Schwere Jungs in bestickten Kutten: Die Osmanen haben auf den ersten Blick viel mit den Hells Angels oder Bandidos gemein. Ihre Motive unterscheiden sich deutlich von den klassischen Rockergruppen.

Stuttgart - Nach drei Tagen befreit sich ein schwer verletzter Mann aus der Gefangenschaft seiner Peiniger. In den Stunden zuvor hatten diese ihm Anfang 2017 in Herrenberg bei Stuttgart die Zähne ausgeschlagen, ihm ins Bein geschossen und das Projektil ohne Betäubung heraus geschnitten. Täter und Opfer gehörten laut dem Landeskriminalamt (LKA) in Stuttgart dem Boxclub Osmanen Germania an. Sie stehen derzeit in Stuttgart-Stammheim vor Gericht.

 

Der 2015 in Hessen gegründete Boxclub unterscheide sich „nur in Nuancen“ von denen klassischer Rockerbanden unterscheiden, heißt es beim LKA. Der sogenannte Weltvorstand aus Weltpräsident, seinem Stellvertreter und einem „Sergeant at Arms“, der für die Disziplin in der Gruppe sorgt, bildet die Führungsriege. Ihm unterstehen die Präsidenten verschiedener Ortsvereine, wie bei den Rockern Chapter genannt. 31 solcher Chapter soll es in Deutschland noch geben, mit gut 300 Mitgliedern.

Die Chapter führen ein relativ autarkes Dasein, ähnlich wie Franchise-Unternehmen. So lange sie sich an die Grundregeln hielten, könnten sie recht frei ihren Geschäften nachgehen. Die reichen laut Ermittlungskreisen von Zuhälterei bis Drogenhandel, auch das ist bei den Rockern ähnlich.

Osmanen verfolgen politische Ziele

Auch das Aufnahmeverfahren sei vergleichbar: Durch gehorsame Befehlserfüllung könne man als Anwärter aufgenommen und mit der Kutte mit dem aufgenähten Logo als Mitglied ausgezeichnet werden. Das gehe bei den Osmanen deutlich schneller als bei Rockerclubs, wohl auch deshalb wuchsen die Osmanen bis zum Jahr 2016 auf mehrere Hundert Mitglieder an.

Ein weiterer Unterschied des Boxclubs zu den Rockerclubs ist, dass die Osmanen auch politische Ziele verfolgen. Mitglieder sympathisieren nach Angaben des LKA in Stuttgart offen mit den türkisch-rechtsextremen Gruppe der Grauen Wölfe. Der ehemalige Grünen-Chef Cem Özdemir bezeichnet die Osmanen gar als „Erdogans Schergen“ in Deutschland und wirft der türkischen Regierungspartei AKP vor, den Verein zu finanzieren. Das Innenministerium in Nordrhein-Westfalen bestätigte Anfang des Jahres, die Osmanen pflegten Kontakt zum „Erdogan-Regime im weitesten Sinne“.

Zumindest die Feindschaft zu Kurden verbindet die Osmanen mit dem türkischen Staatsoberhaupt. Im Frühjahr 2016 trafen zunächst in Stuttgart, später auch in Ludwigsburg und Saarbrücken, Osmanen und die linkskurdische Gruppierung der Bahoz aufeinander. Fast täglich kam es zu Angriffen und Vergeltungsaktionen zwischen den verfeindeten Lagern. In Saarbrücken gipfelte die Rivalität in einem Handgranaten-Anschlag auf die Shisha-Bar eines Bahoz-Mitglieds.

Mehr als 120 Verfahren und Dutzende Haftbefehle

In Stuttgart gründete das LKA im Dezember 2016 die Ermittlungsgruppe „Meteor“, um den offen ausgetragenen Konflikt zu beenden. 20 Beamte von LKA, Landes- und Bundespolizei zogen alle Verfahren, deren Ursprung sie im Konflikt zwischen Osmanen und Bahoz vermuteten, an sich und nahmen so viele mutmaßliche Beteiligte wie möglich fest. „Jeder Spieler, der vom Feld ist, schwächt die Mannschaft“ erläutert ein leitender Ermittler des LKA die Taktik der Ermittlungsgruppe.

Mehr als 120 Verfahren eröffnete „Meteor“ gegen beide Gruppen und erwirkten dabei 34 Haftbefehle. Die Führungsebene mache sich normalerweise nicht mit Straftaten die Hände schmutzig, sagt ein „Meteor“-Ermittler. Das tat sie - so die Staatsanwaltschaft - dann aber im Fall in Herrenberg Anfang 2017.

Der Angegriffene war nach Angaben des LKA kein einfaches Mitglied. Er war der damalige Präsident des Chapters in Gießen, soll sich, so die Anklage, geweigert habe, Gewalt gegen Kurden anzuwenden. Dafür, so die Staatsanwaltschaft Stuttgart, sollte er bestraft werden.

Da das Opfer Chapter-Präsident war, erklären die „Meteor“-Ermittler, musste diese Strafaktion jedoch von höherer Stelle angeordnet oder wenigstens abgesegnet werden. Die Staatsanwaltschaft will nun beweisen, dass es diesen Befehl gegeben hat und hat den in Hessen wohnhaften „Weltvorstand“ daher angeklagt.

Zurzeit wieder vermehrt Auseinandersetzungen

Nachdem die Stuttgarter Ermittler viele Osmanen aus dem Verkehr gezogen hatten, schien der Konflikt befriedet. Die Bahoz lösten sich offiziell auf, bevor der Konflikt sich auf andere Bundesländer ausbreitete. Auch dort ging die Zahl der Mitglieder zurück, ganze Chapter lösten sich auf.

Selbst der „Weltvorstand“ hatte noch vor seiner Festnahme im Juni 2017 die Kutten abgelegt und der Polizei in Hessen überreicht - nach Einschätzung der Stuttgarter Ermittler ein rein taktisches Manöver. In der Gegend um Ludwigsburg beobachteten sie in den vergangenen Wochen wieder vermehrt Auseinandersetzungen zwischen Kurden und türkischen Nationalisten. Die Befehlshaber des Osmanen Germania BC sitzen hinter Gittern, die Konflikte sind aber längst nicht gelöst.