Die Paralympischen Spiele in Rio de Janeiro werden für Christoph Burkard aus Rottweil die letzten sein. Vieles hat sich seit Beginn seiner Karriere für behinderte Sportler verändert.

Rottweil - Als Christoph Burkard klein war, flog ihm öfter mal ein Fuß ab. Inlineskaten, rumhüpfen, in der Seifenkiste den Berg runterbrettern: Burkhard wollte alles ausprobieren, obwohl er keine Beine hat. Sein Körper machte mit. Nur für Metall und Kunststoff war es gelegentlich zu viel. „Manchmal sind die Prothesen kaputt gegangen, wenn er zu wild herumgesprungen ist“, erinnert sich seine Mutter. Die Familie ließ die Dinger dann reparieren. „Das sollte nicht der Grund sein, sich nicht zu bewegen“, sagt Magrit Burkard.

 

Ihr Sohn Christoph ist ohne Beine auf die Welt gekommen. Warum, weiß niemand ganz genau. Contergan war nicht der Grund dafür. Möglicherweise ein anderes Medikament, sagt die Mutter, aber das könne man nicht beweisen. Christoph Burkard ist mittlerweile 33 Jahre alt und einer der erfolgreichsten paralympischen Schwimmer weltweit. Die Paralympischen Spiele in Rio, die in der Nacht auf diesen Donnerstag eröffnet werden, werden seine letzten sein.

Mit 16 Jahren das erste Mal bei den Paralympics

An diesem heißen Juli-Tag gräbt Burkard sich in langen Zügen im Rottweiler Freibad durchs Wasser. Fünf Mal die Woche trainiert er in dieser Phase kurz vor dem Abflug zu den Paralympics. Wie fühlt sich Schwimmen für ihn an? „Wie wenn ein Seil im Wasser liegt. Ich kann es packen und mich direkt daran entlangziehen.“

Dabei lag der Anfang von Burkards Karriere nicht im Schwimmbecken – sondern im Schnee. Nachmachen, was der Cousin kann, wollte Burkhard mit drei Jahren: Ski fahren. Zu Weihnachten wünscht er sich Ski. „Jetzt will er Ski. Und nun?“, erinnert sich Burkards Mutter an ihre Gedanken. Egal. Alles ausprobieren, empfahl der Arzt. Burkard übt an einem Hügel in seinem Heimatort, dem 700-Seelen-Dorf Horgen bei Rottweil. Später wird er zu einem Skirennen eingeladen. Dort erzählt der Junge, dass er auch beim DLRG schwimme und wird prompt auch zu einem Schwimmwettbewerb eingeladen. „Ich habe mich auch ohne spezifisches Training ganz gut geschlagen“, sagt Burkard. „Da ging der Weg dann steil los.“

Vor l6 Jahren schwamm Burkard zum ersten Mal bei den Paralympischen Spielen, 2000 war das, in Sydney. Für seine Erfolge – zwei vierte Plätze – interessierte sich damals nur die Lokalzeitung. Heute sind die Paralympics auch ein mediales Ereignis. Die Geschichte von Burkhards Karriere zeigt, wie die Paralympischen Spiele mehr als 60 Jahre nach ihrem Beginn im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit angekommen sind.

Gleichheit bei den Medaillenprämien gibt es erst seit Neuestem

15 000 Euro Prämie erhielten Olympia-Sieger im Jahr 2004. Für eine Goldmedaille bei den Paralympics bekam Burkard nach Angaben der deutschen Sporthilfe damals nur 3800 Euro. Erst seit den Winterspielen in Sotschi 2014 gelten für Olympische und Paralympische Spiele dieselben Prämien. Den „Durchbruch“ aber waren die Spiele 2012 in London. Volle Stadien, enormes Medieninteresse, auch Zeitschriften wie Gala oder Bunte akkreditieren sich. „Plötzlich waren auch Beziehungsgeschichten der Sportler interessant“, sagt Marketa Marzoli vom Behindertensportverband „Es kam nicht mehr auf ihre Behinderung an.“

Geld jedoch ist im Behindertensport nach wie vor viel weniger vorhanden. Es gebe in Deutschland nur fünf bis zehn behinderte Leistungssportler, die von ihrem Sport leben können, schätzt Marzoli. Und wer bei den Paralympics nicht auf dem Siegetreppchen landet, geht in Sachen Prämie leer aus. Zwar sind die Starterzahlen pro Wettbewerb oft kleiner als bei den Olympischen Spielen, weil es je nach Behinderung verschiedene Klassen gibt. Dennoch: Bei Olympia werden auch die Plätze vier bis acht finanziell belohnt. Karl Quade, Chef de Mission des deutschen Teams bei den Paralympics, drückt die Bilanz so aus: „Es geht nicht mehr ums große Ganze. Jetzt geht es um Kleinigkeiten.“

Dass Christoph Burkard Teil der paralympischen Geschichte wurde, verdankt er auch einem Mann, der an diesem Tag in Rottweil am Beckenrand steht – weiße Kappe, Stoppuhr in der Hand – und beim Thema Christoph Burkard überhaupt nicht mehr aufhören kann, zu reden: Sigisbert Ackermann. Seit vielen Jahren trainiert Ackermann die Schwimmer beim TSV Rottweil. Über einen Tipp erfährt Burkard als Jugendlicher von der Gruppe – und stellt Ackermann vor die Aufgabe, einen Schwimmer ohne Beine zu trainieren. „Ich hatte überhaupt keine Bedenken“, sagt Ackermann. Das wird belohnt: Mit vier Minuten und 40,30 Sekunden erschwimmt Burkard sich 2004 in Athen die Goldmedaille über 400 Meter Freistil, bricht den Weltrekord. „Das einzige, womit ich das vergleichen kann, ist vielleicht das Gefühl, wenn man sich als Kind etwas sehnlich wünscht und es dann zu Weihnachten oder zum Geburtstag bekommt“, sagt Burkard. „Eine Medaille ist wie das alles zusammen.“

Christoph Burkard möchte seine Karriere in Rio beenden, sich nun voll auf seinen Job als Projektleiter bei der Firma Bizerba konzentrieren. Nach 20 Jahren Spitzensport gibt es am Ende doch noch etwas, das ihn runterziehen zu droht: „Das Wettkampf-Adrenalin wird mir fehlen“, sagt Burkard. „Es wird nicht leicht, dafür Ersatz zu finden.