Lady Macbeth ist fraglos William Shakespeares komplizierteste und gruseligste Frauenfigur. Im OST lässt Katja Erdmann-Rajski die Intrigantin von gleich fünf Tänzerinnen und einem Tänzer als fragmentierte Persönlichkeit darstellen.

Stuttgart - Die Lady liegt wach und kann nicht schlafen. Sie räkelt und streckt sich und blickt in das Auge einer Kamera, die über ihr im Bühnenhimmel hängt. Auf einer Leinwand spiegelt sich wider, was dieser unpersönliche Beobachter dort oben unerbittlich registriert: Die Lady liegt wach und kann nicht schlafen! Umgeben von fünf mit ihr verbündeten Schatten versucht sie sich hinter dunklen Brillengläsern und zur Schau gestellter Pokermiene dem Kameraauge zu entziehen, verbirgt, was sie nicht zur Ruhe kommen lässt.

 

William Shakespeares Lady Macbeth gehört zu den interessantesten, widersprüchlichsten und kompliziertesten Frauengestalten der klassischen Dramenliteratur. In „Bloody Business“ erzählt die Choreographin Katja Erdmann-Rajski die Geschichte der von Machtgier, Aberglauben und Angst zerfressenen Gattin des Königsmörders Macbeth nun im OST im ehemaligen Stuttgarter SSB-Depot aus ungewohnter Perspektive.

Vom Kontext der Tragödie losgelöst schaut sie der Lady in den Kopf hinein, seziert ihre Gedanken und Motive. Die übrigen Figuren des Dramas, König Duncan, Macbeths Vertrauter Banquo oder die schottischen Edelmänner Rosse, Macduff und Lennox treten hier nicht in Erscheinung. Stattdessen verkörpern fünf Tänzerinnen und ein Tänzer eine einzige, fragmentierte Persönlichkeit.

Erstickt im Grübeln

Wem die Handlung des Dramas nicht präsent ist, der findet zunächst nur schwer Zugang zum Geschehen, zu Beginn scheint alles seltsam unverbunden. Während sich Katja Erdmann-Rajski im ersten Bild als Lady Macbeth auf ihrem Lager wälzt, bewegen sich fünf andere Versionen ihrer Figur unabhängig von einander im Raum, zum bittersüßen Lied „Come Again“ des britischen Komponisten John Dowland, einem Zeitgenossen des Dichters Shakespeare.

Mal unabhängig von der Musik, mal mit ihr verwoben, bindet Erdmann-Rajski Textpassagen ein, Auszüge aus Shakespeares bekannten Monologen im englischen Original sowie in der deutschen Übersetzung des Shakespeare-Spezialisten Frank Günther. Hört man diesen aus dem Off eingespielten Texten aufmerksam zu, erschließt sich schlagartig die Verbindung: Die rhythmische Versdichtung strukturiert und bedingt den Tanz, stiftet inhaltlich wie formal Sinn und Zusammenhang. „Das Handeln ganz erstickt im Grübeln“ konstatiert eine freundlich gelassene Frauenstimme, dazu irrlichtert Anika Bendel staksig auf allen Vieren umher, der Kopf baumelt ratlos, wie von der Wirbelsäule abgetrennt, zwischen ihren Armen.

 

Katja Erdmann-Rajski illustriert mit solch grausigen Bewegungsbildern den Grad der geistigen Umnachtung der Lady Macbeth und spielt in ihrer Inszenierung häufig mit dem spannungsvollen Gegensatz von Kontemplation und Unruhe. Die melancholische Strenge barocker Madrigale von Claudio Monteverdi oder Carlo Gesualdo wird immer wieder von quälenden Dissonanzen gestört, was sich auch im Tanz niederschlägt.

Einmal verbünden sich drei Abspaltungen der Lady zu einem eingeschworenen Pas de Trois und erfreuen sich diebisch an der logischen Ordnung einer klassischen Schrittfolge, während die Vierte auf der Bühne an den schrägen Tönen, die sich in die schönen Kompositionen einmischen, schier zerbricht.

Am interessantesten ist die Facette der Lady Macbeth, die der Tänzer Love Hellgren verkörpert. Mit Ringelshirt, knallbunten Socken und einem irren Grinsen auf den Lippen erinnert er an den gewitzten Schurken „Joker“ aus den Batman-Comics oder den bösen Clown aus Stephen Kings Horrormär „Es“. Hellgren tanzt und hüpft mit Hingabe kleine Ballett-Kombinationen, die er als affektierte Konvention entlarvt. Seine Lady will nicht nett und höflich sein, wie es sich für eine Dame ihres Standes gebührt, sondern die Grenzen ihrer vorherbestimmten Rolle aufbrechen.

Blutig im Gesicht

In einer anderen Sequenz erweist sich Hellgren weitaus aggressiver. Da nimmt er die Lady der Tänzerin Laura Witzleben in den Schwitzkasten und zwingt sie zu Boden. Ihre Ringen erinnert an den Kampf zweier Schlangen, die sich gegenseitig langsam erwürgen, fressen und verdauen.

Katja Erdmann-Rajski entwickelt in „Bloody Business“ eindringliche, starke Bilder und schreckt auch nicht vor der Inszenierung des grellen Wahnsinns zurück. So verbündet sich eine Vierer-Formation in bunter Freizeitkleidung zu Abbas „I Do, I Do, I Do“ gegen Verena Wilhelm, die gerade noch im Schneidersitz ihr eigenes Bein wie ein Baby gewiegt hat, das die Lady wohl, wie eine Äußerung vermuten lässt, früh verloren hat. Ein anderes Mal erklingt höhnisch das Kinderlied „Das Händewaschenrubbelschrubbelseifenlied“ von Simone Sommerland und den Kita-Fröschen.

Katja Erdmann-Rajski spricht in ihrer Interpretation Lady Macbeth jedenfalls nicht von ihrer Schuld los. „Bin blutig im Gesicht“, erschrickt die Stimme aus dem Off. „Ein wenig Wasser reinigt von der Tat. Wollen die Hände nie mehr sauber sein?“ So grausam, düster und verrückt die Lady Macbeth auch ist, es lohnt sich, ihr hier in all ihren Facetten zu begegnen.

Weitere Aufführungen vom 9. bis zum 11. April, jeweils um 20 Uhr im OST – freie Szene im Depot.