Beim Parkplatzmord-Prozess wurde das ganze Leben des Angeklagten untersucht – doch sein Innerstes blieb im Dunklen. Am Mittwoch wird das Urteil erwartet.

Stuttgart - Auch fünf Monate und 19 Verhandlungstage nach Prozessbeginn am Landgericht Stuttgart bleibt Detlef S. ein Fremder . Selbst intimste Details wurden öffentlich; Ermittler sagten aus, die die Wohnung des Angeklagten auf den Kopf gestellt und sämtliche seiner Kontakte unter die Lupe genommen hatten; die Schwurgerichtskammer hörte Zeugen aus dem engsten Umfeld von Detlef S . Allein: das Bild des Menschen, das sich dadurch abzeichnet, wirkt wie ein Scherenschnitt. Alle äußeren Umstande, sein Alltag und seine Ehe, die nächtlichen Ausfahrten im 7er-BMW, das verprasste Erbe, die HIV-Infektion sind scharf umrissen. Das Innerste von Detlef S. hingegen bleibt im Dunklen. Mit keinem Wort hat sich der 57-jährige Ex-Postbeamte aus Esslingen zu der Anklage geäußert, die ihm zwei Morde auf als Schwulentreffs bekannten Parkplätzen und einen Mordversuch vorwirft.

 

Überhaupt hat er meist geschwiegen, den gefesselten Körper zur Seite gedreht, bis er sich in seinem letzten Wort vor der Urteilsverkündung gestern doch noch ans Publikum gewandt hat, überraschend und wirr: „Sollte jemand hier sein, der annimmt, ich sei der Grund für sein Leiden, dann entschuldige ich mich und bitte dafür um Vergebung. Wenn Menschen ihre Neigung leugnen und in obskuren Subkulturen ausleben müssen, dann sind nicht sie pervers, sondern die Umwelt, in der sie leben.“

Eitelkeit und Allmachtsfantasien

Das war kein Eingeständnis, kein Dementi und vor allem keine Erklärung, auf die manch Angehöriger der Getöteten vielleicht doch noch gehofft hatte. Und so lehnt der Oberstaatsanwalt Albrecht Braun seine Suche nach einem Motiv vor allem an die Schlussfolgerungen des psychiatrischen Sachverständigen Peter Winckler an, der Detlef S. einen Hang zu übersteigerter Eitelkeit und Allmachtsfantasien attestiert: „Ohne fassbares Motiv, aus reiner Mordlust hat Detlef S. getötet“, plädiert Braun.

Er fordert lebenslange Haft für den Angeklagten und sieht wegen der verwerflichen Tatausführung die besondere Schwere der Schuld gegeben, die eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren ausschließt. Eine höhere Strafe kennt das deutsche Recht nicht. Zudem beantragt Braun Sicherungsverwahrung. Der Mann sei Serientäter: „Die Taten sind geprägt durch eine kalte Willkür und Hinterhältigkeit, sie sind besonders ruchlos und niederträchtig.“

Staatsanwalt: Die Opfer waren arglos

Der 30 Jahre alte Vater Heiko S., dem an einer Landstraße nach Magstadt im Kreis Böblingen in den Kopf geschossen wurde, als er sich arglos eine Zigarette drehte; der 70 Jahre alte Friedrich L., der im Waldstück an der A 5 bei Frankfurt mit derselben Waffe niedergestreckt wurde: „Es war ein Töten aus Freude, zum Zeitvertreib.“ Das gleiche Schicksal habe das dritte Opfer des Angeklagten ereilen sollen, einen 62 Jahre alten belgischen Touristen. Er wurde – ebenfalls vergangenes Jahr – mitten in Freudenstadt mit einem Messer attackiert, konnte aber entkommen.

Immer wieder hatten die Beteiligten sich daran abgemüht, diese dritte Tat, die nicht ins Schema der zwei Morde passen will, zu erklären. „Bis zuletzt bleiben etliche Fragen offen“, sagt der Verteidiger Peter Mende in seinem Schlussvortrag. „Waren es eine oder mehrere Täter? Was sind die wahren Hintergründe? Was ist das wirklich Motiv? Wir haben nur die halbe Wahrheit erfahren.“ Das Gericht könne nicht Mordmerkmale zementieren, nur weil Anhaltspunkte für ein Motiv fehlten. Und: „Im Fall des belgischen Touristen drängt sich kein Tötungsvorsatz auf.“ Der Verteidiger zweifelt die besondere Schwere der Schuld an und beantragt, von Sicherungsverwahrung abzusehen.

Undankbare Aufgabe

Seine Aufgabe ist undankbar angesichts der klaren Beweislage. Die Tatwaffe wurde samt Munition im Auto von Detlef S. gefunden, West-Zigaretten mit seiner DNA lagen an zwei Tatorten; auf dem Beifahrersitz von Heiko S. fanden Beamte einen Einmalhandschuh mit den Spuren von Detlef S; das überlebende Opfer erkannte in ihm den Angreifer wieder. Angesichts dessen sind kaum Überraschungen zu erwarten, wenn die Kammer am Mittwoch das Urteil spricht.

„Was wäre noch passiert, hätte man Sie nicht aus dem Verkehr gezogen?“, fragt die Nebenklagevertreterin Friederike Vilmar direkt an Detlef S gewandt. „Die Angehörigen wollen verstehen, aber Sie lassen sie ratlos zurück“, sagt sie. „Ihr ganzes Dasein entbehrt jeder Menschlichkeit.“