Die Bearbeitung von Neuanträgen kann dauern. Grund ist die Neuorganisation der Familienkassen und, dass viele tausend Saisonarbeiter bezugsberechtigt geworden sind. In Baden-Württemberg gibt es insbesondere am Bodensee Verzögerungen.

Konstanz - Erst wunderten sich Max und Martina B., dann schlug ihr Erstaunen allmählich in Verärgerung um. Mittlerweile sind sie wütend. Seit fast zehn Monaten wartet das Paar aus dem deutsch-schweizerischen Grenzgebiet auf das Kindergeld für ihre fünf und sieben Jahre alten Söhne. Max und Martina sind im August 2013 aus der Schweiz nach Deutschland zurück gekehrt. Mehr als zehn Jahre lang hat das Paar im Alter von 38 und 39 Jahren, das anders heißt und auch seinen Wohnort nicht nennen will, bei den Eidgenossen gelebt und gearbeitet.

 

Sie haben ein Haus gebaut, sich umgemeldet, neue Konten bei der Bank eröffnet. Alles wie gedacht. Bis auf das Kindergeld. Die Zulage zum Familieneinkommen hat Martina B. im Oktober 2013 in Lörrach beantragt. Die Sachbearbeiterin in der Hotline bei der Bundesanstalt für Arbeit, wo die 102 Familienkassen angesiedelt sind, sagte ihr, dass die Bearbeitung zehn Werktage dauern würde. Dann hörte sie nichts mehr.

Zehntausende Elternpaare warten monatelang auf ihr Geld

Seit die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg 2013 damit begonnen hat, die bisher 102 Familienkassen umzuorganisieren und auf 14 Verbünde einzudampfen, hakt es gewaltig. Zeitgleich nämlich hat die Behörde die elektronische Akte eingeführt, um die „Servicequalität für die Bürger zu verbessern“, wie es heißt. Die Folge: ein zum Teil beträchtlicher Stau bei Eltern, die einen Neuantrag stellen.

Zehntausende Elternpaare bundesweit warteten zum Teil monatelang auf die Auszahlung der 184 Euro, die die Mammutbehörde in Nürnberg (110 000 Mitarbeiter) als Instrument der Familienförderung unabhängig vom Einkommen für das erste und zweite Kind ausbezahlt. Besonders betroffen war insbesondere Nordrhein-Westfalen, wo bis zu 80 000 Elternpaare und Alleinerziehende teilweise wochenlang auf ihr Kindergeld warten mussten, darunter etliche HartzIV-Empfänger.

Damit nicht genug: neben der Umstrukturierung hat die Bundesagentur mit einer Flut von Kindergeldanträgen von Saisonarbeitern aus dem EU-Ausland zu tun. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte 2012 festgestellt, dass diese Arbeitskräfte ebenso Anspruch auf Kindergeld haben wie jeder andere Arbeitnehmer auch, der in Deutschland Steuern bezahlt. Weil dies auch gilt, wenn die Kinder weiter im Heimatland leben, überschwemmen die Saisonarbeiter die Bundesagentur nun mit Neuanträgen. Rund solcher 30 000 Anträge sollen es laut „FAZ“ sein, die nun weitgehend auf Eis liegen.

Jährlich 200 Millonen Euro Kindergeld für Saisonarbeiter

Rund 200 Millionen Euro kostet das den Steuerzahler jährlich. Dem Bundesfinanzministerium zufolge sollen dadurch zum Ende des Jahrzehnts Mehrkosten von bis zu zwei Milliarden Euro auflaufen. Um die Anträge zu bearbeiten, wurden die Vorgänge in fünf Familienkassen konzentriert, wo „spezialisierte Teams“ gebildet wurden, um die „sehr komplexe Rechtsmaterie besser beherrschen zu können“. Die „unerwartet hohe Zahl von Anträgen“ der Saisonarbeiter hat in einigen Familienkassen in Deutschland zu „Verzögerungen in der Bearbeitung“ von Kindergeld geführt, gesteht die Bundesagentur ein.

In Baden-Württemberg seien von den Verzögerungen vor allem Deutsche betroffen, die zuvor in der Schweiz tätig gewesen seien. Für den überwiegenden Teil der 1,2 Millionen Kindergeldberechtigten in Baden-Württemberg aber soll alles nach Plan laufen. Nur im „Raum Konstanz“ habe es aufgrund „der Übergabe von Zuständigkeiten“ in rund 700 Fällen Verzögerungen gegeben. Näheres ist nicht in Erfahrung zu bringen. Angeblich muss ein Kindergeldberechtigter im Südwesten derzeit etwa 18 Tage auf einen Bescheid warten.

„Wahnsinnig viele unbearbeitete Anträge“

Max und Martina B. warten immer noch. Im Dezember vorigen Jahres hatte sich erstmals ein Mitarbeiter der Familienkasse mit dem Hinweis gemeldet, es fehlten im Antrag weitere Angaben. Wenn die Unterlagen da seien, würde es noch „zehn bis 14 Tagen“ dauern bis der Bescheid da sei, hieß es. Wochen vergingen. Nichts geschah. Martina B. hat immer wieder mal die Hotline angerufen und wurde vertröstet. Dann reichte es ihr. Fast 4000 Euro fehlen. „Bei uns ist das nicht so schlimm. Wir verdienen gut, aber was ist mit den sozial Schwachen?“, fragt sie.

Als sie sich massiv beschwerte, redete die Sachbearbeiterin am Telefon Klartext. Es gebe „wahnsinnig viele unbearbeiteter Anträge“. Aus Nürnberg kämen klare Anweisungen, die Antragssteller zu vertrösten – obwohl alle wüssten, dass es Monate oder über ein Jahr dauern könne, bis die Anträge bearbeitet seien. Und ihr Antrag? Der liege noch immer in Lörrach. Er werde wohl demnächst zur Weiterbearbeitung geschickt, sagte die Sachbearbeiterin. „Wenn alles gut geht.“

Ein familienpolitisches Förderinstrumtent

NS-Zeit Das Kindergeld wurde in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus als „Kinderbeihilfe“ für „arische“ Familien 1935 eingeführt. 1954 begannen die Familienausgleichskassen für das dritte und jedes weitere Kind 25 D-Mark zu zahlen. 1961 bekamen Familien bereits für das zweite Kind Geld. Seit 1975 zahlt der Gesetzgeber auch für das erste Kind.

Gesetz Das Kindergeld ist überwiegend im Einkommensteuergesetz geregelt. Für die Auszahlung zuständig sind jedoch nicht die Finanzämter, sondern die bei der Bundesagentur für Arbeit angesiedelten 102 Familienkassen. Bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist es der Arbeitgeber. Die Zahl der bisher 102 Auszahlungsstellen soll nun auf 14 verringert werden.

Bezug In Deutschland sind gegenwärtig 8,8 Millionen Haushalte bezugsberechtigt. Für das erste und zweite Kind stehen Eltern unabhängig vom Einkommen 184 Euro zu, für das dritte 190 Euro, für das vierte und jedes weitere 215 Euro. Mit insgesamt 38,5 Milliarden Euro gilt das Kindergeld als aufwendigstes familienpolitisches Förderinstrument in Deutschland.