Meterweise Girlanden und bunte Eier zu Hunderten: Der fränkische Brauch, im Frühjahr Wasserspender zu schmücken, ist auch hier heimisch geworden. Doch die Arbeit ist anstrengend – und es gibt unerwartet viel zu bedenken.

Region: Verena Mayer (ena)

Kreis Ludwigsburg - Die Angelegenheit ist gründlich organisiert. Um 13.30 Uhr geht es los, 50 Frauen breiten sich im Arbeitsraum des Freiberger Bauhofs aus. Sie haben kräftige Scheren dabei, stabile Handschuhe und viel, viel Draht. Draußen auf der Terrasse liegen Berge aus Grünzeug. Buchs, Thuja, Eibe. Vier Stunden geben sich die Frauen, um die Berge abzutragen und aus dem Grünzeug Schlangen zu formen. Das bedeutet: Die groben Äste zu feinen Zweigen schnipseln, die feinen Zweigen zu adretten Sträußchen fassen, und aus den adretten Sträußchen ansehnliche Girlanden binden. Zentimeter um Zentimeter, Meter um Meter. Gleichmäßig rund und ohne Lücken. „Das ist gar nicht so einfach“, sagt Gerlinde Eichhorn, die ihrer Tischnachbarin ein Sträußchen reicht, damit sie es Teil ihrer Girlande wird.

 

Buchsduft schlägt Klärschlamm

Man sieht das gleich, wenn man den Raum betritt: Da sind Profis am Werk. Bei den Damen handelt es sich um die Freiberger Osterbrunnenfrauen. Seit mehrlandes als 20 Jahren treffen sie sich in der Woche vor Ostern und binden Girlanden für die Freiberger Brunnen. Halt, nein, da muss man genau sein, für die Brunnen im Stadtteil Geisingen. Fünf Stück gibt es dort. Und wenn man weiß, dass allein für den Schafsbrunnen fast zehn Meter Girlande nötig sind, wundert man sich nicht mehr über die generalstabsmäßige Planung, die – dazu später mehr – schon im Herbst beginnt. Und über die Konzentration, mit der die Geisinger Osterbrunnenfrauen am Werk sind. Vor lauter Buchsduft fallen ihnen die Schwaden, die von der nahen Kläranlage herüber wehen, gar nicht auf.

Aber, auch das gehört zu dieser Geschichte, die Geisinger Damen haben einen Ruf zu verteidigen. In keinem anderen Ort im Landkreis gibt es so viele Osterbrunnen wie in Geisingen. Nicht mal in Sachsenheim, wo es immerhin sechs Stadtteile gibt. In Beihingen und in Heutingsheim, den zwei anderen Freiberger Ortsteilen, gibt es nicht mal einen einzigen Osterbrunnen.

Ein Importschlager aus Franken

Aber es ist ja schon eine Besonderheit, dass es die Osterbrunnen bis in den Landkreis geschafft haben. Ihren Ursprung haben sie in der fränkischen Schweiz. Die historischen Quellenlage ist nicht eindeutig, viel spricht aber dafür, dass die Bewohner dieser wasserarmen Frankengegend mit dem Schmücken ihrer Brunnen dem lebensspendenden Wasser huldigten, das im Frühjahr wieder zu fließen beginnt.

Nach Württemberg kamen die Osterbrunnen in den 1980er Jahren. Ihr Import ist mit großer Wahrscheinlichkeit den Landfrauen von Neidlingen bei Kirchheim/Teck zu verdanken. Sie sind, so hat es Gustav Schöck, der frühere Leiter der Landesstelle für Volkskunde im Landesmuseum Württemberg, recherchiert, viel unterwegs gewesen und haben bei ihren Ausflügen Osterbrunnen andernorts gesehen. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis der entdeckte Brauch seinen Zug durch die Region antrat und im Lauf der Jahre auch im Kreis Ludwigsburg reüssierte.

