Der Scharnhauser Park hat eine wechselvolle Geschichte. 210 Jahre lange war er für die Öffentlichkeit tabu.

Ostfildern - Der jüngste Ostfilderner Stadtteil, der Scharnhauser Park, wird in diesem Jahr 25 Jahre alt. Als Geburtsdatum für das international anerkannte Siedlungsmodell hat man sich in der Stadt auf den 3. Mai 1993  geeinigt, jenen Tag also, an dem der Gemeinderat einst die städtebauliche Konzeption beschlossen hatte. Darüber, dass dieser nun als Gründungsdatum für das Projekt gilt, ist der Ostfilderner Stadtarchivar Jochen Bender nicht überaus glücklich. Als „nicht so ganz toll“, empfindet er diesen Notnagel, der einst in Ermangelung eines zünftigen Spatenstichs oder einer Gründungsurkunde eingeschlagen worden sei.

 

Benders Begeisterung für die wechselvolle Geschichte und die einmalige Entwicklung der rund 150 Hektar umfassenden Fläche tut das aber keinen Abbruch. Er hat den Werdegang des Schapas, wie er liebevoll von den Bürgern genannt wird, in der Schriftenreihe des Stadtarchivs auf- und fortgeschrieben. Zwischen 1784 und 1994 war das Gelände 210 Jahre lang für die Öffentlichkeit tabu. Zäune, Hecken, Parkwächter, Wachhunde oder Soldaten verhinderten das unbefugte Betreten des Areals, das – aussichtsreich auf der Filderhöhe gelegen – landschaftlich schon immer reizvoll war. Das erkannte auch Herzog Carl Eugen von Württemberg, der dort für sich und seine Lebensgefährtin Franziska, Reichsgräfin von Hohenheim, ein Schlösschen samt Wildgehege bauen ließ. Das Anwesen wurde im Jahr 1784 fertig und bereits 1810 von Kronprinz Friedrich Wilhelm durch ein kleines Gestüt ergänzt.

1992 ergab sich die Chance für ein nichtmilitärisches Projekt

Dieses wurde 1817 zum Königlichen Privatgestüt erweitert und viele Jahre geführt, ehe es 1932 aufgegeben wurde. Geplant war dann, dort den Landesverkehrsflughafen Nellingen zu bauen – ein Projekt, das 1936 für gescheitert erklärt wurde. Dennoch wurde das Gelände während des Zweiten Weltkriegs als Fliegerhorst genutzt. 1947 beschlagnahmten die amerikanischen Besatzer das Areal und errichteten darauf ihren Stützpunkt „Nellingen Barracks“. Die Chance, dort ein nichtmilitärisches Projekt umzusetzen, ergab sich schließlich im Jahr 1992, als die USA ihre Stationierungsstreitkräfte von dort abzogen. Ein städtebaulicher Architektenwettbewerb gab den Startschuss für die Entwicklung eines neuen Stadtteils.

An dieser war Herbert Rösch, der damalige Rathauschef, maßgeblich beteiligt. Er erinnert sich an eine „riesige Herausforderung“, denn es galt, eine städtische Investition von mehr als 300 Millionen Euro zu verantworten und „unendliche Wege zu ebnen“. Das habe ihn viele „schlaflose Nächte“ gekostet, räumte Herbert Rösch in einem Interview ein. Aber er und seine Mitstreiter scheinen sie gut genutzt zu haben, denn der Scharnhauser Park wurde mit vielen Preisen – unter anderem mit dem Deutschen Städtebaupreis (2006) – ausgezeichnet und ist international hoch angesehen.

Das liegt laut Herbert Rösch daran, dass „dieses Stück Stadt von den Planungen bis zur Umsetzung eine Handschrift trägt“. Ansonsten, so fürchtet er, „hätten wir dort heute Kraut und Rüben“. Um Letzteres ging es nur noch einmal im Schapa, als dort 2002 die Landesgartenschau – nicht nur mit landwirtschaftlichen Produkten – Besucher von weither anlockte.

Die Aufsiedlung ist weitgehend abgeschlossen

Inzwischen ist die Aufsiedlung des Stadtteils, in dem knapp 9000 Menschen leben, weitgehend abgeschlossen. In 25 Jahren sind dort vielfältige Wohnangebote, eine Schule, eine Stadtbahnanbindung, Geschäfte, das Stadthaus, ein Biomasse-Heizkraftwerk, ein Nachbarschaftshaus für Demenzkranke, ein Jugendtreff, eine Markthalle und vieles mehr entstanden. Zu Beginn der rasanten Entwicklung war Einiges noch gewöhnungsbedürftig, erinnert sich Jochen Bender. Spontan fallen ihm die Bürger ein, die 1994 als erste einzogen. Sie wohnten in den in das städtebauliche Konzept eingebundenen ehemaligen Kasernengebäuden und mussten damals noch am Kontrollpunkt der US-Streitkräfte vorbei, um zu ihrem neuen Zuhause zu kommen. Seitdem sind freilich viele verschiedene Wohnformen entstanden: Mehr- und Einfamilienhäuser, aber auch größere Wohnblöcke als städtische Kante zur markanten Landschaftstreppe. Die Aufteilung und Anordnung bezeichnet der renommierte Architekt und Städteplaner Franz Pesch als durchaus gelungen: „Das hat einfach Stil und ist gut gemacht“, lobt er. Es herrsche eine urbane Dichte, die dennoch Klein- oder Mittelstadtambiente zulasse, urteilt der Fachmann. Doch übt er auch Kritik. Die reinen Funktionsgebäude, in denen ein Discounter seine Waren anbietet, oder eine Rampe zu einem Parkdeck hoch führt, passten nicht in das Ensemble. „Aber guter Städtebau muss auch mal ein mittelmäßiges Objekt vertragen.“ Doch könnte der Schapa nach Ansicht von Pesch einige Läden oder Cafés mehr vertragen, die ihr Ambiente nach außen vermitteln.

Bisweilen wird kritisiert, in dem neu geschaffenen Stadtteil lebten die Menschen weitgehend anonym. Das lässt Franz Pesch nicht gelten. Am Ende setze sich die Qualität durch, „und man identifiziert sich mit dem Stadtteil, in dem man lebt“.