Beschäftigte der Firma Osram sollen sich vor zwanzig Jahren in Brasilien bei der Leuchtstoffröhren-Produktion vergiftet haben. Nun wird um die Entschädigung der Opfer gefeilscht.

Stuttgart - Wenn Maria einmal keine Kopfschmerzen hat, wagt sie es, einen Blick auf ihr Mobiltelefon zu werfen. Doch nach zwei Sekunden verschwimmen ihr die Buchstaben vor den Augen. Die 47-jährige Brasilianerin hat ihre Zähne verloren und zum Teil ihr Gedächtnis: Die Handlung der Telenovelas, die sie so gerne schaut, beginnt für sie jeden Tag bei null. 1989 war bei ihr eine Sehnenentzündung diagnostiziert worden. Erst 20 Jahre später erfuhr sie, dass sie unter einer chronischen Quecksilbervergiftung leidet.

 

Maria arbeitete rund zehn Jahre, von 1989 bis 1998, in der Fabrik des deutschen Leuchtmittelherstellers Osram, das dieser seit 1955 in Osasco bei São Paulo betreibt. Ihre Aufgabe bestand darin, Quecksilber in Leuchtstoffröhren einzuführen. Sie benutzte dafür ein Dosiergerät, aber das Metall entwich immer wieder aus dem Gefäß. „Wir fanden das lustig“, erzählt Maria in einem Krankenhaus in São Paulo. „Manchmal spielten wir sogar mit den Quecksilberkügelchen. Niemandem war damals bewusst, welchen Schaden sie anrichteten.“

An Marias Seite sitzt ihre frühere Arbeitskollegin Francisca und nickt. Die 41-Jährige leidet unter Depressionen, Schlaflosigkeit, Gedächtnisverlust, Haarausfall und Rückenschmerzen. „Wir stellten unser Mittagessen auf die Maschinen, um es warm zu halten“, sagt sie, während sie mit der linken ihre rechte Hand umfasst hält, die sie nicht bewegen kann. „Mir war nicht klar, dass mein Essen den Quecksilberdämpfen ausgesetzt war.“

Das Unternehmen bietet eine geringe Entschädigung an

Die Aussagen der beiden Frauen und die von 30 weiteren früheren Beschäftigten von Osram do Brasil haben den Staatsanwalt Luiz Carlos Fabre veranlasst, das Unternehmen vor Gericht zu bringen. Fabre macht Osram für die Kontaminierung der Arbeiter und die fehlende Früherkennung ihrer Krankheit verantwortlich. Die Staatsanwaltschaft fordert von Osram, dem zweitgrößten Leuchtmittelhersteller der Welt, jedem Betroffenen eine Entschädigung in Höhe von umgerechnet 183 000 Euro zu zahlen. Außerdem soll das Unternehmen den Krankenhäusern und Gesundheitszentren in São Paulo, die sich um Berufskrankheiten kümmern, rund 37 Millionen Euro bereitstellen.

Eine außergerichtliche Einigung, um den „individuellen und kollektiven Schaden“ wiedergutzumachen, kam im vergangenen Jahr nicht zustande. Osram machte stattdessen einen Gegenvorschlag, den Staatsanwalt Fabre als „unannehmbar“ ablehnte: Das Unternehmen bot den Betroffenen eine Entschädigung in Höhe von 3600 Euro und eine Krankenversicherung für sechs Jahre an. Der Staatsanwaltschaft lehnte ab, denn die Arbeiter hätten „ein Leben lang“ an ihrer Krankheit zu tragen.

Die Offerte von Osram hatte noch einen Haken: Das Unternehmen wollte nur jene Betroffenen finanziell entschädigen, deren Diagnose von einem bestimmten Krankenhaus in São Paulo, La Santa Casa, bestätigt wurde. Der dort zuständige Arzt, Luiz Carlos Morrone, akzeptierte keine Befunde anderer Kliniken. Wer von ihm als Quecksilberopfer anerkannt werden wollte, musste alle Untersuchungen noch einmal über sich ergehen lassen. Ein Vorgehen, das „Befremden“ verursache, bemerkt der Staatsanwalt Fabre in einem Schreiben an das Arbeitsgericht in Osasco.

Heute ersetzen Pillen die gefährliche Flüssigkeit

Osram do Brasil wollte auf die meisten Fragen dieser Zeitung nicht antworten, da es sich um einen „anhängigen Rechtsstreit“ handele. Das Unternehmen erinnert allerdings daran, dass seine Arbeitsstätten seit 20 Jahren regelmäßigen Kontrollen unterzogen würden. Die gesetzlich zulässige Konzentration an Quecksilberdämpfen von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter werde in ihrer Fabrik in Osasco um die Hälfte unterschritten.

Den Produktionsprozess für Leuchtstoffröhren hat die Firma Osram nach offiziellen Berichten bereits vor etlichen Jahren umgestellt: jetzt werden Quecksilber-Eisen-Pillen eingesetzt statt – wie zu Marias und Franciscas Zeiten – flüssiges Quecksilber.