Warum passen zwei Menschen zueinander? In einer Serie sprechen Paare über ihr Leben. Heute: Frank und Martina Gmelch durften nicht zusammen sein, weil er katholischer Priester war.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Ulm - Ein Häuschen im Ulmer Stadtteil Unterweiler. Im Garten staksen ein paar Hühner. Im Flur sitzt Benny, ein dreibeiniger Kater von der Katzenhilfe. Im Kinderzimmer steht der dreijährige Lennard bei seinem kleinen Bruder Zacharias an der Kaufladentheke. Hier leben Frank und Martina Gmelch. Jahrelang hielten sie ihr Verhältnis geheim, sonst hätte er nicht Pfarrer bleiben können.

 
Herr und Frau Gmelch, erzählen Sie uns von sich?
Martina Gmelch Ich bin in Ansbach aufgewachsen. Schon von klein auf war ich kirchlich engagiert als Ministrantin, Gruppenleiterin, Oberministrantin.
Frank Gmelch Ich komme aus Obertrubach in der Fränkischen Schweiz. Der Katholizismus war in meinem Dorf und in meiner Familie ausgeprägt. Schon als Bub wollte ich Priester werden. Ich liebte die sinnliche Erfahrung der Liturgie, wollte Teil davon sein. So ging ich mit zwölf ins Jesuiten-Internat.
So jung und schon so überzeugt?
Frank G. Ja. Meine Eltern förderten den Wunsch sehr. Anfangs hatte ich großes Heimweh. Mit der Zeit ging es besser. Mir gefielen der spirituelle Geist, die Padres, die Vorbereitung auf die Sakramente. Nach dem Abi ging ich gleich ins Priesterseminar.
Martina G. Ich war nie ein ausgeprägt kontemplativer Mensch. An der Kirche gefiel mir die Gemeinschaft. Ich fühlte mich gut aufgehoben in den Gruppen, bei Zeltlagern, beim Musizieren.
Sie waren vergeistigter, Herr Gmelch?
Frank G. Während des Studiums wurde ich schon noch mal herausgefordert, weil mir bei der biblischen Exegese doch viel von meinem kindlichen Glauben genommen wurde. Aber 1997 war es so weit: Ich empfing meine Priesterweihe im Bamberger Dom. Ein Höhepunkt für mich, meine Familie und ganz Obertrubach. Das Fest dauerte mehrere Tage. In Bayern auf dem Land ist das Priesteramt noch von einer gewissen Bedeutung.
Hatten Sie zuvor je mit der Zölibatsfrage gerungen?
Frank G. Nein. Ich lernte schon auch Mädels kennen, aber es gab nie eine feste Beziehung. Für mich war immer klar: Ein Priester lebt ehelos. Mit diesem Selbstverständnis wurde ich Kaplan und trat dann 2001 meine erste Pfarrstelle in Ansbach an.
Wo Martina ins Spiel kam.
Frank G. Wir wurden einander vorgestellt. Man erzählte mir, dass sie sich sehr in der Gemeinde engagiere. Ich nahm sie als – darf ich das so sagen, Martina? – etwas biedere junge Frau wahr.
Martina G. Bieder??? Frank G. Na ja, ein 19-jähriges Mädel eben, das nicht viel fortgeht, lieber daheim bei den Eltern ist und in ihrer Freizeit gern klassische Musik singt.
Martina G. Ich fand ihn a bissle übertrieben spaßig. Er lachte immer so mit den Leuten. Das scheint ja ein richtiger Witzbold zu sein, dachte ich. Wir hatten anfangs keine offenen Augen füreinander.
Wann dann?
Frank G. 2002 besuchte eine Delegation unserer Pfarrei die Partnergemeinde in Tansania: Mit dabei war auch eine Vertreterin der Jugend – Martina.
Martina G. Das Glück war: Unsere Zimmer hatten einen gemeinsamen Balkon. Frank war Raucher, und ich als biedere Frau hängte meine mit Rei in der Tube gewaschenen Kleider am Abend zum Trocknen auf. So trafen wir uns und redeten noch lange.