In Gerlingen wie in Pflugfelden hat sich der Obst-, Wein- und Gartenbauverein des Brunnenschmückens angenommen, in Gemmrigheim war es die Feuerwehr, in Freudental die katholische Kirche. In Münchingen initiierte der Heimatverein einen Osterbrunnen, in Erligheim eine Gruppierung, die sich Hausfrauenverein nennt, und in Besigheim ist der Innenstadt-Marketing-Verein beteiligt, der den Palmsonntag seit Jahren zum verkaufsoffenen Sonntag macht. In Pleidelsheim und Löchgau wurden Kindergärten aktiv und in Eglosheim der Historische Verein.

Der Zünsler hat ungeahnte Folgen

Nicht zu vergessen natürlich die Landfrauen, deren Initiativen der Brunnen in Bietigheim-Bissingen geschuldet ist, und in Neckarweihingen, Kornwestheim, Marbach oder Affalterbach. Eberdingen hat sein Schmuckstück seiner Einwohnerin Marianne Rapp zu verdanken, die diesen Brauch aus ihrem Heimatdorf im hällisch-fränkischen Grenzgebiet kannte. Und in Vaihingen-Riet war es die Bürgerein Ute Bozzai, die des schlechten Image des hochwässrigen Strudelbach überdrüssig war. Sie huldigte dem Wasser, in dem sie zur Verschönerung des Brunnens auf dem Dorfplatz aufrief: „Ohne Wasser können wir nicht leben.“ Wenn man dann die Kinder hört, die, zum Beispiel beim Brunnenfest in Geisingen, den Frühling begrüßen, sich in Gedichten an den linden Lüften und dem nicht enden wollenden Blühen freuen, dann ahnt man, dass ein Osterbrunnen eine sehr nachhaltige Einrichtung sein kann.

Apropos: Seit der Buchsbaumzünsler den Buchsbäumen das Blattwerk wegfrisst, ist es schwierig geworden, genügend Grün für die Girlanden zu finden. In denen aus Geisingen steckt deshalb auch das Grün von Eiben, Kirschlorbeeren und Tannen. In Riet hat Ute Bozzai schon höchstpersönlich Hand an die Hecken ihrer Mitbürger gelegt, um an den das ewige Leben symbolisierenden Buchs zu gelangen. Mit den zierenden Eiern ist es auch so eine Sache. Wer das Brauchtum hochhält, nimmt echte. Das heißt: ausblasen. Und wer auch die Optik hochhält, nimmt viele. Das heißt: viele ausblasen. Der Geisinger Schafsbrunnen ist dieses Jahr mit einer neuen Garnitur ausgerüstet worden. 300 Eier haben die Schafsbrunnen-Beauftragten um Gerlinde Eichhorn fliederfarben gefärbt, gelb und hellgrün. Und, man kann es sich denken, selbstverständlich haben auch die Farben eine Bedeutung. Flieder steht für die Passion, Gelb für die Ewigkeit, Grün für das Leben. Seit November waren die Osterbrunnenfrauen mit Eier ausblasen, färben und lackieren beschäftigt. Andererseits, es könnte anstrengender sein. In Oberstadion, einem Ort im Alb-Donau-Kreis, hängen mehr als 26 000 Eier am Brunnen. Aber gut, ein Eintrag im Guinessbuch der Rekorde kommt halt nicht von nichts.

Eine Tradition wird heimisch

Als die Osterbrunnenfrauen von Geisingen zu den Osterbrunnenfrauen wurden, gingen ihre Kinder noch in den Kindergarten. Dort haben sie sich kennen gelernt und von der umtriebigen Leiterin für die Geisinger Brauchtums-Premiere gewinnen lassen. Die Kinder sind dem Garten lange entwachsen, die Erzieherin ist längst in den Ruhestand gezogen – dass die Herausputzerinnen der Geisinger Brunnen, inklusive pensionierter Erzieherin. noch immer gemeinsame Sache machen, spricht dafür dass das Brauchtum aus Franken zu einer Tradition in Schwaben wurde. Was wiederum auf eine traditionelle Fortführung hoffen lässt. Nicht dass es in Geisingen eines Tages geht, wie dieses Jahr in Mundelsheim. Dort gibt es keinen Osterbrunnen, weil die Organisatorin krank geworden ist.