Das Herz rast, am ganzen Körper bricht Schweiß aus: Panikattacken bestimmen den Alltag. Richtig erkannt können sie gut behandelt werden.

Stuttgart - Das Herz rast, am ganzen Körper bricht Schweiß aus. Der Hals schnürt sich zu, auf Brust und Kopf lastet ein enormer Druck. Ein Schwindelgefühl macht sich breit. Kaum vorstellbar, dass derartige Symptome nicht etwa Anzeichen eines drohenden Herzinfarkts oder Schlaganfalls sind, sondern die einer völlig anderen Art von Erkrankung: einer Angststörung. Doch genau das erleben viele Betroffene, machte der Stuttgarter Hausarzt Suso Lederle gleich zu Beginn einer Veranstaltung zum Thema Angst- und Panikstörungen im Stuttgarter Rotebühlzentrum klar. In diesen Fällen bestimmt die Angst das gesamte Leben, lähmt die Betroffenen und kann sie so schließlich sogar lebensunfähig machen.

 

Wie es dazu kommt, ist noch gar nicht vollständig verstanden, zeigte sich im anschließenden Gespräch mit den beiden Experten Martin Bürgy, Leiter des Stuttgarter Zentrums für seelische Gesundheit und der Klinik für spezielle Psychiatrie, und Matthias Backenstraß, Leiter des Instituts für klinische Psychologie am Klinikum Stuttgart. Es scheint gewisse Veranlagungen und Persönlichkeitsmerkmale zu geben, die das Risiko für eine Angststörung erhöhen – etwa die Tendenz, sich ständig um alles Mögliche Sorgen zu machen oder eine extreme Schüchternheit. „Manche Störungen entwickeln sich nach und nach, die Sorgen nehmen immer mehr Raum ein und bestimmen schließlich das ganze Leben“, skizzierte Backenstraß einen typischen Verlauf. Andere Formen können sehr plötzlich auftreten, zum Beispiel nach einer extremen körperlichen Erfahrung wie einem Herzinfarkt. „Die Angst setzt sich dann praktisch oben drauf und verselbstständigt sich anschließend“, so Bürgy.

So vielfältig wie ihre Entstehungsgeschichten sind auch die Erscheinungsformen der Angststörungen. Es gibt sehr spezielle, bei denen Menschen vor einem bestimmten Gegenstand oder einer Erfahrung Angst haben, wie etwa bei Höhenangst oder einer Spinnenphobie. Bereits weniger konkret sind die Agoraphobie, die Angst vor freien Plätzen oder Menschenmengen, und die sozialen Phobien, die sich auf die verschiedensten Situationen in der Öffentlichkeit beziehen können. Nahezu ohne Bezug zu einem konkreten Auslöser sind generalisierte Angststörungen mit ihren überzogenen Sorgen um alles und jeden und die Panikstörung, bei der Panikattacken ohne erkennbaren Anlass auftreten.

Meist führt man Angst auf körperliche Symptome zurück

Die klassischen Symptome entstehen aber bei allen gleich: durch eine Irritation des autonomen Nervensystems – jenes Teils der Körpersteuerung, der normalerweise automatisch grundlegende Körperfunktionen, wie etwa die Atmung regelt. Tritt eine Störung auf, kommt dieses Selbstverständliche ins Stolpern. Resultat: man beginnt, darüber nachzudenken. „Dadurch werden uns die Gefühle im Körper fremd, und wir deuten sie in eine lebensbedrohliche Richtung“, erläuterte Bürgy. Tatsächlich gibt fast jeder Betroffene an, während der Attacken Angst vor dem Sterben zu haben – oder Angst davor, verrückt zu werden.

Das Problem: die meisten führen ihre Angst auf die körperlichen Symptome zurück – dass es anders herum sein könnte, ist kaum jemandem klar. Erste Anlaufstelle ist daher auch meistens der Haus- oder der Notarzt. Und der steht dann vor der Aufgabe, dem Patienten irgendwie die Idee einer psychischen Erkrankung nahezubringen, wenn die entsprechenden körperlichen Untersuchungen nichts ergeben haben. „Der Arzt muss den Betroffenen zur Selbsterkenntnis führen“, betonte Backenstraß – und zwar, indem er ihn dort abholt, wo er sich selbst sieht, etwa bei den Symptomen. Darauf aufbauend kann man dann Verständnis- und Interpretationsräume schaffen. „Man kann zum Beispiel erklären, dass das Herz ja auch nach Kaffeegenuss zu rasen beginnt und dass das nichts Schlimmes ist“, sagte der Experte.

"Angst ist erlernt und kann wieder verlernt werden"

Erst wenn der Patient akzeptiert hat, dass sein Problem psychischer Natur ist, kann man mit einer weiteren Therapie beginnen. Dann gibt es allerdings gute Chancen auf eine Heilung, sagte Backenstraß, denn: „Angst ist erlernt und kann wieder verlernt werden.“ Dabei können, vor allem zu Beginn, Medikamente hilfreich sein. Antidepressiva zum Beispiel lindern bei vielen die Symptome. Auch Benzodiazepine, zu denen etwa Valium gehört, sind äußert wirksam. Aber: sie dürfen nur sehr kurzfristig und streng kontrolliert angewendet werden, weil sie bereits nach sehr kurzer Zeit süchtig machen können. Hauptteil der Therapie ist jedoch im Allgemeinen eine Psychotherapie. Besonders gute Erfolge gibt es mit der kognitiven Verhaltenstherapie, sagte Backenstraß. „Dabei wird zweigleisig gearbeitet: Zum einen wird geforscht, wie es zu der Angst kam, und zum anderen beschäftigt man sich mit den konkreten Auslösern der Angst- und Panikattacken.“

Wichtiger Bestandteil ist meist eine Konfrontation mit den jeweiligen angstauslösenden Situationen. „Wer immer wieder wegläuft, sobald er merkt, dass eine Attacke kommt, lernt, ‚ich kann die Angst vermeiden, wenn ich weggehe‘“, so der Experte. Das Umlernen wird dann dadurch erreicht, dass man die Betroffenen dazu bringt, in der Situation zu bleiben und die Angst auszuhalten. „Man merkt dann: sie dauert nicht ewig, und man wird auch weder verrückt noch stirbt man“, beschrieb Backenstraß. Bei der Agoraphobie zum Beispiel liegt die Erfolgsquote bei bis zu 80 Prozent. Als Angehöriger sollte man daher „nach Hause gehen und den Betroffenen sagen: das ist behandelbar“, wie Backenstraß es formulierte. „Man muss den Menschen Mut machen – und darf sich nicht der Angst unterwerfen.“

Kontakt Matthias Backenstraß steht den Lesern der Stuttgarter Zeitung am Dienstag, 6. März, zwischen 16 und 17 Uhr unter der Telefonnummer 07 11/27 82 29 00 für Fragen zur Verfügung.