Dabei sein ist alles – doch Rollstuhlbasketballerin Maria Kühn reicht die bloße Teilnahme nicht. Sie will mehr und hat eine persönliche Vision.

Stuttgart -  Dabei sein ist alles – doch Rollstuhlbasketballerin Maria Kühn reicht die bloße Teilnahme nicht. Sie will mehr und hat eine persönliche Vision - die Vision von der Teilnahme und einer Medaille bei der 14. Auflage der Paralympics in London. Mit dem Gewinn der Europameisterschaft 2011 in Israel hat die deutsche Frauennationalmannschaft bereits das Ticket für die Behindertenolympiade gelöst. Die 29-Jährige muss sich hingegen noch bis Mai gedulden, ehe von Trainer Holger Glinicki der Kader der deutschen Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft bekannt gegeben wird und Maria Kühn ihrem großen Ziel ein Stückchen näher rücken könnte.

Doch wo Licht ist, da ist bekanntlich auch Schatten: Denn Maria Kühn hat bereits einen steinigen Weg hinter sich und hat hart dafür arbeiten müssen, um nun zum kleinen Kreis der Rollstuhlbasketball-Elite zu zählen. Denn die Stuttgarterin saß nicht immer im Rollstuhl und hatte mit dem Basketballsport überhaupt nichts am Hut. Trotzdem war Kühn schon immer sportlich sehr interessiert und ständig aktiv gewesen. Egal ob Schwimmen, Fahrrad fahren oder Joggen – Hauptsache Bewegung.

 

Auf dem Rücken der Pferde

Dabei interessierte sich die lebensfrohe Frau insbesondere für Pferde und das Reiten. Doch genau dies sollte ihr Leben von einer Sekunde auf die andere für immer verändern. Kühn war gerade 20 Jahre alt, hatte ihr Abitur in der Tasche und nahm sich nach der Schulzeit ein Jahr lang in Chicago als Au-Pair-Mädchen eine Auszeit vom Alltag in Deutschland. Am Ende ihres Amerikaaufenthaltes bereiste sie die Westküste. Dort ereignete sich bei einem Ausflug mit Pferden im Monument Valley der tragische Unfall. „Ich kann mich eigentlich gar nicht mehr genau daran erinnern. Wir waren schon wieder auf dem Heimweg, als mein Pferd plötzlich unruhig wurde und aus unerklärlichen Gründen losstürmte. Irgendwann konnte ich mich dann nicht mehr festhalten und ich bin runtergefallen“, erinnert sich Kühn.

Seit diesem Tag ist die Basketballspielerin vom fünften Brustwirbel abwärts gelähmt. Im September dieses Jahres jährt sich der Unfalltag bereits zum zehnten Mal. In dieser Zeit hat sich für Maria Kühn viel verändert und doch eigentlich nichts. „Ich gehe noch genauso viel weg wie vor dem Unfall, habe noch immer die gleichen Freunde, fahre Ski oder geh ins Schwimmbad“, berichtet Kühn. „Es gibt eigentlich nichts, was nicht geht. Außer, dass ich jetzt aufstehen könnte und anfange zu tanzen. Und selbst das ist mit dem Rollstuhl möglich“, so sie weiter. Trotzdem war der Reitunfall für sie und ihre Familie ein großer Schock und das darauf folgende Jahr für alle Beteiligten sehr hart. Dennoch haderte die Europameisterin von 2011 nicht mit ihrem Schicksalsschlag und steckte den Kopf nie in den Sand.

Rollstuhltanzen

Stattdessen schaute sie gleich nach vorne und begann nach ihrem Krankenhausaufenthalt eine Ausbildung zur Industriekauffrau. „Meine Eltern und Freunde haben mir viel Kraft gegeben. Sie waren immer da, wenn ich sie gebraucht habe und ich konnte wirklich immer auf sie zählen“, so die ehemalige Gymnasiastin. Nach ihrer Ausbildung absolvierte die Bundesligaspielerin bei der Stuttgarter Prüf- und Sachverständigenorganisation GTÜ ihr DHBW-Studium im Studiengang BWL-Industrie/Dienstleistungsmanagement. Seit Oktober 2011 ist Maria Kühn bei der GTÜ in der Personalabteilung als Ausbildungsleiterin für duale Studenten tätig.

Ihre Liebe und ihr Talent für den Rollstuhlbasketball entdeckte die heutige Nationalspielerin eher zufällig, als sie sich im Jahr 2006 im Rollstuhltanzen in Ludwigsburg versuchte. „Da war jemand, der mir erzählt hat, dass es in Ludwigsburg auch Rollstuhlbasketball gibt. Dann bin ich dort halt mal hingegangen, weil ich das Rollstuhltanzen schrecklich langweilig fand“, gesteht Kühn und kann sich das Lachen nicht verkneifen. Doch auch das Basketballspiel im neuen Sportrolli gestaltete sich zu Beginn als sehr schwierig. Mit der Zeit wurde Kühn allerdings immer besser und besser, wobei auch der Spaßfaktor nicht zu kurz kam.

Für die Nationalmannschaft nominiert

Bereits drei Jahre später wurde die talentierte Maria Kühn erstmals für die Nationalmannschaft nominiert. Noch zuvor wechselte sie von Ludwigsburg zum Bundesligisten SV Reha Augsburg. Mittlerweile zieht sich Kühn das Trikot der Frankfurter Mainhatten Skywheelers über, wohnt aber weiterhin in Stuttgart. Für ihr großes Ziel, nämlich in London dabei sein zu dürfen, fährt sie dreimal in der Woche mit dem Zug nach Frankfurt zum Training. „Ich muss oftmals morgens früher anfangen oder abends länger arbeiten, um meine Arbeitsstunden bei der GTÜ reinzuholen“, sagt Kühn.

Heute sieht die Spitzensportlerin viele Dinge anders als vor ihrem Unfall und weiß ihr Leben mehr zu schätzen. Auch ihr Freund, mit dem Maria Kühn bei den Mainhatten Skywheelers zusammen auf Korbjagd geht, sitzt im Rollstuhl. Kennen und lieben gelernt haben sich die beiden allerdings nicht beim Rollstuhlbasketball, sondern ganz zufällig in Hannover. Nach zwei Jahren Fernbeziehung sind die beiden Basketball-Cracks zusammen gezogen und sind seit mittlerweile sechs Jahren ein Liebespaar. „Ich bin nicht froh, dass dieser Unfall passiert ist. Aber ich weiß auch nicht, wie mein Leben heute wäre, wenn ich noch laufen könnte. Ich bin einfach glücklich so wie es ist“, sagt Kühn. Bis nach London und dem Gewinn einer Medaille ist es für Maria Kühn noch ein langer und harter Weg. Trotzdem ist sie nicht nur wegen ihres sportlichen Erfolgs, sondern vor allem wegen ihrer durchweg positiven Lebenseinstellung schon längst eine Gewinnerin.