Der CDU-Politiker Bernhard Vogel, der selbst einmal Ministerpräsident in Thüringen gewesen ist, fordert mehr Unterstützung für alle jene, die im Osten gegen Rechtsextreme auf die Straße gehen.

Berlin - Der CDU-Politiker Bernhard Vogel ist ein Kenner der ostdeutschen Situation, er war Regierungschef in Mainz wie in Erfurt. Ein Gespräch über die Ursachen des erstarkenden Rechtsextremismus in Ostdeutschland und mögliche Gegenmittel.

 

Herr Vogel, als Ministerpräsident von Thüringen haben Sie fast anderthalb Jahrzehnte am demokratischen Aufbau Ostdeutschlands aktiv mitgewirkt. Mit welchem Gefühl blicken Sie auf die jüngsten Ereignisse in Chemnitz?

Mit großer Besorgnis. Bedauerlicherweise ist bei den Demonstrationen von Seiten der Polizei offensichtlich einiges schief gelaufen. Oft passieren Fehler gerade dann, wenn sie vermieden werden sollen, auch in einem Verfassungsstaat wie Deutschland. Ohne Zweifel gibt es da Dinge aufzuklären und zu beheben. Jedoch muss es jetzt vor allem darum gehen, Chemnitz und Sachsen nicht pauschal zu verurteilen, sondern zu helfen, die Schwierigkeiten zu bewältigen.

Haben Sie den Eindruck, dass Demokratie und Rechtsstaat in Gefahr sind?

Wie gesagt, es sind Fehler passiert. Das gilt auch für das Öffentlichwerden eines Haftbefehls. Dennoch finde ich es überzogen, von einer Krise der Demokratie zu sprechen. Ich bin überzeugt, dass die Menschen im Osten Deutschlands in der Summe nicht weniger bereit sind zum Kampf gegen Radikalismus als im Westen. Sie sind auch nicht weniger freiheitlich und demokratisch gesonnen.

Was ist das Problem im Osten?

Die Umstände sind nach wie vor andere. Der Westen hat mehr als 60 Jahre Erfahrung mit Demokratie und mit der Bekämpfung rechtsextremer Parteien. Auch gibt es im Osten deutlich weniger Erfahrung mit Ausländern. Zudem hat die Wende viele Menschen aus ihrer sozialen Sicherheit gerissen. Nicht alle sind in der neuen Ordnung angekommen. Das sind alles Gründe, warum es der Osten bis heute schwerer hat. Aber daraus lässt sich nicht schließen, der Osten als solcher sei rechtsradikaler. Das ist dummes Zeug.

Allerdings liegt die Wende inzwischen fast 30 Jahre zurück. Das ist eine ganze Generation. Zugleich haben rechtsextreme Parteien speziell in Sachsen mehr Zuspruch als in anderen Bundesländern. Hat die Politik im Osten etwas versäumt?

Natürlich ist im Rückblick nicht alles richtig gelaufen. Wo Menschen Verantwortung tragen, kommt es zu Fehlern. Aber die Leistung der Menschen aus der DDR nach 1989 überwiegt bei weitem die Schwierigkeiten, die jetzt zu überwinden sind. Die Wiedervereinigung ist alles in allem gelungen. Das darf in der Debatte nicht untergehen, trotz aller berechtigten Kritik.

An welcher Stelle halten Sie Kritik für angebracht?

Die Politik hätte noch früher und noch entschiedener die Gefahr rechtsradikaler Strömungen und Parteien erkennen sollen. Dass sich diese Bedrohung auch im Osten so stark ausbreiten würde, insbesondere in Sachsen, das ist wohl zu spät erkannt worden. Jetzt gilt es, die Gefahr durch Extremisten und Ideologen ernster zu nehmen und sich klar abzugrenzen. Irgendwelche Koalitionen oder Kooperationen mit der AfD darf es nicht geben.

Machen Sie sich persönlich Vorwürfe? Auch in Thüringen, wo Sie regiert haben, gibt es starke rechtsextreme Gruppierungen.

Natürlich ist man hinterher klüger. Wenn ich mit dem Wissen von heute noch einmal anzufangen hätte, würde ich manche Dinge anders bewerten. Dennoch möchte ich nicht, dass hinter der Debatte um Rechtsradikalismus die Verdienste um die Wiedervereinigung zur Nebensache zu verkommen drohen.

Hätte die Politik den Menschen im Osten stärker klar machen sollen, dass Demokratie nicht Mallorca-Urlaub für alle bedeutet, sondern auch Verteidigung von Grundwerten?

Richtig. Und dazu gehört eben, dass diejenigen, die sich keinen Mallorca-Urlaub leisten können, weniger begeistert sind als diejenigen, die zweimal im Jahr dorthin fliegen können.

Was folgern Sie daraus?

Dass wir nicht den Stab über ganz Sachsen oder Chemnitz brechen dürfen, sondern denjenigen Hilfe anbieten, die gegen Rechtsextreme aufstehen, ihre Gesicht zeigen und für Demokratie eintreten. Es bringt nichts, jammernd auf Pegida und auf die Vorkommnisse von Chemnitz zu schauen. Wir müssen vielmehr all denjenigen Mut machen, die dagegen ankämpfen und auf die Straße gehen wollen. Die Unterstützung muss wachsen, nicht die lähmende Klagerei.

Welche Bedeutung messen Sie der Flüchtlingspolitik zu?

Auch da ist nicht alles gut gelaufen. Aber letztlich ehrt es die Bundesrepublik, dass sie Menschlichkeit gezeigt hat und die Tür geöffnet hat, als Flüchtlinge bei uns Asyl gesucht haben. Wenn wir das wollen, müssen wir in Kauf nehmen, dass es auch Gegner gibt.

Ist wachsende Fremdenfeindlichkeit der Preis, den wir dafür bezahlen müssen?

Wir müssen dafür sorgen, dass Integration gelingt, dass Asylentscheidungen rascher fallen und sich die Organisation verbessert. Da gibt es noch aufzuholen. Doch an der grundsätzlichen Haltung, dass wir als christliche Partei Menschen nicht im Mittelmeer ertrinken lassen, müssen wir als CDU weiterhin festhalten.