Der sich abzeichnende Rückhalt im Parlament für das Lager des neuen Präsidenten übersteigt die Erwartungen. Die etablierten Parteien wurden vom Wähler degradiert.

Paris - Die Franzosen reiben sich nach der ersten Parlamentswahlrunde verwundert die Augen. Die politische Landschaft ihres Landes ist nicht wiederzuerkennen. Eine Partei, die es vor gut einem Jahr noch gar nicht gab und die weder rechts noch links verortet sein will, La République en Marche (LRM, Vorwärts die Republik), hat sich am Sonntag an der Seite ihres Juniorpartners, der Zentrumspartei Modem, mit 32,3 Prozent durchgesetzt und wird in der neuen Nationalversammlung voraussichtlich 415 bis 455 der 577 Abgeordneten stellen.

 

Damit übersteigt der sich abzeichnende parlamentarische Rückhalt für Präsident Emmanuel Macron alle Erwartungen, auch wenn die genaue Sitzverteilung in der Nationalversammlung erst nach der zweiten Wahlrunde am kommenden Sonntag feststehen wird.

Von der Opposition dagegen sind nur noch Krümel übrig. Die mit 21,6 Prozent davongekommenen konservativen Republikaner und ihre Verbündeten dürfen auf 70 bis 110 Abgeordnete hoffen, die mit 9,5 Prozent zur Kleinpartei verkommenen Sozialisten und ihre Partner auf 20 bis 30. „Wir liegen am Boden, die Sozialisten sind bereits unter der Erde“, spottete ein Republikaner. François Baroin, der Organisator des konservatiaven Wahlkampfs, warnte davor, Frankreich einer einzigen Partei auszuliefern.

Die Opposition gibt ein klägliches Bild ab

Marine Le Pens Front National fiel im Vergleich zur Präsidentschaftswahl um 7,8 Punkte auf 13,5 Prozent zurück, Jean-Luc Mélenchons Unbeugsames Frankreich um 8,6 Punkte auf 11 Prozent. Und als wäre dies alles nicht schon ungewöhnlich genug, hat die Wahlbeteiligung mit 48,7 Prozent ein historisches Tief erreicht.

So befremdlich das Szenario auf den ersten Blick aber auch anmutet, bei näherer Betrachtung fügen sich die Teile zu einem Ganzen. Einen wichtigen Beitrag zur Einordnung lieferten am Montag diejenigen, die am Vortag zu Hause geblieben waren. „Wir haben Macron zum Präsidenten gewählt, jetzt sollten wir ihm beim Regieren nicht in die Parade fahren“, war aus Nichtwählermunde zu hören. Anders gesagt: Ohne vom neuen Staatschef restlos überzeugt zu sein, dem die Meinungsforscher einen sicheren Sieg prophezeit hatten, wollte so mancher Daheimgebliebene den Dingen ihren Lauf lassen.

Zumal die Opposition eben ein klägliches Bild abgibt und sich nicht als Alternative aufdrängt. Bei den Republikanern liegen bürgerlich-liberale Politiker im Clinch mit Rechtsnationalisten, bei den Sozialisten Sozialdemokraten mit Altlinken. Im Front National ist es das Festhalten am Euro, das entzweit. Und Mélenchons Unbeugsames Frankreich musste am Sonntag wieder einmal schmerzlich erfahren, dass zwar der Parteichef zum Volkstribun taugt, ein Gutteil der in seinem Namen antretenden Kandidaten das Publikum aber weniger in Bann schlägt.

Die Sozialisten als Zuschauer

Bis zur zweiten Wahlrunde wird der Kitt der Parteidisziplin wohl noch halten. Anschließend aber dürfte abgerechnet werden. Ganz besonders gilt dies für die Sozialisten, deren Führungspersonal am Sonntag weitgehend auf der Strecke geblieben ist. Ob Parteichef Jean-Christophe Cambadélis oder Ex-Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon: Am nächsten Sonntag, wenn in der zweiten Wahlrunde nur antreten darf, wer in der ersten mindestens 12,5 Prozent der Stimmberechtigten hinter sich gebracht hat, sind sie Zuschauer.

Diejenigen, die am Sonntag die LRM zum Sieger gemacht haben, dürften nicht zuletzt Macron ihre Reverenz erwiesen haben, der sozialliberale Reformen propagiert. Die überwiegend unbekannten, zur Hälfte aus der Zivilgesellschaft kommenden Kandidaten von LRM hatten meist nicht die Zeit, sich zu profilieren. Ganze 27 der von LRM und Modem aufgebotenen 517 Mitstreiter saßen bereits in der vergangenen Legislaturperiode im Parlament. Die Hälfte verfügt nicht einmal über lokalpolitische Erfahrung. Anders als der Wechsel prominenter konservativer und sozialistischer Überläufer vermuten lässt, die in der neuen Regierung angeheuert haben, hat der Erneuerer Macron darauf geachtet, LRM nicht zur Recycling-Anstalt für abgehalfterte Altpolitiker zu machen. Das hat freilich seinen Preis. LRM wird Mühe haben, Spitzenposten angemessen zu besetzen.