Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Eine kleine Stadt mit rund drei Millionen Besuchern jährlich. Zwei Drittel davon Deutsche, gefolgt von Schweizern und Franzosen. Zehn Prozent der 12.000 Jobs stellt die Outlet-City, die Zahl der Arbeitslosen sank in den vergangenen 13 Jahren um fast 30 Prozent auf aktuell 488. Welche Summe die Modefirmen jährlich in die Gewerbesteuerkasse spülen, mag der Bürgermeister nicht beziffern. "Der Betrag hat eine gewisse Größe, er ist bedeutend", sagt Bez vieldeutig. "Wir sind keine reiche Stadt, wir sind eine wohlhabende Stadt."

 

Viel lieber erzählt der Bürgermeister aber davon, dass Metzingen ein Paradebeispiel ist. Auf seinem Büroschreibtisch liegt eine Landkarte mit allen bestehenden und geplanten Outlet-Standorten in Deutschland. Metzingen ist einer von 21 Punkten. Andernorts seien Modepaläste auf der grünen Wiese entstanden, sagt Bez. "Hier sind sie mittendrin, das ist Stadtentwicklung pur." Sein Ziel ist jetzt, die Ladenbummler öfter vom einen ins andere Metzingen rüberzulocken, sie länger zu halten und Metzingen zu einer richtigen Touristenstadt mit Übernachtungsgästen zu machen. "Bisher haben wir uns unter Wert verkauft."

Metzingen sehen die meisten Besucher nicht

Der Wühltisch in Outlet-City ist der Laden von Esprit. Am Eingang des Modegeschäfts warten Einkaufswagen wie im Supermarkt. Die Kunden verladen hier ganze Kleiderberge. Ein ungeschriebenes Gesetz lautet: erst mal alles greifen, was auf den ersten Blick gefällt, dann abseits des Bummelrummels aussortieren. "Das ist ja wie auf dem Schlachtfeld", murmelt eine Frau, Ende 40, die harsch zur Seite gedrängt worden ist. Sie nimmt einen neuen Anlauf.

Zwei andere Frauen, Ende 30, haben es für dieses Mal hinter sich. Sie sitzen auf einer Bank vor Escada und ruhen die müden Beine aus. Vor ihnen steht ein halbes Dutzend voll gepackter Plastiktüten. Am Vormittag sind sie aus Augsburg angereist, jetzt ist es später Nachmittag. "Wir haben genug", sagt die eine. Ein-, zweimal im Jahr fahren sie zur Shoppingtour nach Metzingen. "Die Atmosphäre hier ist richtig nett, und man kann alles zu Fuß erreichen." Die beiden haben an diesem sonnigen Freitag die halbe Modewelt durchwandert. Metzingen haben sie nicht gesehen.

Bei der Familie Mauch köchelt das Mittagsgeschäft. Erich Mauch, der 78-jährige Inhaber, steht am Herd und brät Maultaschen mit Ei. Am Tisch hinter ihm gönnt sich die Belegschaft einen Happen. Das Café Mauch, wenige Schritte vom Bahnhof gelegen, ist eine Institution im anderen Metzingen. Die Bedienungen tragen weiße Kittelschürzen, und die Gäste genießen Kaffee und Kuchen auf altmodischen Polstermöbeln. Bei Mauch zählt die Tradition und nicht der Trend. 1936 hat Erich Mauchs Vater das Café an der Schönbeinstraße eröffnet. Sein Sohn Thomas ist der Juniorchef.

"Die Stadt Metzingen ist nicht mehr die Stadt Metzingen", sagt der Senior, "es ist ein Anhängsel der Outlet-City." Er sagt es schnoddrig, damit kein Zweifel daran bleibt, wie er die Lage einschätzt. "Hier wird mit zweierlei Maß gemessen", sagt er und meint: das eine Metzingen gedeiht, während das andere Metzingen mit seinen mehr als 22.000 Einwohnern verkümmert. Von den Touristen, die mit dem Zug anreisen, verirrt sich so gut wie keiner ins Café Mauch. "Wenn die vom Bahnhof kommen, laufen sie schnurstracks da runter", sagt die 83-jährige Else Mauch.

