Die Bäckerei Unger in Stuttgart-Sillenbuch hat vor Monaten geschlossen. Einheimische wissen das, stellen ihre Autos gern dort ab – und werden reihenweise abgeschleppt. Betreibt ein Abschleppdienst hier etwa Abzocke?

Sillenbuch - Das sei eine ganz ungute Geschichte. Die 75-Jährige, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, befürchtet, dass es in Sillenbuch nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. Dieser Tage radelte die Heumadenerin zur Kirchheimer Straße zum Einkaufen – und sah an der Ecke zur Liliencronstraße schon von Weitem ein Auto am Haken und einen Tumult. „Eine ältere Frau stand dort und schrie: Abzocke“, berichtet die Zeugin. Der Wagen eines Mannes war vom ehemaligen Kundenparkplatz der Bäckerei Unger gehievt worden. Der Betrieb hat aber vor Monaten geschlossen. Die Gewerbefläche steht leer. Warum wird dort also immer wieder abgeschleppt, fragte sich das Trio auf der Straße. Agiert da ein Abschleppdienst womöglich in Eigenregie?

 

Firma aus dem Fasanenhof hat das Haus gekauft

Was kaum einer in Sillenbuch weiß: Das Haus ist seit Mai 2017 verkauft, nämlich an die Firma Box2 mit Sitz im Stadtteil Fasanenhof. Die hat sich auf die Vermietung von möblierten Appartements spezialisiert, das ehemalige Unger-Haus wurde aber, so Matthias Altmann, der geschäftsführende Gesellschafter, für die Privatnutzung erworben. Im Erdgeschoss, wo ehemals Brezeln, Brote und Berliner über die Theke gingen, soll wieder eine gewerbliche Fläche entstehen. „Etwas Anständiges“ stellt der neue Immobilienbesitzer in Aussicht. Aktuell werde umgebaut – und dafür würden auch die zwei Parkplätze benötigt, erklärt Matthias Altmann.

„Das ist ein Privatgrundstück, wir haben es extra beschildert“, sagt er. Dennoch wird die – tatsächlich einwandfrei sichtbare – Hinweistafel, dass widerrechtlich geparkte Fahrzeuge kostenpflichtig abgeschleppt werden, regelmäßig missachtet. Zudem müsse er oft Müll vom Grundstück entfernen, „teilweise ist der von den Leuten, die dort parken“. Anders, als mit der Abschleppfirma S-T-U eine Abtretungsvereinbarung zu unterzeichnen, habe er sich nicht zu helfen gewusst. „Immer, wenn ich hingefahren bin, standen dort zwei Autos“, klagt Altmann. Der Vertrag berechtigt den Abschleppdienst, jederzeit ohne Rücksprache zu agieren. Die Polizei, die immer wieder von aufgebrachten Autohaltern kontaktiert wird, ist somit nicht mehr zuständig, bestätigt Martin Schautz, ein Polizeisprecher; das Ganze sei eine zivilrechtliche Angelegenheit.

Chef des Abschleppdienstes weist Vorwürfe zurück

Der S-T-U-Chef Ivan Tilman sagt, dass er viele Kunden wie Matthias Altmann hat, denn, das weiß jeder, der Parkdruck in Stuttgart nimmt zu. Abgeschleppt werde, wenn ein Mitarbeiter beim Vorbeifahren einen Falschparker entdecke. Ein- bis dreimal am Tag sei man in Sillenbuch. Den Vorwurf der Abzocke lässt er nicht auf sich sitzen, „das ist unser Job“. Die Preise seien fix und gestaffelt – das vollendete Abschleppen bis zum Firmengelände in Zuffenhausen koste 232 Euro. Das ärgere die Leute freilich, und oft werde dann angeführt, dass man doch nur zwei, drei Minuten weg war. „Aber in fünf Minuten kann ich kein Auto aufladen“, entgegnet Tilman.

Den Ärger derer, die es erwischt hat, versteht Matthias Altmann durchaus. „Das tut mir auch leid, ich versuche dann, es den Leuten zu erklären.“ Einer war offenbar so wütend, dass er in großen Buchstaben „Achtung, hier wird abgeschleppt“ an die Hauswand geschmiert hat. Matthias Altmann versucht, diese Sachbeschädigung positiv zu sehen: „Jetzt muss es jeder lesen können.“