Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und seine Bewegung La République en Marche greifen nach der absoluten Mehrheit. Viele Kandidaten, die an diesem Sonntag in der ersten Runde antreten, haben aber noch keine politische Erfahrung.

Paris - Emmanuel Macron ist einfach nicht aufzuhalten. Unbekümmert marschiert er weiter. Dabei hatten Politikexperten auf seinem Weg doch jede Menge Hindernisse ausgemacht. Frankreichs neuer Präsident werde mit seiner erst 14 Monate alten Bewegung La République en Marche (LRM, Vorwärts die Republik) bei den Parlamentswahlen schwerlich die zum Regieren notwendige Mehrheit erreichen, hatten Meinungsforschungsinstitute und Politikwissenschaftler prophezeit, kaum war er Mitte Mai in den Élysée-Palast eingezogen. Macrons Plan, im Namen politischer Erneuerung und größerer Bürgernähe weithin unbekannte Kandidaten aus der Zivilgesellschaft aufzubieten, sei zum Scheitern verurteilt. Im Kräftemessen mit kampferprobten Politprofis würden die Neulinge schnell alt aussehen. Die bei den Präsidentschaftswahlen leer ausgegangenen konservativen Republikaner (LR) hatten frohlockt, sich bereits als stärkste Fraktion in die Nationalversammlung einziehen und dem sozialliberalen Emporkömmling den Kurs diktieren sehen. Aber das alles ist mittlerweile eben Makulatur.

 

Marcheurs haben einen Vertrauensvorschuss

Laut Umfragen winkt Macrons in der politischen Mitte verankerter, mit konservativen und sozialistischen Überläufern verstärkter Kandidatenschar die absolute Mehrheit. Das Institut Ipsos prophezeit LRM in der am Sonntag stattfindenden ersten Wahlrunde 31 Prozent der Stimmen und damit einen klaren Sieg. Auf den Plätzen zwei bis fünf folgen die Republikaner (22 Prozent), der rechtspopulistische Front National (18 Prozent), die linke Bewegung Unbeugsames Frankreich (11,5 Prozent) und die Sozialisten (8,5 Prozent). Wenn in der zweiten Runde am Sonntag darauf nur noch antreten darf, wer in der ersten mehr als 12,5 Prozent der Stimmberechtigten hinter sich gebracht hat, wird der Sieg wohl noch deutlicher ausfallen. Mit 395 bis 425 der 577 Mandate kann Macrons Bewegung rechnen, mit 289 hätte sie bereits die absolute Mehrheit.

Wenn der Wähler den LRM-Kandidaten, Marcheurs (Marschierer) genannt, einen derart hohen Vertrauensvorschuss entgegenbringt, dann deshalb, weil Macron den seinen gerechtfertigt hat. Er selbst galt ja als Novize. Vor fünf Jahren erst war er in die Politik gewechselt. Als Berater des früheren Staatschefs François Hollande hatte er 2012 angeheuert, zwei Jahre später wurde er dessen Wirtschaftsminister. „Kann der das?“, lautete die bange Frage, nachdem sich der 39-Jährige Anfang Mai in der Stichwahl gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen durchgesetzt hatte. Er kann es, glaubt nun die Mehrheit der Franzosen.

Der Präsident redet Klartext

Dankbar registrieren sie, dass dem zögerlichen Hollande ein Präsident gefolgt ist, der Klartext redet, zielstrebig vorneweg marschiert. Zumal auf internationalem Parkett hat Macron beeindruckt. Ob er nun in Versailles dem russischen Kollegen Wladimir Putin „rote Linien“ zog oder dem das Pariser Klimaschutzabkommen aufkündigenden Donald Trump in einer weltweit beachteten Fernsehansprache Paroli bot: Die Franzosen haben applaudiert. Nur noch 18 Prozent glauben, dass Macron nicht das Zeug zum Präsidenten hat. Für 48 Prozent hat er es voll und ganz, für weitere 34 Prozent zumindest in mittlerem Ausmaß, 62 Prozent versichern, sie seien zufrieden mit dem neuen Staatschef.

  Innenpolitisch treibt Macron entschlossen voran, was er die „Erneuerung der politischen Landschaft“ nennt und was de facto auf eine Demontage der Traditionsparteien hinausläuft. Erfolgreich hat der Sozialliberale in den vergangenen Wochen nach rechts und links ausgegriffen, Konservativen wie Sozialisten Mitstreiter abspenstig gemacht. Zustatten kommt ihm, dass beide Parteien Zerfallserscheinungen aufweisen. Hier wie da liegen moderate, der Moderne zugewandte Politiker im Clinch mit radikaler gesinnten Traditionalisten.

Politiker und Wähler schlagen sich auf die Seite Macrons

Im Fall der Konservativen ziehen gemäßigte LR-Mitglieder gegen rechtsnationale zu Felde, im Fall der Sozialisten Sozialdemokraten gegen Altlinke. Hier wie da sind moderate Parteigänger versucht, sich auf die Seite des aufstrebenden Erneuerers zu schlagen. Spektakulärste Überläufer sind die Konservativen Edouard Philippe und Bruno Le Maire, die  als Regierungschef beziehungsweise Wirtschaftsminister bei Macron angeheuert haben, sowie der Sozialist Jean-Yves Le Drian, der sich als Chefdiplomat verdingt hat. So mancher sozialdemokratisch und konservativ-liberal gesinnte Wähler tendiert dazu, es den prominenten Überläufern nachzutun, sich auf die Seite Macrons und seiner LRM zu schlagen.