Die Paar- und Sexualtherapeutin Kirstin Deter aus Villingen erklärt, wieso Beziehungen zwischen mehreren Partnern durchaus funktionieren können und welche Vorteile sie mit sich bringen.

Polyamorie stößt auf viel Kritik: Es sei gar keine echte Beziehung, nur eine Modeerscheinung oder gar die Erlaubnis zum Fremdgehen. Kann so eine Beziehung also überhaupt funktionieren? Ja, meint die Villinger Paar- und Sexualtherapeutin Kerstin Deter, die mit dem Schwarzwälder Boten gesprochen hat. Jedoch seien dafür einige Dinge zu berücksichtigen.

 

Doch was genau ist überhaupt Polyamorie? Der Begriff setzt sich zusammen aus dem altgriechischen Wort „poly“ (dt.: „mehrere“) und dem lateinischen Wort „amor“ (dt.: „Liebe“). Es bedeutet also mit mehreren Menschen gleichzeitig eine Liebesbeziehungen zu führen. Die Anzahl und das Geschlecht der Partner spielen dabei keine Rolle.

Jedoch seien polyamore Beziehungen klar von offenen Beziehungen abzugrenzen, erklärt Deter. Denn es handle sich hierbei um ein verbindliches Konstrukt, das auf dem Wissen, der Freiwilligkeit und der Zustimmung alller Beteiligten basiert. Dabei stehe ein liebevolles Miteinander und gegenseitiger Respekt im Vordergrund.

Schwierigkeiten in polyamoren Beziehungen

„Aber sie steht natürlich anderen Herausforderungen gegenüber, als eine monogame Beziehung und braucht natürlich auch anderes“, erklärt die Paartherapeutin.

So könne eine Schwierigkeit sein, dass einer der Partner nicht wirklich dahintersteht. „Also der eine dem anderen gefallen möchte, oder diese Form eingeht, weil er Angst hat, den anderen zu verlieren. Da wirds natürlich schwierig“, meint Deter.

Eifersucht und Hierarchie

Auch Eifersucht kann ein Thema sein. „Wenn vielleicht die Sorge besteht, dass die Beziehung sich insofern verändert, dass eine Person sich doch nach außen hin verliebt oder sich die Konstellation so entwickelt, dass sich die Beziehung zu einer Person intensiviert“, erklärt die Expertin.

Wenn es hierarchische Strukturen gibt, könne das zu einem Ungleichgewicht und damit zu Unzufriedenheit führen. „Ich glaube, das ist häufiger gegeben, wenn einer eigentlich gar nicht so sehr will, sondern sich nur darauf einlässt, um dem anderen zu gefallen“, so Deter. „Davon abgesehen, gibts das ja aber auch in monogamen Beziehungen.“

Auch mangele es manchmal an ausreichend Anerkennung, etwa in Form einer Eheschließung, da Vielehen in Deutschland gesetzlich verboten sind.

Der soziale Druck und gesellschaftliche Normen, erleichtern die Beziehung da nicht gerade. „Besonders im ländlichen Raum, werden polyamore Beziehungen, glaube ich, häufig heimlich gelebt. Also es gibt sie, es gibt sie viel seltener, und wenn, dann gibt es sie häufig nicht offen“, erklärt Deter. „Das kann dann auch zu einer Isolation führen.“

Traditionelles Denken und Unverständnis

„Ich glaube, das hat ganz viel mit traditionellem Denken zu tun. Oft besteht auch so ein Unverständnis“, erklärt sich Deter die Kritik an polygamen Beziehungen. „Viele möchten einfach der oder die Einzige sein, die der Partner liebt und da können sich ganz wenige vorstellen, seinen Partner oder die Partnerin zu teilen.“

Aber ist das überhaupt natürlich, mehrere Personen zu lieben? „Also so wie es aussieht schon“, meint Deter. „Sonst hätten wir nicht so viele Außenbeziehungen, fürchte ich.“ Mit Außenbeziehungen meint sie dabei, Affären oder Seitensprünge, die außerhalb der eigentlichen Beziehung gelebt werden.

