Paralympics in Tokio Warum Omara Durand so gut als Kubas Botschafterin taugt

Omara Durand ist Kubas Aushängeschild. Foto: AFP/YAMIL LAGE

Omara Durand ist ein perfektes Aushängeschild. Schließlich steht sie sowohl für die erfolgreiche Sportförderung als auch das Gesundheitssystem des Landes.

Tokio - Die Ausgangslage ist klar. „Wenn alles normal läuft“, sagt Katrin Müller-Rottgardt nüchtern, „dann ist an ihr eigentlich kein Vorbeikommen. Dann holt sie wieder Gold.“ So spricht die deutsche Sprinterin, die selbst schon Welt- und Europameisterin geworden ist, über ihre größte Konkurrentin. Dreimal werden Müller-Rottgardt und ihr Helfer Noel-Philippe Feiler in dieser Woche versuchen, die Favoritin zu schlagen. An diesem Montag geht es mit den Vorläufen über 400 Meter los, am Mittwoch startet der Wettbewerb über 100 Meter, am Samstag wäre das Finale über 200 Meter. „Ich hoffe auf eine Medaille“, sagt Müller-Rottgardt. Gold anzupeilen wäre vermessen.

 

Die Übermächtige Kubanerin

Schließlich ist da Omara Durand, die im Sprint der Frauen mit Sehbehinderung als schier unschlagbar gilt. Sie hält diverse Weltrekorde, ist außerdem amtierende Goldmedaillengewinnerin auf allen drei Distanzen bei den Paralympics. Über 100 und 400 Meter holte sie auch 2012 in London schon Gold. Und als sie 2019 in Dubai bei der Para-WM erneut über 100 Meter siegte, machte sie auf dieser Strecke ein ganzes Jahrzehnt ohne Niederlage voll. „Diese Goldmedaille ist für alle Menschen, die mich lieben“, sagte sie damals mit schwerem Atem. Und ihr war anzumerken, dass sie nach neuen Ideen für eine Siegeswidmung suchte – sie hatte ja schon so viele hinter sich.

Durand ist eine Berühmtheit – nicht selbstverständlich für eine Para-Athletin

In ihrem Heimatland ist Omara Durand so populär wie bekannte Athleten ohne eine Behinderung. „Jeder kennt sie“, sagt der Journalist Dayan García von „Granma“, der Zeitung der Kommunistischen Partei und damit dem einflussreichsten Medium des Landes. Und Durand selbst sagt: „Ich weiß, dass ich sehr viel bewundert werde. Und dass ich diejenige bin, hinter der alle her sind.“ In ihrer Heimatstadt Santiago, am Südostzipfel der Elf-Millionen-Insel, wird sie auf der Straße erkannt und von Fremden gegrüßt. Für eine Athletin aus dem Behindertensport ist das, auch bei den Erfolgen von Omara Durand, nicht selbstverständlich.

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Aber wenn es irgendwo auf der Welt nicht überraschen sollte, dass eine Para-Athletin zur Prominenten wird, dann wohl in Kuba. In dem sozialistisch regierten Staat hat das relative Wohlstandsniveau über die letzten Jahrzehnte stark nachgelassen. Gerne gibt man dafür dem Zerfall der Sowjetunion sowie den Handelsblockaden durch die USA die Schuld, was auch teilweise zutrifft, allerdings längst nicht alles erklärt. Wer den kubanischen Staat aber verteidigen will, stützt sich gerne auf zwei Bereiche, in denen er angesichts begrenzter Mittel höchst erfolgreich ist: das Gesundheitswesen und das Sportsystem.

Mit einer Lebenserwartung von 77,8 Jahren leben die Menschen im Schnitt fast genauso lange wie beim nördlich gelegenen Klassenfeind, den viel wohlhabenderen USA. Wer einmal ein Krankenhaus in Kuba besucht hat und dies mit anderen Ländern ähnlichen Wohlstandsniveaus verglichen hat, wird verstehen, warum. Hier arbeitet gut ausgebildetes Personal, zudem erhält jeder eine Versorgung, anders als etwa in den USA.

Botschafterin des kubanischen Sozialismus

Auch im Sport fällt Kuba immer wieder als Nation auf, die besser abschneidet, als ein bloßer Blick auf materiellen Reichtum vermuten ließe. Bei den vor drei Wochen zu Ende gegangenen Olympischen Spielen von Tokio landete Kuba auf einem starken 14. Platz, gewann genauso viele Goldmedaillen wie das viel reichere Kanada und mehr als Südkorea, Polen oder Spanien. Bei den Paralympics steht das Land im historischen Medaillenspiegel der Sommerspiele auf Platz 38, in Rio reichte es für Rang 22.

Und keine Athletin verkörpert die Symbiose eines erfolgreichen Gesundheitssystems mit guter Sportförderung so sehr wie Omara Durand. Auf eine Weise ist sie damit eine Botschafterin des kubanischen Sozialismus, was sie selbst natürlich gut verstanden hat. „Dieser Sieg ist für Kuba!“, erklärt sie nach erfolgreichen Rennen nämlich auch gerne. Sie lobt das Sportsystem des Landes, ohne das sie ja tatsächlich nie zur Weltspitze aufgestiegen wäre. Leistungssportlern in Kuba mangelt es selten an relativ guter Ausrüstung, klugen Trainingsregimen und athletengerechter Nahrung.

Schwanger bei den Spielen in London

Mittlerweile aber taugt die 29-jährige Durand nicht mehr nur zum Vorbild für Sozialisten. Bei den Spielen von London 2012 lief sie unwissentlich in ihren frühen Schwangerschaftsmonaten. Kurz darauf nahm sie eine Auszeit, um ihre Tochter zur Welt zu bringen. Als sie 2015 nur ein Jahr vor den Spielen von Rio das Training wieder aufnahm, hatten sie viele schon abgeschrieben. „Das Wichtigste ist, dass man hart trainiert und an sich glaubt“, sagte sie kurz nach ihren drei Goldmedaillen von Rio.

Mittlerweile schöpft Omara Durand nicht aus ihrem eigenen Glauben an sich Kraft, sondern aus der Unterstützung ihrer mittlerweile achtjährigen Tochter. „Sie versteht genau, was ich tue und wofür ich hart arbeite.“ Vielleicht wird Omara Durand ihre nächsten Goldmedaillen nicht mehr ganz Kuba widmen, sondern Erika. So heißt ihre Tochter.

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