Frank G. An den nächsten Abenden hat man dann schon geschaut, ob der andere wieder draußen ist. Oder man hat die Cola-Flasche etwas lauter auf die Brüstung gestellt, damit der andere auch Notiz von einem nimmt. Das Schöne war, dass ich mit ihr als Mensch reden konnte. Sie stellte auch Fragen, die ins Persönliche gingen. Das tat mir gut. In der Pfarrei hast du halt immer deine Rolle als Pfarrer.
Martina G. Wir konnten uns öffnen.
Frank G. Ich merkte bald: Mensch, irgendwas an der Martina ist anziehend. Sie hat so eine Ausstrahlung.
Tagsüber waren Sie distanzierter?
Martina G. Bei Ausflügen versuchten wir schon, im Jeep nebeneinander zu sitzen. Manchmal haben sich auf den holprigen Wegen unsere Knie berührt.
Frank G. Aber es war noch alles völlig harmlos.
Irgendwann ging es wieder zurück.
Martina G. Und wir fielen in ein Loch. Er saß wieder im Pfarrhaus mit seiner Mutter als Haushälterin, ich bei meinen Eltern im Reihenhaus. Über Handy konnten wir uns immerhin nette Grüße schicken.
Frank G. Bis ich eines Tages gewagt habe, am Ende einer SMS zu schreiben: „H d l“.
Martina G. Ich bin erschrocken: Oh Gott, jetzt schreibt der so was. Das war ja nicht mehr unverfänglich. Aber ich freute mich sehr.
Frank G. Nach kurzer Zeit kam die entsprechende Antwort zurück.
Martina G. Irgendwann schrieb er, dass wir uns treffen müssen. Ich dachte: Oh Gott, jetzt sagt er bestimmt, dass das mit uns aufhören muss.
Gab es solche Gedanken bei Ihnen?
Frank G. Es gab auch Zweifel. Was wird das nur? Kann das denn gut gehen? Ich wollte doch immer Pfarrer werden. Auf der anderen Seite fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Ich wollte sie sehen, mit ihr zusammen sein. Da ging das Dilemma schon los.
Wie war das Treffen?
Martina G. Furchtbar, wir waren sehr gehemmt. Das Gespräch lief ganz oberflächlich, gar nicht mehr wie unsere Balkongespräche. Keiner traute sich.
Frank G. Drei Monate später trafen wir uns wieder.
Martina G. Es war der 15. Januar 2003. Ich hatte so Angst, dass er mir jetzt erklärt, warum das mit uns nicht sein darf. Ich wollte ja alles andere als aufdringlich sein. Aber dann begann er ganz salbungsvoll, als stünde er auf der Kanzel: „Martina, ich muss dir etwas sagen. Ich habe in mich hineingehört. Und ich habe mich gefragt: Ist da denn mehr? Und ich frage mich: Ist das denn Liebe . . .?“ Dann nach einer Kunstpause: „. . . und ich denke, es ist Liebe.“
Frank G. Damit zieht sie mich immer auf. Jedenfalls sagte sie damals, sie fühle wie ich. Der nächste Satz war aber schon: Wie geht es weiter? Ich wollte auf jeden Fall weiter Pfarrer sein. Ich erklärte ihr, dass es nur einen kleinen Rahmen geben könne, in dem wir uns bewegen. Und dann haben wir uns zum ersten Mal getraut, unsere Hände ineinander zu legen.
Nun waren Sie ein Paar.
Frank G. Für mich war es ein großes Geschenk zu erfahren, dass Liebe sich nicht auf die Theorie beschränkt. Aber wir mussten aus der Pfarrei flüchten, um bei Waldspaziergängen ein paar Momente der Zweisamkeit zu haben.
Martina G. Als ich dann mein Studium in Bamberg begann, konnten wir uns nur noch an den Wochenenden für ein, zwei Stündchen sehen. Wir lebten auf die Urlaube hin. Ein paar Tage nur für uns – Dänemark, Mecklenburger Seenplatte, Lüneburger Heide. Einmal wie ein richtiges Paar zusammen sein. Hand in Hand im Café sitzen. Ein Stück Alltag leben. Ich weiß noch, das Höchste war für uns, im Supermarkt einzukaufen. Wir haben das zelebriert, sind von Regal zu Regal gegangen: Was nehmen wir denn?