Die St-Johannes-Gemeinde in Nürtingen zeigt eine umstrittene Ausstellung über die Flucht der Palästinenser aus Israel. Den Machern wird Antisemitismus vorgeworfen.

Nürtingen - Ingrid Rumpf ist nicht überrascht. Dass ihre Ausstellung über die Nakba, die Flucht der Palästinenser aus israelischem Gebiet 1948, auch in Nürtingen Wellen schlagen würde, konnte die Vorsitzende des Vereins Flüchtlingskinder im Libanon nach mehreren Kontroversen in anderen Städten bereits ahnen. Denn das Thema und die Herangehensweise der Ausstellung stoßen bei israelischen Verbänden schon seit Längerem auf Kritik.

 

Was für Juden die Erfüllung eines Traums bedeutete, ist in der arabischen Welt als Nakba – Katastrophe – im kollektiven Gedächtnis verankert. Seit Dienstag ist eine Wanderausstellung über die „Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“ in den Räumen der Nürtinger St.-Johannes-Gemeinde zu sehen. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft Mittlerer Neckar und Stuttgart (DIG) wirft den Machern und der Gemeinde Antisemitismus vor. „Wir fordern die Gemeinde auf, die Ausstellung abzubrechen, da sie weder dem Frieden noch der Verständigung dient“, sagt die DIG-Vorsitzende Bärbel Illi. Die Ausstellung zeichne ein völlig einseitiges Bild der Staatsgründung des Landes und schüre Ressentiments gegen den Staat Israel.

Die jüdische Sichtweise stehe hierzulande im Vordergrund

Tatsächlich: dass es zu einigen dargestellten Fakten auch eine andere Sichtweise und durchaus begründete Gegenargumente gibt, lässt die Ausstellung weg. Doch das einseitige Bild sei Absicht, sagt Ingrid Rumpf, diejenige, die die Texte auf den Ausstellungstafeln recherchiert und geschrieben hat. Die Ausstellung beleuchtet die Geschichte um die Gründung des Staates Israel bewusst aus der Perspektive der Palästinenser. Denn vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte stehe die jüdische Sichtweise oft im Vordergrund und der „Blick auf das Leid der Palästinenser ist verstellt“, findet Rumpf. „Aber ohne gebührende Anerkennung dieser Seite kann es keine Aussöhnung geben.“

Die Tafeln erläutern mit Schaubildern und Texten die Geschichte der umkämpften Region vom Ende des 19. Jahrhunderts an bis heute. Sie stellen die Situation der palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten dar und lassen Kinder ihre Familiengeschichten erzählen. Selbstverständlich fehle einiges. Doch „wir haben durchaus nicht Massaker an Massaker gereiht, um die zionistische Seite in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen“, sagt Rumpf.

„Die Veranstalter stehen fraglos zum Existenzrecht Israels“

Von Seiten der Israelischen Religionsgemeinschaft Württemberg klingt die Kritik auf Nachfrage zwar verhaltener, sie schließt sich der Auffassung der DIG jedoch an. „So, wie die Ausstellung gestaltet ist, finde ich sie nicht gut“, sagt die Vorsitzende Barbara Traub. Sie persönlich habe die Ausstellung aber noch nicht gesehen.

Die Schau ist ein Teil der Nürtinger Friedenswochen und wurde von den Pfadfindern in die Stadt geholt. Da die Aufgabe der Pfadfinder der Weg zum Frieden sei, „schmerzt es umso mehr, wenn ihnen antifriedliche Absichten unterstellt werden“, sagt Martin Schwer, der Pfarrer der Gemeinde und Kurat der Pfadfinder. „Nie und nimmer“ könne man den Veranstaltern Rassismus oder Antisemitismus unterstellen, versichert auch Oliver Schütz, der Dekanatsreferent in Esslingen. „Sie stehen fraglos zum Existenzrecht Israels.“

Beitrag zur Meinungsbildung

Für Adalbert Kuhn ist die Ausstellung ein Beitrag zur politischen Auseinandersetzung. Kuhn leitet die Katholische Erwachsenenbildung im Landkreis Esslingen, die die Ausstellung unterstützt. Auch er ist sich im Klaren darüber, dass sie polarisiert. „Wir wollen Leute herausfordern, sich Themen zu stellen und sich eine eigene Meinung zu bilden.“ Sachliche Kritik und Hinweise auf Fehler seien durchaus erwünscht, weil so ein Diskurs entstehen könne. „Aber wenn man verhindern will, dass so etwas gezeigt wird, ist das falsch.“

Kontroverse Ausstellung auf Wanderschaft

Orte
: Seit fünf Jahren wandert die Schau durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Auch in Stuttgart war sie schon mehrfach. Doch seit zwei Jahren bekommt sie häufiger Gegenwind.

Gericht:
Die wohl spektakulärste Station der Ausstellung war Freiburg im November vor zwei Jahren. Dort widerrief die Stadtverwaltung die Genehmigung kurz vor der Eröffnung. Das Verwaltungsgericht entschied aber, dass die Ausstellung gezeigt werden darf. Sie stelle das Flucht- und Vertreibungsgeschehen von 1948 zwar eher einseitig dar, sei aber „von der Meinungsfreiheit getragen“.

Einigung:
In Besigheim (Kreis Ludwigsburg) wehrte sich die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) im Frühjahr 2011 gegen die Ausstellung, allerdings erfolglos. Sie blieb. Zum Ausgleich boten die Veranstalter der DIG an, eine Ausstellung über die israelische Sicht des Nahostkonflikts zu zeigen.