Die Outlet-Pfeile führen die Ortsfremden am Schaufenster der Konditorei vorbei. Die Gäste eilen vom Bahnhof in Richtung Sieben Keltern. Der Platz, der als Markenzeichen des anderen Metzingens gilt, ist zwischen 1971 und 1998 frisch eingekleidet worden. Die alten Weinkeltern postieren als historische Sehenswürdigkeiten umrahmt von neu verlegtem Kopfsteinpflaster und renovierten Fachwerkhäusern. Vom Kelternplatz aus dauert der Fußweg knapp zehn Minuten bis zu den beiden winkenden Pantomimen, bis zur Outlet-City Metzingen.

Mit Boss hat alles angefangen

Ein Chinese und seine Geschäftspartner haben ihren Weg gefunden. Sie kennen Metzingen, sagt der Mann in gebrochenem Englisch. Er steht bei Hugo Boss, zwischen Anzügen von der Stange. "I'm on a Businesstour in Europe", sagt er. Geschäftsreise. Und wie immer, wenn noch Zeit bleibt, hat er auch dieses Mal einen Abstecher nach Metzingen gemacht. Vor ihm steht eine große Kunststofftasche. Sie ist das, was ein Einkaufskorb im Supermarkt ist. Er hat zwei Anzüge darin verstaut, zusammengeknüllt wie Schmutzwäsche. Es muss schnell gehen, damit einem keiner ein Schnäppchen wegschnappt. Im Minutentakt schlüpft der Mann in beige Sommerjacken, die ihm ein Begleiter hinhält.

Mit Hugo Boss hat alles angefangen. Das Textilunternehmen war in Metzingen der Pionier des Fabrikverkaufs. In den 70er Jahren verhökerte Boss an drei Tagen die Woche Zweite-Wahl-Artikel. Ende der 90er siedelten sich weitere renommierte Modemarken in Metzingen an, mittlerweile sind mehr als 60 Firmen vertreten. Und es werden immer noch mehr.

Ein Geschäft darf sich dann Factory Outlet nennen, wenn der Betreiber ausschließlich eigene, nicht mehr aktuelle oder fehlerhafte Ware feilbietet. Verkauf ab Fabrik ist das nicht, denn keiner der Modemarken produziert vor Ort. Nicht einmal mehr Hugo Boss. "Boss hat an dem Outlet-Standort nichts mehr mit Fabrikverkauf zu tun", sagt Dietmar Bez, der Erste Bürgermeister. Wenn er über Metzingen spricht, dauert es nicht lange, bis der Begriff der "schwäbischen Erfolgsstory" fällt. Die Autoren dieser Geschichte heißen Uwe und Jochen Holy. Sie sind die Enkel von Hugo Ferdinand Boss und haben den Namen des Großvaters zur Weltmarke gemacht. Mitte der 80er Jahre haben die Brüder das Familienunternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, um sie anschließend zu verkaufen und ein neues Imperium aufzubauen. Der Holy AG gehören heute schier alle Outlet-Immobilien vor Ort.

Ohne Oulets wäre Metzingen eine kleine Stadt

Die Brüder haben sich mittlerweile aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen. Mit ihren Visionen sind sie nie öffentlich hausieren gegangen, Interviews gibt es so gut wie keine. Sie haben die Stadt aus dem Hintergrund umgekrempelt. Das geheimnisvolle Gebaren hat dazu beigetragen, dass sich so mancher Metzinger argwöhnisch gibt, wenn die Rede von den Holys ist. Die Brüder seien die eigentlichen Drahtzieher, die Stadtverwaltung habe sich ihrem Willen längst unterworfen, heißt es. "Dummes Geschwätz", sagt der Erste Bürgermeister. Es gebe "einen harten Kern", der sich beharrlich gegen die Outletisierung stemme, doch könne sich eine Stadt nun mal nur weiterentwickeln, wenn sich etwas verändert. Am Anfang habe es oft Ärger wegen der Autofahrer gegeben, die die Anliegerstraßen zuparkten, sogar eine Bürgerinitiative wurde gegründet. Das Problem sei aber mittlerweile Vergangenheit, sagt Bez. "Wir haben 4000 Parkplätze in Parkhäusern und noch mal so viele vor der Stadt."

