Die Ermittlungskapazität wurde vervierfacht und neue Technik angeschafft: Dass in letzter Zeit so viele Fälle von Kindesmissbrauch in NRW ans Licht kamen, hat womöglich auch damit zu tun. Doch reicht das? Rufe nach der Vorratsdatenspeicherung werden wieder laut.

Münster - Nach der Aufdeckung eines Pädophilen-Netzwerks in Münster werden nach Überzeugung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in den kommenden Monaten weitere Fälle folgen. Dass in Nordrhein-Westfalen „immer mehr Missbrauchsfälle bekannt werden“, habe viel damit zu tun, dass die Ermittlungskapazitäten in dem Bereich erhöht worden seien, sagte der stellvertretende GdP-Landesvorsitzende Michael Maatz. „Deshalb müssen wir damit rechnen, dass in den nächsten Monaten weitere Gruppen von Kinderschändern auffliegen werden, zum Teil in Dimensionen, die sich bislang niemand vorstellen kann.“

 

Auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sah sich bestätigt. Nach dem Missbrauchsfall von Lügde sei bei der Polizei das Personal zur Verfolgung von Kindesmissbrauch vervierfacht und die technische Ausrüstung verbessert worden, sagte Reul am Sonntagabend in der WDR-Sendung „Westpol“. „Und seitdem decken wir einen Fall nach dem anderen auf, genau das wollte ich.“ Jeder weitere Fall, der entdeckt werde, zeige, dass die Polizei gut arbeite.

„Datenschutzregeln behindern die Ermittlungsarbeit“

In Nordrhein-Westfalen haben die Ermittler in Münster ein Pädophilen-Netz entdeckt und bundesweit elf Verdächtige festgenommen. Sieben der Beschuldigten sitzen in Untersuchungshaft. Darunter ist auch die Mutter des Hauptbeschuldigten, die als Erzieherin in einem Kindergarten gearbeitet hat. Ihre Gartenlaube in Münster gilt als Haupttatort. Die Opfer waren drei Jungen im Alter von fünf, zehn und zwölf Jahren.

Schauspieler Jan Josef Liefers (55), der Star im Fernseh-„Tatort“ aus Münster, würdigte auf Instagram die Arbeit der Beamten. „11 Festnahmen, 7 Haftbefehle - Großer Dank“, schrieb der. Den Ermittlern, „die sich durch Terabytes übelster Kinderpornografie arbeiten müssen“, bekundete er Respekt und Mitgefühl.

Nordrhein-Westfalen war zuletzt mehrmals von schweren Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs erschüttert worden. So hatten mehrere Männer auf einem Campingplatz in Lügde über 30 Kinder jahrelang vergewaltigt. Seit Monaten ermitteln Beamte zudem in einem bundesweiten Missbrauchskomplex, der in Bergisch Gladbach seinen Anfang nahm.

GdP-Landesvize Maatz kritisierte, dass die Ermittlungsarbeit durch Datenschutzregeln behindert werde. Es könne Jahre dauern, bis das Beweismaterial gesammelt sei. Dann seien aber die Verbindungsdaten längst gelöscht, und die Computer-Adressen ließen sich kaum noch den weltweit agierenden Tätern zuordnen. „Wenn wir verhindern wollen, dass die Verbreitung von Kinderpornografie über das Internet straffrei bleibt, müssen wir die Telekommunikationsunternehmen verpflichten, die Verbindungsdaten ihrer Kunden wieder zu speichern und den Ermittlungsbehörden zur Verfügung zu stellen.“

Vorratsdatenspeicherung könnte die Verfolgung der Spuren erleichtern

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Mathias Middelberg (CDU), sagte laut einem „Bild“-Bericht, die Vorratsdatenspeicherung könne die Verfolgung von Spuren deutlich erleichtern. „Wir brauchen jetzt wirklich die Vorratsdatenspeicherung. (...) Datenschutz darf nicht zum Täterschutz werden!“ Auch andere Innenpolitiker der Großen Koalition forderten „Bild“ zufolge Verschärfungen bei Verfolgung und Prävention.

Nach Ansicht der Kinderschutzorganisation Innocence in Danger haben digitale Medien und Internet die Dimension von Missbrauch „gigantisch verschlimmert“. „Es macht es einfacher für die Täter, sich zu organisieren und Missbrauchsdarstellungen auszutauschen“, sagte Julia von Weiler, die Geschäftsführerin der Bewegung gegen Kindesmissbrauch, der Deutschen Presse-Agentur. Im Missbrauchsfall von Münster hatten die Ermittler eine sehr große Menge an Daten vorgefunden, die noch lange nicht entschlüsselt sind.

Der Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, mahnte mehr Wachsamkeit an. „Die betroffenen Kinder haben ein soziales Umfeld. Sie haben Nachbarn, gehen in Kitas, Schulen oder Sportvereine. Es kann nicht sein, dass nie jemand etwas bemerkt haben will“, sagte Rörig der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Neben wirksamen Strafverfolgungsinstrumenten brauche es dringend mehr Anstrengungen „bei Prävention und der breiten Sensibilisierung und Aufklärung unserer Gesellschaft“.