube, dass er ein sehr liebevoller Mensch war“, sagt Janine, „er war bestimmt kein autoritärer Vater“. Janine Schlemmer hat ihren Großvater nicht mehr kennengelernt, er starb bereits 1943 mit 54 Jahren. Auch den Onkel Tilman kannte sie nicht, er fiel im Krieg. Karin war zu dieser Zeit bereits aus dem Haus, nach der Schule nahm sie Tanzunterricht und ging nach Freiburg und Straßburg. Oskar Schlemmers Leidenschaft für Tanz und Theater, auch sein legendäres „Triadisches Ballett“ werden sie geprägt haben, aber Karin Schlemmer ging ihren eigenen Weg und machte barfüßigen Ausdruckstanz.

Als sie in den vierziger Jahren nach Stuttgart zog, wollte sie als Tänzerin arbeiten, der Schauspieler und Regisseur Fred Schroer aber sagte „Mensch, bist du komisch“ – und Karin Schlemmer wechselte zum Schauspiel.

Auch Tut und Ute-Jaina sind irgendwann in Stuttgart gelandet. Tut pflegte zeitlebens engagiert den künstlerischen Nachlass ihres Mannes, Ute-Jaina war eigentlich Bühnenbildnerin, arbeitete in Stuttgart aber in einer anthroposophischen Behindertenwerkstatt. Sie war mit einem Künstler verheiratet, trennte sich nach der Geburt ihres Sohnes Raman aber schon bald.

Das Schauspielensemble war wie eine Familie

Eben dieser Raman ist es, der dem Kunstbetrieb nun Jahre lang das Leben schwer gemacht hat mit einer rigiden Rechteverwaltung. Er und seine vor fünf Jahren verstorbene Mutter Ute-Jaina haben auch Oskar Schlemmers Enkelin Janine ihren Erbanteil vorenthalten. Sie hat bis heute nichts von dem erhalten, was ihrer verstorbenen Mutter Karin zugestanden hätte.

Gut war das Verhältnis zwischen den Schwestern Karin und Ute-Jaina wohl nie, meint Janine Schlemmer, vermutlich lag es daran, dass Karin nicht nur als Schauspielerin reüssierte, sondern auch, dass sie mit über vierzig noch ein Kind bekam, womit Raman nicht mehr der einzige Schlemmer-Enkel und -Erbe war.

Karin war mit dem Schauspieldirektor Fritz Bücklmaier verheiratet, der aber tragisch in Folge einer Blinddarmentzündung starb. Sie hatten sich vergeblich ein Kind gewünscht. Nach seinem Tod, im Jahr 1964 kam Janine auf die Welt – ihr Vater war ein damals noch junger Schauspieler, der bald nach Hamburg zog. So war auch Karin alleinerziehend.

Karin Schlemmer trug viel Traurigkeit in sich

„Ich war als Kind sehr viel im Theater“, erinnert sich Janine Schlemmer, „ich saß während der Proben auf der Bühne und während der Vorstellung in der Garderobe.“ Karin Schlemmer spielte in Becketts „Endspiel“ und in Wedekinds „Frühlings Erwachen“, in Brechts „Mutter Courage“ und Achternbuschs „Ella“. Ihren größten Triumph feierte sie aber in einer Elvis-Parodie, „die sie bis zur Erschöpfung hinlegte“, wie die Presse schrieb.

Das Schauspielensemble war für ihre Mutter wie eine Familie, erinnert sich Janine, sie habe sich auch ganz und gar mit dem Theater vom Claus Peymann identifiziert. Die Ferien verbrachte man häufig in Frankreich, wo auch der Schauspielkollege Wolfgang Höper mit seiner Familie zum Campen war, erzählt Janine Schlemmer. Höper hielt denn auch die Trauerrede, als Karin Schlemmer 1981 starb, ihre Tochter war damals noch nicht mal volljährig.

Heute lebte Janine Schlemmer in München, ist Erzieherin und selbst Mutter zweier Söhne. Natürlich kam die Familie nach Stuttgart zur Eröffnung der Schlemmer-Ausstellung in der Staatsgalerie – und Janine Schlemmer hat einige Menschen getroffen, die sich noch gut an ihre Mutter erinnern. Sie selbst hat sie als liebevolle Mutter im Gedächtnis. „Sie hatte Humor, war sehr geduldig und herzlich, aber sie hatte auch eine andere Seite: Ich hatte immer das Gefühl, dass sie auch eine Traurigkeit in sich trug“. Karin Schlemmer hatte den Vater, den Bruder und den Ehemann verloren. „Ihr Herz hing noch bei diesen Menschen, die sie verloren hat und die ihr wichtig waren“, sagt Janine, „es war bei ihr immer etwas Melancholisches dabei.“