Der umstrittene Wohnungskonzern Vonovia setzt die Kündigung einer schwerbehinderten Rentnerin durch. Für die Zwangsräumung der Wohnung in der Ostfilderner Parksiedlung wählen das Unternehmen und die Gerichtsvollzieherin den 21. Dezember.

Ostfildern - Gisela Kindleb blickt dem Weihnachtsfest mit Grauen entgegen. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird die Wohnung der schwerbehinderten 66-Jährigen in der Ostfilderner Parksiedlung nur drei Tage vor Heiligabend zwangsgeräumt. Wo sie dann unterkommt, ist noch nicht geklärt. Die finale Maßnahme hat die Vonovia, Deutschlands größtes Wohnungsunternehmen, beim Amtsgericht Esslingen erwirkt. Der Konzern,der im Ruf steht, nicht eben zimperlich mit seinen Mietern umzuspringen, will zeitnah einen „Schlussstrich“ unter das Kapitel ziehen, das über Jahre geprägt war von Aufforderungen, Abmahnungen und Gerichtsverfahren. Gisela Kindleb, die seit 25 Jahren in dieser Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus lebt, wird vorgeworfen, durch die Fütterung von Tauben Ungeziefer in die Wohnanlage gelockt zu haben. Sie bestreitet das und räumt lediglich ein, Vögel gefüttert zu haben. Sie beklagt die „Herzlosigkeit der Menschen“, die sie „zum Sündenbock“ machten. Jörg Berrer vom städtischen Bürgerservice empfindet allein eine solche Maßnahme so kurz vor Weihnachten als „unverhältnismäßig“. Er verspricht, die Stadt werde Gisela Kindleb die Obdachlosigkeit ersparen.

 

Die Stadt Ostfildern hilft der 66-Jährigen

Einige persönliche Unterlagen und Kleidungsstücke habe sie schon zu einer Bekannten gebracht, berichtet Gisela Kindleb. Was mit ihren Möbeln nach dem 21. Dezember geschieht, sei hingegen unklar. Die für die Räumung zuständige Gerichtsvollzieherin habe ihr mitgeteilt, das Mobiliar werde zwischengelagert – bis zum 19. Januar. Werde es bis dahin nicht abgeholt, „wird es vernichtet“, klagt Gisela Kindleb. „Aber wie soll ich bis dahin eine Unterstellmöglichkeit für meine Möbel finden?“, fragt sich die Rentnerin. Zumal sie noch nicht einmal wisse, wo sie selbst unterkommen könne. „Eventuell bei einer Bekannten“, sagt sie, wohlwissend, dass dies sehr unsicher sei. Bei ihrer Tochter finde sie auf keinen Fall eine Bleibe: „Die hat drei kleine Kinder, da ist kein Platz. Und sie ist auch noch gegen meine Katze allergisch.“ Ihre Mieze und die beiden Wellensittiche könne und wolle sie nicht missen.

Laut Jörg Berrer bereitet sich der Ostfilderner Bürgerservice „bereits darauf vor, wie wir Frau Kindleb unterbringen“. Auch die Tiere könne sie mitnehmen, verspricht er. Wenngleich es nicht einfach werde, eine Unterkunft zu finden, um die 66-Jährige vor der Obdachlosigkeit zu bewahren. Für eine Frau sei zurzeit kein Platz frei, es müssten zunächst drei Männer umziehen, sagt Berrer. Drei Tage vor Weihnachten einer Mieterin die Wohnung zu räumen, sei ein „absoluter Hammer“ und ein „seltsames Datum“, sagt Berrer, der zudem von einem „Boom-Jahr“ in der Stadt spricht, was Obdachlosigkeit betrifft. Zu seiner Kollegin habe er kürzlich noch gesagt, für den Rest des Jahres herrsche diesbezüglich Ruhe, „doch jetzt müssen wir uns an unserem letzten Arbeitstag 2018 doch noch einmal damit beschäftigen“.

Ein Vonovia-Sprecher berichtet auf Anfrage von einem Fall, der den Konzern „bereits jahrelang“ beschäftige. Die vom Gericht genehmigte Räumung sei „vom Timing her ungünstig“, gibt er zu. Doch solle nun im „Interesse der anderen Mieter“ das Thema „endlich“ abgeschlossen werden. Zumal in den vergangenen Wochen „keine Verhaltensänderung bei der Mieterin“ festzustellen gewesen sei. Das kann Gisela Kindleb nicht nachvollziehen. Sie beteuert, sie habe keine Vögel mehr gefüttert. Auch die Miete habe sie stets pünktlich bezahlt, selbst nachdem diese von der Vonovia erhöht worden sei. „Und „im Gegensatz zu anderen Mietern habe ich mich immer um meine Kehrwoche gekümmert.“, merkt sie an. Die Suche nach einer anderen Wohnung sei nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Eine mögliche neue Bleibe in Neuhausen sei für sie nicht bezahlbar gewesen, und eine Neubauwohnung auf einem Areal in Ostfildern- Ruit, für die sie sich bereits beworben habe, werde nicht rechtzeitig fertig.

Als letzte Hoffnung bleibt der Räumungsschutzantrag

Einen bereits für den 15. Juli dieses Jahres anberaumten Räumungstermin hatte die 66-Jährige noch abwenden können. Das versuchte ihr Rechtsanwalt Martin Ludwig, der ihr von der Caritas vermittelt wurde, auch nun bis zuletzt – offenbar erfolglos. „Es sieht nicht so gut aus“, sagt er. Nach anfänglichem Optimismus müsse man die Sache realistisch sehen, so Ludwig. Der letzte Funken Hoffnung liege jetzt auf dem von ihm am Donnerstag eingereichten Räumungsschutzantrag. Ansonsten sei die Räumung wohl unausweichlich, befürchtet Ludwig. Allerdings hätte er „nicht gedacht, dass ein Gerichtsvollzieher drei Tage vor Heiligabend räumen lässt“. Die Gerichtsvollzieherin Stefanie Frey begründet dies mit Terminzwang. Sie empfinde den Zeitpunkt als „schlimm genug“, erklärt sie auf Anfrage unserer Zeitung. Aber sie sei zum einen von der Verfügbarkeit der beauftragten Spedition abhängig. Zum anderen unterliege sie generell dem Druck der Gläubiger – in diesem Fall des Wohnungsunternehmens Vonovia – „die Maßnahme möglichst schnell durchzuführen“.