Eine Studie der Universität Tübingen liest sich hingegen so, dass mehr als eine Minderheit dem Wandel ihrer Stadt skeptisch gegenübersteht. Studenten der Empirischen Kulturwissenschaft haben Metzingen vor fünf Jahren unter die Lupe genommen. Sie haben erkundet, wie die Outlets die Kultur der Stadt verändert haben. Zum Vorschein kam unter anderem "die Zwiespältigkeit, wenn nicht sogar die Getrenntheit der beiden städtischen Gebiete".

Eine geteilte Stadt: auf der einen Seite Grantler wie Konditormeister Mauch, auf der anderen Seite Befürworter wie Friedrich Schmid, der seit 30 Jahren sein Bekleidungsgeschäft - kein Outlet - an der Reutlinger Straße hat: "Was wäre Metzingen ohne Outlets? Eine kleine Stadt."

Drei Millionen Besucher jährlich

Eine kleine Stadt mit rund drei Millionen Besuchern jährlich. Zwei Drittel davon Deutsche, gefolgt von Schweizern und Franzosen. Zehn Prozent der 12.000 Jobs stellt die Outlet-City, die Zahl der Arbeitslosen sank in den vergangenen 13 Jahren um fast 30 Prozent auf aktuell 488. Welche Summe die Modefirmen jährlich in die Gewerbesteuerkasse spülen, mag der Bürgermeister nicht beziffern. "Der Betrag hat eine gewisse Größe, er ist bedeutend", sagt Bez vieldeutig. "Wir sind keine reiche Stadt, wir sind eine wohlhabende Stadt."

Viel lieber erzählt der Bürgermeister aber davon, dass Metzingen ein Paradebeispiel ist. Auf seinem Büroschreibtisch liegt eine Landkarte mit allen bestehenden und geplanten Outlet-Standorten in Deutschland. Metzingen ist einer von 21 Punkten. Andernorts seien Modepaläste auf der grünen Wiese entstanden, sagt Bez. "Hier sind sie mittendrin, das ist Stadtentwicklung pur." Sein Ziel ist jetzt, die Ladenbummler öfter vom einen ins andere Metzingen rüberzulocken, sie länger zu halten und Metzingen zu einer richtigen Touristenstadt mit Übernachtungsgästen zu machen. "Bisher haben wir uns unter Wert verkauft."

Metzingen sehen die meisten Besucher nicht

Der Wühltisch in Outlet-City ist der Laden von Esprit. Am Eingang des Modegeschäfts warten Einkaufswagen wie im Supermarkt. Die Kunden verladen hier ganze Kleiderberge. Ein ungeschriebenes Gesetz lautet: erst mal alles greifen, was auf den ersten Blick gefällt, dann abseits des Bummelrummels aussortieren. "Das ist ja wie auf dem Schlachtfeld", murmelt eine Frau, Ende 40, die harsch zur Seite gedrängt worden ist. Sie nimmt einen neuen Anlauf.

Zwei andere Frauen, Ende 30, haben es für dieses Mal hinter sich. Sie sitzen auf einer Bank vor Escada und ruhen die müden Beine aus. Vor ihnen steht ein halbes Dutzend voll gepackter Plastiktüten. Am Vormittag sind sie aus Augsburg angereist, jetzt ist es später Nachmittag. "Wir haben genug", sagt die eine. Ein-, zweimal im Jahr fahren sie zur Shoppingtour nach Metzingen. "Die Atmosphäre hier ist richtig nett, und man kann alles zu Fuß erreichen." Die beiden haben an diesem sonnigen Freitag die halbe Modewelt durchwandert. Metzingen haben sie nicht gesehen.