Küsschen, Körperkontakt und eine ansteckende Fröhlichkeit – der Papst kommt beim Weltjugendtreffen in Rio de Janeiro gut an. Wolfgang Kunath berichtet aus Brasilien, und wir zeigen Bilder vom Papstbesuch.

Rio de Janeiro - Der brasilianische Globo-Konzern ist eines der größten Medienimperien der Welt, aber wenn man in diesen Tagen das Globo-Fernsehen anschaltet, könnte man denken, er sei von Radio Vatikan aufgekauft worden. Rund um die Uhr ist der Papst zu sehen, und ohne mit der Wimper zu zucken, sprechen die Journalisten unter Missachtung des Objektivitätsgebots vom „Heiligen Vater“, während die Moderatoren mit verzücktem Lächeln von einem Beitrag über papstbegeisterte Brasilianer zum nächsten überleiten. Aber einer aktuellen Umfrage zufolge ist der Anteil der katholischen Brasilianer, nach vier Jahrzehnten steten Schrumpfens, auf 57 Prozent zusammengeschmolzen.

 

Da müsste doch eigentlich auch mal jemand wie Leonice Silva Abdul zu Wort kommen, eine bereits ältere Altenpflegerin, die am Abend, als Papst Franziskus in Brasilien ankam, in einer Wirtschaft saß, ab und zu zum stumm laufenden Fernseher schaute und skeptisch murrte: „Alles nur Show! Letzten Monat war es Fußball, jetzt ist es der Papst, und wenn der weg ist, ist alles genauso wie vorher – die schlechten Schulen, die miesen Krankenhäuser, die Straßen voller Schlaglöcher“.

Dabei gehört Leonice nicht einmal zu den anderen, den 43 Prozent. Sie ist nach wie vor katholisch. „In Brasilien hat es keine Evangelisation gegeben, nach Brasilien kamen kaum Missionare“, sagt Mário da França Miranda, der an der Katholischen Universität von Rio lehrt, „die Portugiesen brachten einfach ihre Volkskirche mit, und das merkt man bis heute: Viele Prozessionen, wenig christliche Kultur“.

Den Glauben unbefangen feiern

Die Papstmania, in die Brasilien in diesen Tagen verfallen ist, wäre demnach die neuzeitliche Ausprägung dieses theologischen Defizits. Wobei paradoxerweise die, denen der Professor anerkennend mehr Tiefe bescheinigt, die deutschen Katholiken zum Beispiel, ihrerseits eher neidisch sind auf die unbefangen fröhliche Art, mit der die Brasilianer ihren Glauben feiern. Und dafür ist Franziskus der richtige Papst.

Es ist zwar durchaus kein bloß höflicher Applaus, in den die jugendlichen Zuhörer am Strand von Copacabana ausbrechen, als Franziskus seinen Vorgänger erwähnt, der ja nun, wäre er im Februar nicht zurückgetreten, an seiner Stelle stünde. Aber der Unterschied zwischen dem strengen, zurückhaltenden deutschen Benedikt und Franziskus ist nicht zu übersehen: Ein Papst, der seine Aktentasche selber trägt! Der nicht Mercedes, sondern Fiat fährt! Der lateinamerikanisch unbefangen den Körperkontakt nicht scheut und sogar der Staatspräsidentin ein „beijo“, ein Küsschen, auf die Backen drückt! „Christen dürfen nicht pessimistisch sein“, sagte Franziskus bei seiner Messe im Wallfahrtsort Aparecida, „sie dürfen nicht so aussehen, als trauerten sie ständig!“

Auf die Idee würde man wirklich nicht kommen, wenn man die Jugendlichen sieht, die trotz der für Rio grimmigen Wintertemperaturen von 18 Grad fröhlich und ausgelassen durch die Stadt ziehen und den Schnellimbissen Rekordumsätze verschaffen. „Es ist klasse, dieses Zusammengehörigkeitsgefühl von Menschen, die den gleichen Glauben teilen“, sagt Bashar Khoury, 29, aus dem syrischen Khabab. Und auf die Gleichgesinnten hebt auch Karoline Roß, 18, aus Neuruppin ab: „Es ist cool, den ersten lateinamerikanischen Papst zu sehen“, räumt sie ein, „aber noch wichtiger für meinen Glauben ist die Begegnung mit den anderen Jugendlichen“.

Der Herr aus Argentinien ist bescheiden und konservativ

So freundlich und bescheiden der alte Herr aus Argentinien herüberkommt, genauso konservativ ist er jedoch auch. Sicherlich schwingt bei seiner Ansprache in der Favela Varginha, deren Bewohner von Armut und Gewalt gebeugt sind, Herzlichkeit und Engagement mit – ein päpstlicher Beleg der berühmten „Option für die Armen“. Aber die ist nichts Neues. Dass sich die Kirche nicht nur in weltferner Barmherzigkeit, sondern in aktiver Solidarität den Armen und Entrechteten widmet, gehört seit Leo XIII. zum kirchlichen Tun, und der amtierte von 1878 bis 1903.