Mehr Zeit und Aufwand nötig

Menschen in polyamoren Beziehungen stehen also vor vielen Herausforderungen. Damit es trotzdem funktionieren kann, bedarf es so einiges. So müsse um einiges mehr an Zeit und Aufwand für Kommunikationen und Organisation in die Beziehung gesteckt werden.

„Es müssen natürlich Vereinbarungen getroffen und spezifische Regeln aufgestellt werden, für die Beziehung. Und alle Beteiligten müssen sich daran halten können“, erklärt Deter. „Dafür braucht es mehr Toleranz und Akzeptanz, die Macken nicht nur einer Person hinzunehmen, sondern von vielleicht zwei oder drei Personen.“

Auch brauche es ganz viel Selbstbewusstsein, um den neuen Partner, der in die Beziehung mit reinkommt, nicht als Gefahr für sich und die Beziehung zu betrachten. Zudem brauche es viel Selbstachtsamkeit. Man müsse sich immer wieder fragen, was will ich und was möchte ich einfordern, damit ich mich auch in der Beziehung, in dieser Konstellation, wohlfühle?

Das wichtigste sei eine sehr offene und ehrliche Kommunikation, um eigene Bedürfnisse oder mögliche Sorgen und Ängste ansprechen und sie vielleicht gemeinsam bewältigen zu können. „Also es gibt einen erhöhten Bedarf an Beziehungsarbeit und Aufmerksamkeit für sich und die anderen.“

Beziehungsmodell bringt auch Vorteile

Deter ist überzeugt: „Ich denke, wenn man einige Dinge berücksichtigt und eine entsprechende Haltung hat, dann kann es funktionieren“. Sie hatte den Fall selbst schon, in Form einer Dreier-Konstellation, in ihrer Praxis. Und tatsächlich bringe diese Modell manchmal sogar Vorteile mit sich – gerade wenn man Kinder hat.

So könne, selbst wenn der eine gerade keine Zeit hat, dafür der andere Partner auf die Kinder aufpassen. „Das fand ich dann nochmal einen besonderen Aspekt, den ich vorher gar nicht so beachtet hatte und ich dachte: Ach das ist aber praktisch“, erzählt Deter.

Man muss nicht alle Bedürfnisse erfüllen

„Das schöne ist, man muss nicht alle Bedürfnisse erfüllen“, dieser Satz brannte sich bei Deter ein. Denn es gebe ja schließlich noch einen anderen Partner.

„Das fand ich einen interessanten Aspekt, weil wir uns so oft wünschen, dass der andere alle unsere Bedürfnisse erfüllt und das geht ja oft gar nicht. Und umso älter man wird, desto mehr merkt man, dass es nicht funktioniert.“

Rund 10 000 Menschen in Deutschland leben polyamor

Mittlerweile leben schätzungsweise rund 10 000 Menschen in Deutschland polyamor. Doch wie kommt es, dass trotz der vielen Hindernisse immer mehr Leute polyamore Beziehungen eingehen?

„Ich denke, zum einen wird in der heutigen Gesellschaft immer mehr für Toleranz und Akzeptanz geworben und wir lernen neue Konstrukte von Beziehungen kennen“, erklärt sich Deter den Anstieg polyamorer Beziehungen in der Gesellschaft.

„Gerade in der Großstadt ist man vielleicht freier, anonymer. Und dadurch, dass wir neue Konstrukte vorgelebt bekommen, sind wir auch neugierig und vielleicht freier, uns in unterschiedlichen Formen zu verbinden. Also es ist einfach mehr möglich“, sagt Deter.

Das Konzept sei also nicht neu, es werde nur leichter und gesellschaftlich akzeptierter, es auch auszuleben.

Monogamie funktioniert nicht unbedingt besser

Vielleicht liege es jedoch auch daran, dass monogame Beziehungen auch nicht unbedingt besser funktionieren oder mehr Sicherheit geben, meint Deter. „Oft werden ja gerade in Einehen Außenbeziehungen gelebt und verheimlicht“, erklärt die Paartherapeutin.

„Und das was wir in der Beratung mitkriegen, ist nicht unbedingt die Außenbeziehung an sich, sondern die Heimlichkeit, die als Verrat und Betrug empfunden wird, was zu einer großen Kränkung und Verletzlichkeit führt und diese Form oft scheitern lässt.“