Stimmenfang mit Ausländerangst. Das funktioniert auch in der Schweiz. Schon lange ist die rechtskonservative SVP stärkste Partei. Wenn sie in der Regierung gebremst wird, greift sie einfach zum Referendum.

Bern - Auf den ersten Blick ist Oberwil-Lieli Harmonie pur. Ein hübsches Dorf auf dem sanft gewellten Holzbirrliberg. Dass die 2200-Seelengemeinde im Vorfeld der Schweizer Parlamentswahlen am Sonntag Furore machte, hat freilich nichts mit der schönen Lage zu tun. Vielmehr war die „konsequenten Asylpolitik“ des Bürgermeisters Andreas Glarner von der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) in aller Munde. Die lässt sich so zusammenfassen: „Asylbewerber? Nein danke, nicht bei uns!“

 

Lieber zahlt die Gemeinde Strafen, als nur einen Flüchtling zu akzeptieren. Auf einer Wiese gab es ein leer stehendes Haus. Man hätte dort jene acht Asylbewerber unterbringen können, die der Ort nach dem amtlichen Verteilschlüssel des Kantons Aarau aufnehmen müsste. Doch die Gemeinde ließ das Haus abreißen.

„Wir wollen keine Asylbewerber“, erklärt der Bürgermeister Reportern. Das seien alles nur Sozialhilfe-Empfänger. „Die würden uns immer und ewig auf der Tasche liegen.“

Lieber Strafe zahlen als Flüchtlinge aufnehmen

Da erscheint es günstiger, pro Asylbewerber, den man nicht aufnimmt, einen Ausgleich von 3000 Franken pro Monat an die Kantonsverwaltung zu überweisen. Bei acht Plätzen also 290 000 Franken pro Jahr, rund 270 000 Euro. Das Geld hat Oberwil-Lieli längst im Haushalt „eingepreist“.

Die blitzsaubere Gemeinde ist damit längst nicht die einzige. Dutzende andere greifen lieber in die Kasse, als Flüchtlinge zu beherbergen. Sollte die Zahl solcher „Asyl-Verweigerer“-Gemeinden nach der Parlamentswahl wachsen, wäre das kein Wunder. Lange vor der Abstimmung stand laut Umfragen fest, dass die Partei des Bürgermeisters von Oberwil-Lieli wie schon seit Jahren auch landesweit erneut stärkste politische Kraft wird.

Unübersehbar ist, dass ihr auf die Flüchtlingskrise zugeschnittener Wahlkampf dabei eine Rolle spielte. Das Wahlversprechen steht in landesweiten Anzeigen: „Die SVP ist die einzige Partei, die garantiert, dass die Zuwanderung begrenzt wird, die Missbräuche im Asylwesen beseitigt werden, kriminelle Ausländer ausgeschafft werden, ein Anschluss an die EU verhindert wird.“

Hoher Ausländeranteil in der Schweiz

Viele Eidgenossen halten dies für ein wählbares Programm. Dennoch ist die Schweiz insgesamt kein ausländerfeindliches Land voller Abschotter und Isolationisten. Immerhin beherbergt die Alpenrepublik gemessen an ihrer Einwohnerzahl von rund acht Millionen Menschen mehr Asylsuchende als die meisten anderen Staaten Europas – samt allen damit verbundenen Problemen, die gerade auch Deutschland kennt. Zudem ist der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung der Schweiz mit insgesamt 25 Prozent vergleichsweise hoch.

Dass die SVP die stärkste Fraktion im Nationalrat – der großen Kammer des Parlaments – stellt, verhilft ihr allerdings noch lange nicht zur Durchsetzung ihrer Ziele in der Regierung. Der Grund dafür ist das einzigartige politische System der Schweiz. Die Eidgenossenschaft ist eine Konkordanzdemokratie. Das heißt: Möglichst viele politische Kräfte werden an der Regierung beteiligt, die zudem Entscheidungen nur im Konsens treffen kann.

Die vier bis fünf stärksten Parteien erhalten jeweils zwei oder einen der sieben Ministerposten. In den letzten Jahren hat sich die SVP mit einem Platz am Kabinettstisch zufriedengeben müssen, obwohl ihr nach Wählerstärke zwei zustehen würden. Gewählt werden die neuen Minister am 9. Dezember vom gesamten Parlament. Also auch von den Sozialdemokraten, der seit Jahren zweitstärksten politischen Kraft, den Grünen und den bürgerlichen Parteien der Mitte. Sie könnten erneut so abstimmen, dass die SVP nur einen Ministerposten bekommt.

Direkte Demokratie hilft SVP, ihre Ziele zu erreichen

Ob das gut wäre für das Land, ist fraglich. Denn bei den Nationalkonservativen mehren sich die Stimmen, die für diesen Fall den Gang in die Opposition fordern. Dann würde sich die SVP zwangsläufig vollends darauf konzentrieren, ihre Ziele mit den Instrumentarien der direkten Demokratie zu erreichen – also mit Volksentscheiden.

Dabei war sie oft erfolgreich. So beschloss das Schweizer Volk auf Vorschlag der SVP unter anderem ein Verbot des Baus von Minaretten und die Wiedereinführung von Kontingenten für den Zuzug von Ausländern auch aus EU-Staaten. Und unmittelbar vor der Wahl hatte die SVP eine neue Volksinitiative angekündigt: Die erst kürzlich vom Parlament beschlossene Asylreform soll per Referendum gekippt werden. Die Neuregelung zielt zwar darauf ab, den Zustrom von Flüchtlingen zu reduzieren und abgelehnte Asylbewerber schneller abschieben zu können. Doch der SVP geht das längst nicht weit genug.