Was tun als Musiker, wenn alle WM schauen? Ganz einfach: spielen! The Pains of Being Pure at Heart haben im Schocken in Stuttgart das einzige Clubkonzert während der WM gegeben. Und ja, Spanien gegen Chile war langweiliger.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Bei der ersten Zugabe kann man von draußen die Fußballfans hören. Auf ganzer Platzbreite haben sie Platz genommen vor dem Stuttgarter Club Schocken, die zweite Halbzeit Chile gegen Spanien läuft. Kip Berman, der Sänger und Songwriter der US-Band The Pains of Being Pure at Heart, steht alleine auf der Bühne, er schrammelt ein paar Akkorde und singt darüber eines seiner vielen verträumten Lieder. Von draußen dringen Fangeräusche herein, der bekannte Matsch aus Wortfetzen des Moderators, dem Publikum im Stadion und den Leuten beim Public Viewing. 

 

"Bloß nicht!", denkt man sich, und zum Glück steht schon die gesamte Band da und spielt, verzerrt, ja: schrammelt und schreit gegen diese WM an, auf dass man nur den schönen Indie-Pop von The Pains of Being Pure at Heart hört und nicht dieses olle Sportereignis, das eh noch bis Mitte Juli dauert.

Band oder Buzzfeed?

Es ist insofern ein großes Glück an diesem Abend, dass die Band ein lautes Set spielt. The Pains of Being Pure at Heart klingen auf ihrem aktuellen Album "Days of Abandon" anders als auf den Vorgängern - was damit zu tun haben könnte, dass vom Original-Line-Up nur noch Sänger Kip Berman übrig ist. In einer schönen Story des Magazins Spin ist vermerkt, dass etwa die bisherige Bassistin und der Ex-Schlagzeuger jetzt einen Vollzeitjob bei Buzzfeed  haben - ja genau, bei jener Klickfänger-Plattform, die mit Listen, Quiz-Inhalten und spektakulären Videos zu einer der derzeit populärsten Websites geworden ist. 

So flexibel ist man eben in Brooklyn, wo die Band herkommt. Deshalb: Fokus auf das Konzert am Mittwochabend. Fazit: Überzeugt, gerade jetzt im Sommer.

Eine steht zweimal auf der Bühne

Die fünf Musiker in der aktuellen Pains-Besetzung sind allesamt fähige Leute, die noch jünger aussehen als sie eigentlich sind. Der Bassist Jacob Sloan, der auf der aktuellen Platte noch gar nicht mitgespielt hat, legt gemeinsam mit dem Schlagzeuger Anton Hochheim ein solides Rhythmusgruppen-Fundament. Neben der perfekten Hipster-Optik (bunte Socken, Jeans überm Knöchel, hochgerollte Ärmel) überzeugen Sloans Bass-Sounds, sie fügen sich gut in den Gesamtsound ein. Der wird von der Gitarre vom Bruder des Schlagzeugers, Christoph Hochheim, stark akzentuiert.

Hochheim macht es gar nichts aus, auch mal kräftig in die Saiten zu greifen und ein fettes, verzerrtes Gitarrenbrett zu bohren - soll uns recht sein, dann hört man das Fußballgejohle draußen nicht. Vor allem aber spielt er schöne, an Johnny Marr von den Smiths und zweitweise an The Cure erinnernde Riffs und auch seine Gitarrensounds klingt nach Achtzigern. Das sind ausgeklügelte, immer wieder polyphone Licks, und sie enden oft in einem dahingeworfenen Akkord. Das holt Fans der Smiths und ähnlicher Bands genau da ab, wo ihr Herz schlägt.

Neben Sänger Kip Berman steht noch Jessica Weiss auf der Bühne - als zweite Sängerin und Keyboarderin. Zuvor ist sie schon als Frontfrau der erwähnenswerten Supportband Fear of Men positiv aufgefallen; besonders ihr Gesangspart in dem Song "Kelly" (einer der besten auf dem Album) überzeugt mit schöner Phrasierung und tiefem Timbre.

Marr und Morrissey im Sonnenlicht

Genau solche Songs hätten die Smiths geschrieben, wenn sie damals etwas mehr Sonnenlicht gesehen hätten. Und ganz ähnliche Songs schreiben heute die englischen Veronica Falls. Die fünf Bandmitglieder von The Pains of Being Pure at Heart schauen fast ein bisschen zu traurig aus ihren großen Augen, während sie diese lebensbejahenden Songs spielen. Die Texte sind übrigens genauso getrieben von jugendlicher Selbstfindung wie jene von Morrissey. Dabei ist der Songwriter Kip Berman schon Mitte dreißig!

Man darf froh sein, dass dieses Konzert nicht wie manch anderer Auftritt der Fußball-WM zum Opfer gefallen ist. Klar ist das Genremusik fürs Indie-Volk, in mancherlei Hinsicht vorhersehbar und der eine Song ist dem anderen manchmal arg ähnlich. Aber man hört diese Musik sehr gerne. Es ist ein angenehm zeitgenössischer Sound, der sich seiner Herkunft bewusst ist. Und das ist allemal besser als Spanien gegen Chile.