Jenseits der Leitplanke rauschen die Autos auf der B 27 mit Tempo 100 vorbei. Daneben verwandelt sich die geschäftige Hektik in eine Auszeit auf Zeit. Einige Stunden in einem Mikrokosmos aus Rädern und Asphalt.

Filderstadt - Artur Kowalski steht auf einem Parkplatz neben der B 27 und wartet auf seine Abfahrt. Es ist gegen 17.30 Uhr an diesem mit 36 Grad im Schatten sehr heißen Dienstagnachmittag. „Jetzt sind es noch zehn Minuten“, sagt er und öffnet die rechte Stahltür des Lkw-Frachtraums. Der Blick fällt auf diagonal geschichtete, glänzende Platten. „Ich weiß nicht genau, was das ist“, sagt Kowalski und schiebt hinterher: „Wir können in den Frachtpapieren nachschauen.“ Aber vorher muss er noch seine Sandwichverpackung loswerden. „Ich lege sie hinten rein. Sonst stinkt es im Führerhaus“, sagt der 34-Jährige und schließt die Türen des Aufliegers.

 

Einen Mülleimer gibt es auf diesem Parkplatz zwischen den Abfahrten Filderstadt-West und Leinfelden-Echterdingen Stetten nicht. Überhaupt ist dieser Ort überschaubar. Es gibt dort nur eine breite Fahrspur. Daneben stehen Lastwagen in der gleißenden Sonne – manche dicht an dicht, zwischen anderen ist noch Platz für Autos. Der Parkplatz neben der Bundesstraße ist gut 200 Meter lang inklusive der Ein- und Ausfahrt und hat Platz für vier 40-Tonner. Es gibt dort nicht nur keinen Mülleimer, sondern auch keine Bank und schon gar keine Toilette oder ein Restaurant. Und trotzdem halten dort zahlreiche Lastwagen- und Autofahrer.

Mit einem Mülleimer vermüllen die Parkplätze

Artur Kowalski klettert in das Führerhaus seines Daf-40-Tonners, mit dem er sich gleich auf den Weg nach Amsterdam in den Niederlanden macht. Doch noch trennen ihn gut 630 Kilometer vom Ziel. „Jetzt habe ich noch sechs Minuten“, sagt er.

Klaus Hoydar Foto: Malte Klein

Thorsten König kennt den Parkplatz beruflich. Denn er ist beim Straßenbauamt der Kreise Esslingen und Göppingen für diesen Teil der Bundesstraße zuständig. „Er ist keine Rastanlage, an der sich Autofahrer auf einer langen Reise erholen, sondern ein Ort für eine kleine Pause“, sagt er. Wie viele Lastwagen- oder Autofahrer dort halten, darüber führt die Behörde keine Statistik. „Manchmal machen Brummifahrer dort eine ausgiebige Pause, damit sie ihre Lenkzeiten einhalten können.“ Ob die Behörde auf solchen Parkplätzen einen Mülleimer aufstellt oder nicht, ist unterschiedlich. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wenn es einen Mülleimer oder einen Container gibt, der Parkplatz innerhalb kürzester Zeit vermüllt. „Manche laden dann dort sogar ein altes Sofa ab.“ Gebe es keinen Mülleimer, nehmen die Fahrer laut König ihre Verpackungen wieder mit.

Die Sonne brennt an diesem Nachmittag auf den Asphalt des Parkplatzes. Das Thermometer von Artur Kowalskis Laster zeigt 36,5 Grad im Schatten an. Im Führerhaus ist es kühler, denn er hat seine Klimaanlage auf 16 Grad eingestellt. „Ich habe versucht zu schlafen“, sagt er. Doch so recht funktioniert habe es nicht. Kowalski hat hier Pause gemacht, weil seine Lenkzeit abgelaufen war. „Viele Spediteure suchen gerade Fahrer. Aber es gibt schon jetzt viel zu wenige Parkplätze. Ich frage mich, wo die alle noch stehen sollen“, sagt Kowalski. Er schaut in seine Frachtpapiere, in denen Autoclave Wax steht. Dieses Material wird in Laboren zur Sterilisation verwendet.

Lkw-Fahrer müssen gesetzliche Ruhezeiten einhalten

Hinten in der Fahrerkabine neben der Liege piept es. Kowalski hatte sich einen Wecker gestellt. „In drei Minuten muss ich los.“ Wenig später steuert Kowalski den Daf auf die B 27. An diesem Tag wird er acht Stunden hinterm Lenkrad verbringen. Dann wird er wieder einen Parkplatz ansteuern. Wo genau, wird sich ergeben.

Es gibt im ganzen Land viel zu wenige Parkplätze für Lkw-Fahrer, sagt Herbert Schwichtenberg vom Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL). Dieses Problem müsse dringend gelöst werden und der BGL setze sich dafür ein. „Den Fahrern muss die Gelegenheit gegeben werden, die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten einzuhalten sowie sich angemessen erholen zu können“, sagt Schwichtenberg. Dafür seien Parkplätze erforderlich, die über sanitäre Einrichtungen, Verpflegungsmöglichkeiten und sichere Stellplätze verfügen.

Zurück bleiben auf diesem schmalen, von Zigarettenkippen übersäten Stück Asphalt neben der B 27 drei weitere Lkw. Für die Fahrer ist es ein Ort der Ruhe. Doch zu sehen ist niemand. Die Scheiben in den verbliebenen Lastwagen sind mit Gardinen verhangen. Die Dieselmotoren der Lkws brummen sonor und verströmen außen herbe Abgase. Sie treiben die Klimaanlagen an, die kalte Luft in die Kabinen pusten.