Sicherlich kann man Franziskus‘ Appell, gerade die Jugend solle den Mächtigen die Korruption nicht durchgehen lassen, als Anspielung auf die Demonstrationen lesen, die das tiefe Unbehagen der Brasilianer an ihre Politikerkaste zum Ausdruck brachten. Aber gemessen daran, wie sein Vorvorgänger Johannes Paul II. bei seinen Lateinamerikareisen in den Achtzigern den Mächtigen den Kopf gewaschen hat, tritt der Argentinier sehr zahm auf.

Am deutlichsten trat seine inhaltliche Unbeweglichkeit im Hospital Heiliger Franziskus von Assisi zu Tage, wo er bei einem Treffen mit ehemaligen Abhängigen jegliche Liberalisierung der Drogen verdammte. Inhaltlich stimmt das mit dem überein, was Benedikt sagte, als er 2007 in Brasilien ein ähnliches Projekt besuchte. Bloß ist seitdem Bewegung in die Debatte über die Drogenpolitik gekommen.

Bei der Drogenpolitik ist der Papst rückwärtsgewandt

Selbst die eher starre Organisation Amerikanischer Staaten spricht sich für Korrekturen einer Politik aus, die als gescheitert gilt. Denn der „Krieg gegen die Drogen“, 1972 von US-Präsident Nixon ausgerufen, dürfte kaum weniger menschliches Leid angerichtet haben als die bekriegten Drogen. So tasten sich die Staaten der Region zu einer Entkriminalisierung voran, vor allem der Konsumenten, die nicht mehr als Verbrecher, sondern als Patienten gesehen werden – in etwa der europäische Weg. Andere gehen weiter: Uruguay will den Marihuanaanbau staatlich kontrollieren. Franziskus dagegen geht zurück: Was nicht sein darf, muss verboten bleiben, und mit Differenzierungen, wie eine Liberalisierung aussehen könnte, befasst sich der Papst nicht. Als wäre Liberalisierung das gleiche wie Freigabe.

Interessieren sich die Jugendlichen für solche Fragen? Stört sie die Starrheit der vatikanischen Doktrinen, die sich, wie die Umfragen zeigen, auch in Brasilien nicht mit den Mehrheitsmeinungen decken? Unter denen, die sich bei Regen und Kälte die Beine in den Bauch stehen, um den Papst im seinem erleuchteten Papamobil vorbeihuschen zu sehen, scheint kaum der Wunsch nach Wandel zu bestehen. „Gott erwählt den richtigen Papst für die richtige Zeit“, antwortet Almiro Bispo auf die Frage, ob heutzutage nicht etwas mehr Reformgeist angebracht wäre. Eine Gruppe junger Uruguayer kritisiert zwar die „Monotonie“ des Gottesdienstes, der doch eigentlich mitreißender sein sollte. Und der Zölibat zum Beispiel? „Ist für uns okay“, sagen sie, „es wäre ja auch ein sehr brüsker Wandel, wenn der abgeschafft würde.“

Wie die Welt zu verbessern wäre

Auch jenseits der religiös-gemeinschaftlichen Gefühligkeit, passiert so einiges auf dem Weltjugendtreffen. „International Youth Hearing“ haben Adveniat, Misereor und der Bund der katholischen Jugend eine Diskussionsveranstaltung benannt. Aufgeboten sind interessante Redner, die manch Tiefes und durchaus Praxisnahes darüber sagen, wie die Welt zu verbessern wäre; schade höchstens, dass nicht mehr Zeit ist für Fragen und Antworten. Aber auch dieser Austausch offenbart die Grenzen eines internationalen Jugendtreffens: Zu verschieden sind die Lebensrealitäten der Jugendlichen, wie globalisiert die Welt heute auch sein mag.

„Das ist ja furchtbar, das kennt man gar nicht bei uns“, sagt Sophia Karl, 18, aus Würzburg zur Klage des brasilianischen Caritas-Chefs, in Brasilien finde eine „Ausrottung“ unter der Jugend statt, denn Jugendliche seien überproportional oft Opfer der rund 50 000 Morde pro Jahr. „Ich hab‘ einen deutschen Teilnehmer nach seinen Sorgen gefragt“, wundert sich der Venezolaner Orlando Machado, 30, „der hat was gesagt von Reisen und Fernsehen – wenn du einen von uns fragst, dann sind die Sorgen Geld, Wohnung, Bildung“. Machado vermisst die Tiefe in den Debatten, vor allem über die Rolle der Kirche: „Warum gibt es so wenig Engagement in der Kirche, warum ist sie so wenig präsent in den Favelas?“, fragt er und liefert gleich die Antwort mit: „Die Leute laufen ihr doch weg, weil sie sich zu wenig positioniert!“