Das Stuttgarter Kunstmuseum erinnert mit Werken aus seiner Sammlung an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs: Es zeigt erschütternde Grafiken von Otto Dix, ergänzt um Arbeiten anderer Künstler.

Stuttgart - Heranzischende Granaten, aufgerissene Erde, zerfetzte Körper: noch im hohen Alter haben ihn solche Albträume verfolgt. Albträume, die mit einer freiwilligen Meldung im Zuge nationalpathetischer Euphorie begonnen hatten. Von 1914 bis 1918 kämpfte Otto Dix in der Champagne, in Weißrussland und an anderen Fronten des Ersten Weltkriegs. Länger und umfassender als die meisten seiner Künstlerkollegen, die früh umkamen wie August Macke oder dienstunfähig wurden wie Ernst Ludwig Kirchner, durchlitt der spätere Mitbegründer der Neuen Sachlichkeit das Menschenschlachten.

 

Später hat er sich immer wieder daran gemacht, das Erlebte kreativ zu verarbeiten, ins Bild auszulagern und in der Überzeichnung zu bannen. Die 1924 entstandene Grafikmappe „Der Krieg“ gehört in diesem Umfeld zu den vielleicht eindrücklichsten Bewältigungsversuchen. Jetzt hat das Stuttgarter Kunstmuseum die fünfzig Radierungen aus dem Archiv geholt: „100 Jahre Erster Weltkrieg – Positionen aus der Sammlung“ heißt die Ausstellung, die noch von Dix’ Kreidezeichnungen aus dem Schützengraben sowie Arbeiten anderer Künstler aus der Kriegszeit flankiert wird.

Im Gegensatz zu den Zeitgenossen tritt Dix aber vor allem in die schwarzromantischen Fußstapfen von Francisco de Goyas „Desastres de la guerra“, indem er die militärischen Akteure zu bizarren Spukgestalten verzerrt: Gasmasken-Zombies, grinsende Schädel und Augenpaare, im Wahnsinn erstarrt. Ob Freund oder Feind, vermag niemand zu sagen, die Gesichter des Kriegs sind auf beiden Seiten hässlich. Schaurige Nahaufnahmen von Gefallenen, die in aufgegebenen Stellungen verwesen, wechseln mit apokalyptischen Schlachtfeldern voller Bombentrichter. „Es sind die Augenhöhlen der Erde“, schrieb der Künstler in einer Feldpostkarte. Für das Satyrspiel zur Welttragödie sorgen einige eingestreute Figurengrotesken aus dem Soldatenpuff.

Kubistische Sprengkraft

Obschon die gezeigten Blätter auch werkbiografisch in enger Beziehung zu Gemälden wie dem Dresdener „Kriegstriptychon“ stehen, setzen die beiden Kuratoren Sven Beckstette und Eva-Marina Froitzheim auf Konzentration: Dix’ Mappenwerk bleibt aus sich selbst heraus erschließbar, während ergänzende Exponate wie Oskar Schlemmers Lazarett-Interieur von 1917 eher wenig zum Thema beitragen. Umso überraschender aber die unmittelbar im Einsatz entstandenen Skizzen von Dix selbst, besonders „Volltreffer II“, ein aus Menschengliedern und abstrakten Elementen gebildetes Formenknäuel, das der Sprengkraft der Bomben im kubo-futuristischen Deformationsstil beikommen will.

Was den Ersten Weltkrieg militärisch von allen seinen Vorgängern unterschied, war die Industrialisierung des Tötens. Mit Kanonen von Krupp und Giftgas von BASF. Auf den ersten Blick spart Dix diese Attribute des modernen Kriegs aus, gleichwohl spiegelt er die Konsequenzen – der Einzelne wird zum namenlosen Rädchen einer auf Effizienz programmierten Vernichtungsmaschinerie. Die Lebenden verschwinden in der Masse der Kompanien, die Toten hängen im Stacheldraht wie Fliegen im Spinnennetz. Doch auch hinter der Front zählt der Einzelne wenig. Der neusachliche Weggefährte Reinhold Nägele etwa blickt auf eine zum Lazarett umfunktionierte Fabrikhalle, in der das anonyme Massensterben weitergeht.

Ganz anders dagegen jene noch 1913 gemalte Komposition von Hermann Stenner, der sich im Stil der italienischen Futuristen vom Furor der marschierenden Kollektive ergreifen ließ. Auch dem begabten Stuttgarter Schüler von Adolf Hölzel vernebelte die Droge Krieg derart den Sinn, dass er freiwillig den Pinsel gegen das Gewehr eintauschte. Er fiel noch 1914. Ihm war es im Unterschied zu Dix nicht mehr vergönnt, die erlebten Albträume in Bilder zu verwandeln.

Bis 27. April, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Freitag bis 21 Uhr.