Zwischen zwei Lkws stoppt ein Mann sein Auto und steigt aus. „Ich komme aus Bonlanden und fahre nach Stuttgart. Ich mag nicht im Auto rauchen“, sagt er. Darum hält er hier und schaut auf die Straße.

Jenseits des Stroms der Autos und Lastwagen gibt es auch einen Parkplatz in Fahrtrichtung Tübingen. Er liegt zwischen den Ausfahrten Filderstadt-West und Filderstadt-Süd. Im März 2016 starben dort drei junge Menschen nach einer Verfolgungsjagd. Ihr Auto war Polizisten auf der A 8 bei Leonberg durch überhöhte Geschwindigkeit aufgefallen. Als die Beamten hinterherfuhren, raste der Fahrer davon und bog auf den Parkplatz. Dabei streifte er mit hohem Tempo eine Leitplanke und das Auto überschlug sich.

Seit 45 Jahren Fernfahrer und immer einen Wasserkanister dabei

Etwas später stoppt ein Renault Twingo zwischen zwei Lastern. Konstantinos Tsitselis steigt aus und betrachtet seinen rechten Hinterreifen. „Ich wollte ihn kontrollieren, weil ich dachte, er sei nicht in Ordnung.“ Doch der Pneu ist prall. Minuten später braust Tsitselis wieder davon.

Mitunter passiert auf dem Parkplatz auch mal eine halbe Stunde nichts. Dann ist nur das Rollen der Räder und das Surren der Motoren zu hören. Dann hält eine Limousine. Der Fahrer schiebt seinen Sitz nach hinten, öffnet das Fenster und hält sich einen Hut vor das Gesicht. „Ich ruhe mich etwas aus“, sagt er. Zehn Minuten später ist er wieder unterwegs. Wer auf dem Parkplatz steht, bekommt einen Eindruck, wo er sich befindet. Hinter einem anderthalb Meter hohen Drahtzaun sind Felder mit grünen und roten Salatpflanzen zu sehen. Dahinter zeichnen sich Häuser von Bernhausen ab

Artur Kowalski Foto: Malte Klein

Wo vorhin noch der Lkw von Artur Kowalski stand, rangiert nun Klaus Hoydar. „Meine Fahrzeit ist vorbei. Nun mache ich Pause und breche gegen fünf Uhr wieder auf.“ In seinem Auflieger transportiert er Asche von Hohenstein nach Bad Friedrichshall. „Ich werde jetzt essen und dann mit meiner Frau telefonieren“, sagt Hoydar. Er ist seit 45 Jahren Fernfahrer. Dass es auf dem Parkplatz bei Filderstadt keine Toilette und kein Restaurant gibt, stört ihn nicht. „Ich habe immer einen Kanister Wasser dabei. Dann kann ich Kaffee kochen.“ Das sei viel billiger als die 3,50 Euro, die er in der Raststätte dafür zahlen müsste. Mit dem Geld sei das so eine Sache. Er hat ausgerechnet, dass er in den 80er Jahren im Verhältnis mehr Geld verdient hat als heute. „Früher habe ich 3500 DM Gehalt bekommen und die Miete hat 350 DM gekostet. Heute verdiene ich 2300 Euro und zahle 700 Euro Miete“, sagt Hoydar. Dass diesen Abend noch lange Autos neben ihm vorbeirasen, auch wenn er schläft, stört ihn nicht. „Daran habe ich mich so gewöhnt, dass ich das gar nicht mehr höre.“

„Wohnen möchte ich in der Gegend nicht“

Lastwagenfahrer müssen immer ihre Fahrzeiten einzuhalten. Halten sie sich nicht daran, müssten sie Strafen zahlen. Die Tageslenkzeit ist nach einer EG-Verordnung auf neun Stunden täglich begrenzt. Zweimal pro Woche dürfen sie zehn Stunden fahren. Die Fahrer müssen nach spätestens viereinhalb Stunden 45 Minuten Pause einlegen. Die Pause kann allerdings auch aufgeteilt werden.

Während für Hoydar der Arbeitstag vorbei ist, beginnt er für Andreas Lucas gleich. „Ich fahre nach Vaihingen/Enz und lade da Zeitungen und Zeitschriften, die ich nach Offenburg fahre.“ Er hat Stunden in seinem Mercedes-40-Tonner auf dem Parkplatz verbracht und ferngesehen. Nun ist es 20.30 Uhr. Für ihn war der Platz in Ordnung. „Wohnen möchte ich in der Gegend nicht. Hier ist schon morgens um 5 Uhr Stau.“ Das Rauschen der Fahrzeuge neben ihm hat ihn nicht gestört. „Ich merke aber, wenn ich zu Hause bin, dass es da so ruhig ist.“

Der 56-Jährige fährt seit 18 Jahren Lkw. Er ist verheiratet und kommt aus Altenburg in Thüringen. Seine Kinder und Enkelkinder leben in Offenburg. Mit ihnen wird er bald Urlaub in Mecklenburg machen. Doch nun geht es erst mal nach Vaihingen/Enz. Dass er mal im Stau steht, nimmt er gelassen. „Ich ärgere mich nicht mehr. Wenn ich im Stau stehe, ist das so. Und wenn ich da bin, bin ich da.“