Im Prozess um die Parkplatzmorde zählt jedes Detail. Auch Zeugen müssen teils intime Fragen beantworten. Der Angeklagte schweigt.

Stuttgart - Der Zeugenstand kann ein unbequemer Ort sein. Vor allem dann, wenn der Angeklagte schweigt und das Gericht sich nach jedem Detail streckt, das vielleicht noch von Bedeutung sein könnte. Der Wahrheit verpflichtet, muss der Zeuge Intimstes nach außen kehren.

 

Im Fall des mutmaßlichen Parkplatzmörders, der im Kreis Böblingen und an der A 5 nahe dem Frankfurter Flughafen zwei Männer aus dem Homosexuellenmilieu erschossen haben soll, sind das Fragen nach der eigenen Sexualität des Zeugen.

"Wollten Sie Sex?"

Andreas H. (Name geändert) sträubt sich. Fast zwei Monate war er unschuldig auf neun Quadratmetern in Stammheim eingesperrt. Den Ermittlern galt der heute 35-Jährige lange als tatverdächtig. Heute ist klar: er war nur zur falschen Zeit am falschen Ort, als Heiko S. am 8. Mai 2010 auf einem Homosexuellentreff im Wald bei Magstadt von hinten in den Kopf geschossen wurde. Auf der Anklagebank muss sich ein anderer wegen dieses und eines weiteren Mordes im Juli 2010 vor dem Landgericht verantworten: Detlef S., ein 56 Jahre alter, frühpensionierter Postbeamter aus Esslingen, den unter anderem DNA-Spuren an den Tatorten schwer belasten.

Dennoch lassen die Richterin und der Verteidiger nicht locker. "Was wollten Sie denn auf diesem Parkplatz? Wollten Sie Sex?" Nein. Vielleicht. "Ich weiß es nicht. Wissen Sie, ich hatte Streit mit meiner Freundin. Ich wollte meine Ruhe haben und bin einfach etwas rumgefahren." Ab wann gesteht man sich selbst ein, bisexuell zu sein - und wann outet man sich vor Fremden als homosexuell?

Im Visier der Ermittler

Die Fragen von der Richterbank sind Andreas H. offenbar unangenehm. Er weicht aus, laviert, wie kurz nach der Tat, als ihn spätabends in jenem Mai die Polizeistreife in einem Waldstück nahe dem Parkplatz aufgriff. Warum fuhr er von dem Homosexuellentreff weg zu einer abseits gelegenen Hütte, kehrte zurück zum belebten Parkplatz und fuhr wieder zur Hütte? Andreas H. ist ins Visier der Ermittler geraten, weil er sich schon damals in Widersprüche verstrickte, erinnert sich der Staatsanwalt. Deswegen wurde er auch nicht nach dem Entschädigungsrecht mit 25 Euro pro Tag ausbezahlt für die Wochen in Haft.

"Das ist wie ein großes Puzzle, das sich Stück für Stück zusammensetzt", erklärt Verteidiger Peter Mende, warum ihm die Beweggründe des jungen Mannes so wichtig sind. Dabei weiß Andreas H., der Augenzeuge, auch von vielleicht wichtigen Beobachtungen zu berichten: "Ein dunkles Fahrzeug kam von der Landstraße angeschossen und bog in den Wald ein", berichtet er vom Tatabend. Es soll sich um den 7er-BMW des Angeklagten gehandelt haben. "Am Steuer saß ein Mann mit einem Bundeswehrpullover. Er hat mich angeschaut, zwei, drei Sekunden lang." Unheimlich habe er das gefunden, deswegen das Licht eingeschaltet, dann sei er weggefahren.

Die Hände bleiben festgebunden

Damals war noch kein Verdacht auf Detlef S. gefallen. Der Angeklagte schweigt wie am ersten Verhandlungstag. Die Hände bleiben ihm in Spezialhandschuhen am Bauch festgebunden. Wenn er seine randlose Brille absetzen will, muss die Justizbeamtin neben ihm zum Gestell greifen. Die Fesseln sollen ihn vor allem vor sich selbst schützen: kurz vor Prozessbeginn hat der Mann ein zweites Mal versucht, sich das Leben zu nehmen - mit Schnitten an der rechten Halsschlagader. Ein großes Pflaster schaut unter dem Kragen seines blauen Overalls hervor. Bereits vor drei Monaten wollte Detlef S. sich in Untersuchungshaft mit Tabletten das Leben nehmen.

Während der Verhandlung wirkt er teilnahmslos. Bis jetzt deutet nichts darauf hin, dass er sich noch äußern wird. Umso mehr Gewicht bekommen die Aussagen der 86 geladenen Zeugen, um die Taten möglichst detailreich zu rekonstruieren.