Nach 37 Jahren wird das deutsche Forschungsschiff „Sonne“ ausgemustert und bekommt für 124 Millionen Euro einen Nachfolger gleichen Namens. Ein Besuch auf einem Schiff, das Meeresforschern alle Wünsche erfüllt.

Bremen - Wenn sich Ölscheichs auf deutschen Werften Luxusyachten bauen lassen, dann müssen sie laut einer Faustformel etwa eine Million Euro pro Meter Schiffslänge zahlen. Das Forschungsschiff „Sonne“, das diese Woche in Dienst gestellt wurde, gehört etwa zur selben Preisklasse: 124 Millionen Euro für 116 laufende Schiffsmeter. Die neue bundeseigene „Sonne“ löst die von einer Privatfirma betriebene gleichnamige Vorgängerin ab, die jetzt in Colombo (Sri Lanka) auf einen Käufer wartet. Dass vor allem der Bund und nebenbei auch die fünf norddeutschen Küstenländer so viel Geld in ein Schiff stecken, hält der Kapitän der alten und der neuen „Sonne“, Oliver Meyer, für ebenso sinnvoll wie der Geowissenschaftler Gerold Wefer vom Bremer Uni-Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (Marum). Sein Institut zählt zu jenen Einrichtungen, die das Laboratorium für Forschungsreisen buchen können.

 

Der Vorgänger, ein umgerüsteter Fischfänger, sei nach 37 Betriebsjahren zu kostspielig geworden, sagt Wefer bei einer Presseführung. „Das ist wie bei einem Auto“: Irgendwann werden die Reparaturen so teuer, dass man sich lieber ein neues kauft. Und dann gerne ein größeres und besseres. Die neue „Sonne“ ist 20 Meter länger als die alte und bietet Platz für 75 statt 50 Forscher und Seeleute. Das Kabel, mit dem die Geräte im Meer versenkt werden, reicht für 12 000 statt 8500 Meter Tiefe.

Dank Katalysatoren ist der dieselelektrische Antrieb besonders abgasarm, und der Rumpf wurde in Schleppversuchen mit Schiffsmodellen so verbrauchsgünstig optimiert, dass an der Bordwand sogar der Blaue Engel prangt – für „umweltfreundliches Schiffsdesign“. Außerdem bilden sich unter dem Rumpf jetzt keine Luftblasen mehr, die einst die Tiefenmessungen per Echolot störten. Dass jetzt mehr Platz an Bord ist, entspricht den steigenden Ansprüchen der Forscher. Viele bringen ihre eigene Ausrüstung mit, und die wird immer umfangreicher. Früher passte sie oft in einen 20-Fuß-Container; heute wird allein schon das Meeresbohrgerät MeBo 200 in sieben Containern angeliefert – ein Gerät, das auf dem Meeresboden abgesetzt wird und sich dann bis zu 200 Meter tief hineinbohrt, um Proben zu entnehmen.

Acht Labors warten auf die Proben aus dem Meer

Die „Sonne“ macht gerade eine Vorstellungstournee durch norddeutsche Häfen, und für die schaulustigen Landratten wurden gleich mehrere imposante Geräte an Bord geholt. Auf dem großen Freideck in der hinteren Schiffshälfte schlendert man zum Beispiel an einem knallgelben, torpedoförmigen Gefährt vorbei, das sich „AUV“ nennt: Autonomes Unterwasser-Vehikel. Es kann dicht über dem Meeresgrund durchs Wasser gleiten, und seine eingebauten Echolote sammeln dann Daten für dreidimensionale Karten. Nebenan steht ein „Kastengreifer“, eine Art Baggerschaufel im Würfelformat. Sie holt Krebse, Würmer und andere Meeresbewohner aus dem Boden. Wer mag, kann aus seinem Institut auch einen „Multicorer“ mitbringen: ein Gerät mit zwölf Plexiglasröhren zur Entnahme von Sedimentproben.

„Hinten am Heck steht das Beste von allem“, sagt Kapitän Meyer und zeigt auf das „ROV Phoca“, ein Vehikel, das ein bisschen an eine Seilbahngondel erinnert. Es lässt sich mit verschiedenen Geräten ausstatten und schwimmt dicht über dem Meeresgrund, angetrieben von Propellern an jeder Ecke. Die „Piloten“ sitzen in einem Kontrollcontainer auf dem Arbeitsdeck der „Sonne“. Von dort aus steuern sie das Vehikel über ein Glasfaserkabel – „seine Nabelschnur“, wie Meyer sagt.

Eindruck macht auch das „Golden Eye“, ein elektromagnetisches „Auge“ zur Rohstoffsuche in der Tiefsee. Das gelbe Gerät sieht aus wie eine riesige liegende Filmspule. Es schickt Strom durch den Meeresboden; an der Leitfähigkeit des Untergrunds können Forscher erkennen, ob hier Edelmetalle schlummern.

Um diese Instrumente fachmännisch zu Wasser lassen zu können, verfügt die „Sonne“ über diverse Kräne, Ausleger und Winden. Besonders imposant: der Heckgalgen mit 30 Tonnen Tragkraft, der wie ein rechteckiges Tor den Abschluss des Schiffes markiert. Auf der alten „Sonne“ mussten die Geräte bei Wind und Wetter auf offenem Deck vorbereitet und gewartet werden. Der Neubau ist da arbeitnehmerfreundlicher: Er hat einen 120 Quadratmeter großen „Hangar“. Hier können auch Bohrkerne auf meterlangen Tischen gelagert und analysiert werden. Was sonst noch alles aus dem Meeresboden gebaggert oder aus dem Wasser gefischt wird, landet je nach Konsistenz in einem der acht Labors: vier für trockenes Material, zwei für nasses und zwei für kühlbedürftige Lebewesen.

Auch Sauna und Lounge gibt es an Bord

Auf derselben Ebene, dem Deck 03, sitzt die Hydroakustikzentrale voller Computer. Hier laufen die Daten von Echoloten am Schiffsrumpf ein. Damit lässt sich der Meeresboden streifenweise genau vermessen. Ein Deck tiefer werden Salzgehalt, Dichte und Temperatur des Wassers ermittelt.

„Das ist ein tolles Schiff“, resümiert Wefer nach einer zwölftägigen Probefahrt. Und Kapitän Meyer findet: „Es lässt sich hervorragend manövrieren und fährt sehr ruhig.“ Die erste Expedition, erzählt Meyer, startet Mitte Dezember: Das Kieler Geomar-Institut will mit dem „MOV“ Bodenproben in der Karibik entnehmen. Die Bremer Marum-Forscher haben das Schiff erst für 2016 gebucht. Dann untersuchen sie mit einem internationalen Team vor der Ostküste Neuseelands „Rutschungskörper“, also quasi Unterwasserlawinen, die Fernmeldekabel zerstören oder schlimmstenfalls Tsunamis auslösen können. Vielleicht kommen sie dabei dem Geheimnis auf die Spur, was solche Rutschungen an Kontinentalhängen verursacht.

Während der vierwöchigen Exkursion leben die Forscher nicht mehr wie früher in Doppelkabinen, sondern in Einzelzimmern. Neu sind auch eine Sauna, eine Bibliothek, eine Bar und eine Lounge – aber alles deutlich bescheidener eingerichtet als bei den Privatyachten von Ölscheichs.