An den Stränden von Mexiko werden in Schildkrötencamps Nester umgesiedelt und die Eier vor Kojoten geschützt. Unsere Autorin Eva Horn hat mitgeholfen.

Mexiko - Ich liege bäuchlings auf dem Sand, mein Arm steckt in einem Loch und es stinkt nach vermoderndem Meer. Hier soll ich also nach Eiern graben? So habe ich mir das Schildkrötenretten nicht vorgestellt. Offensichtlich waren meine Vorstellungen gnadenlos romantisch, denn natürlich wird nicht jedes der 80 bis 140 Eier, die ein Schildkrötenweibchen in den makellosen Sandstrand an Mexikos Pazifikküste legt, eine niedliche kleine Babyschildkröte. Einige Eier entwickeln sich gar nicht erst, in anderen sterben die Schildkröten, bevor sie schlüpfen können. Das stinkt und ist traurig anzusehen, gehört aber auch zu der Arbeit, die wir für zwei Tage verrichten dürfen.

 

Wir sind in El Tuito, einem der zahlreichen „Campamentos Tortugeros“ (Schildkröten-Camps), die es überall an Mexikos Küsten gibt. Manche sind kleiner, andere größer. Unseres ist ziemlich groß und verfügt über eine Küche und Duschen. Normalerweise sind das ganze Jahr über Schulklassen und Studentengruppen da, um über Schildkröten zu lernen und bei der Arbeit zu helfen. Geschlafen wird im Zelt oder in Hängematten direkt am Strand.

Die meisten Schildkrötencamps werden nicht vom Staat finanziert, erzählt Farid, einer von drei festen Mitarbeitern des Camps. Sie müssen daher auf die Suche nach Unterstützern aus der Wirtschaft gehen. Auch die Schulen, die ihre Schüler zum Lernen ins Camp schicken, werden zur Kasse gebeten. Ein wichtiger Teil der Arbeit von Farid besteht darin, Touristen aus den umliegenden Hotels die Arbeit im Camp vorzustellen und ihnen die kleinen Schildkröten fürs Selfie in die Hand zu drücken – natürlich alles gegen eine kleine Spende. Auch von uns wird erwartet, dass wir uns finanziell erkenntlich zeigen.

Touristen werden zu Geburtshelfern

Jede Nacht patrouillieren die Mitarbeiter des Camps, unterstützt durch Freiwillige wie uns und Jungs aus dem nahegelegenen Dorf, in zwei Schichten den kilometerlangen Strand entlang und halten nach Schildkröten bzw. ihren Nestern Ausschau. Wir haben Glück und können sogar zwei Schildkröten bei der Eiablage beobachten. Die Nester werden vorsichtig ausgehoben und die Eier am Ende der Patrouille im Camp wieder eingegraben. Wie nötig diese Arbeit ist, sehen auch wir in der Nacht, in der wir Farid begleiten dürfen. Viele Nester werden zum Opfer von Koyoten oder wilden Hunden, aber es gibt auch immer noch Menschen, die trotz aller Aufklärungsversuche seitens der Camp-Mitarbeiter Schildkröteneier ausgraben und die Nester zerstören, erzählt er uns.

Die Eier werden im Schutz des Camps 40 Tage von der Sonne ausgebrütet, dann bekommen die kleinen Schildkröten Geburtshilfe. Beim Ausgraben müssen manche von ihnen aus der Eierschale befreit werden. Außerdem werden sie gezählt und dann in der nächsten Nacht freigelassen. Hält man die kaum fünf Zentimeter großen Tierchen in der Hand, scheint es unglaublich, dass ausgewachsene Tiere je nach Art bis zu 200 Kilo wiegen und 100 Jahre alt werden können. Als wir ein paar Schildkröten zum Strand tragen dürfen und dabei zusehen, wie sie ins Meer gespült werden, ist der Gestank vom Ausgraben längst vergessen.

Kolumne  
Eva Horn bereist mit ihrem Freund acht Monate lang Nord- und Mittelamerika auf der Panamericana. Sie berichtet in unregelmäßigen Abständen von ihren Abenteuern und besonderen Begegnungen.