Zum letzten Mal wird in diesem Jahr Stefan Herheims „Parsifal“-Inszenierung in Bayreuth gezeigt. Am 11. August wird sie live in Kinos und auf Arte übertragen.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Bayreuth - Seit einiger Zeit kann sich der fortschrittliche Teil der Menschheit ja, wo er geht und steht, fotografieren – und tut das auch. Quergesellschaftlich, ungehemmt. Auch aus dem Bayreuther Festspielhaus wird gepostet, was das Zeug hält: Schaut mal, wer da schwitzt (und wo!). Insofern und im Hinblick auf die noch steigerbaren Möglichkeiten der Selbstinszenierung hat der Publikumsblick in den riesigen Spiegel, den der Regisseur Stefan Herheim am Ende seiner Inszenierung von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ auf der Szene bereithält, seit der Premiere ein wenig an Wirkung verloren.

 

Tausende von Bayreuth-Besuchern schauen sich da ja plötzlich selber an, wie sie in Bayreuth sitzen, während unten Kundry getauft wird und sich gerade eine Wagner’sche Utopie sehr sanft manifestiert: dass der Mensch, welchen Glaubens auch immer, in einer alle umfassenden Gemeinschaft aufginge. Ein Traum. Deswegen stimmt es eher nicht, wenn irgendwo im Festspielhaus immer jemand flüstert: „Das sind ja wir!“ Wir wären’s nur. Wenn wir den Traum unbedingter hegten. Kollektiver dächten. Durch Mitleid wüssten. Allein . . .

Vor vier Jahren wurde die Inszenierung des „Parsifal“ von Stefan Herheim mehrheitlich als Anfang einer Bayreuther Selbstläuterung begriffen: die tun was in eigener Sache, hieß es, und schließlich wollten die Halbschwestern in der Intendanz, Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier, sämtliche historischen Giftschränke öffnen. Theoretisch stimmt das noch. Aber es ist mit der Wirklichkeit auch ein bisschen so wie mit Herheims Regie. Vieles bleibt an der Oberfläche und wirkt aktionistisch.

Ein leiser Horror geht durchs Festspielhaus

Immer noch hat die Inszenierung einen extrem starken Anfang. Sie verliert keine Zeit, vom Beginn des Vorspiels an wird verrätselt. Im auch später szenisch zentralen Bett nämlich stirbt gleich mal Herzeleide, Parsifals Mutter. Und der Bub, im Matrosenanzug, schaut zu. Der Matrosenanzug bleibt ihm und auch die Erinnerung, nur dauert es noch ein paar Stunden, bis er draufkommt, wie er heißt und wer er ist. Bis auf den Schluss bleiben das die allerbesten Momente des Abends, es geht nämlich ein leiser, heimlicher Horror durch den Festspielraum, und das nicht nur, weil das Schaukelpferd auf der Bühne heftig in Bewegung gerät, obwohl sich keine Hand und kein Windhauch zuvor gerührt hat.

Herheim ist ein Meister in diesen atmosphärischen Dingen. Aber von nun an auch ein Sklave seiner Konzeption, die beinhaltet, dass sein „Parsifal“ irgendwann in der Nachkriegszeit des deutsch- französischen Krieges 1870/71 beginnt, das ganze Kaiserreich durchmisst, um sich dann in den Ersten und Zweiten Weltkrieg zu werfen. Karfreitag wird es schließlich im Milieu der Kohlenklaus vor rauchenden Trümmerlandschaften, ehe sich die Wunde des Amfortas endlich schließt – und zwar im Deutschen Bundestag. Das ist heftig, mit viel Umbau und noch mehr Kostümwechsel verbunden, erntet aber in Bayreuth auch dieses Jahr wieder sehr solide Zustimmung. Weil, wie es jemand sich so schön beim Hügelabwärtsgehen nach der Vorstellung zurechtlegte, „man einfach mal alles gesehen hat“. Hat man?

Es gibt zwei Episoden, die einen schwer am ganzen Projekt zweifeln lassen. Die eine spielt Ende des zweiten Aufzugs, als sich die Dinge in Klingsors Reich zuspitzen. Parsifal muss den Speer fangen, fängt ihn auch, aber länger als zweieinhalb Minuten geht die Sache nicht, da kann man die Übergänge verkünsteln, wie man will. In diese zweieinhalb Minuten pfercht Stefan Herheim bei seinem historischen Parforceritt die Nazizeit. Geschwind werden ein paar Hakenkreuzfahnen hochgezogen, noch geschwinder stiefelt ein SS-Korps von rechts nach links. Dann aber fällt schon der Reichsadler vom Bühnenhimmel und auch das ständig szenisch präsente Haus Wahnfried gerät in Flammen. Gelöscht wird in der Pause. Und dann machen wir weiter mit Musik.

Ein Inszenierung voller historischer Anspielungen

Den direkten Bayreuth-Bezug stellt Herheim im dritten Aufzug her, als er kurz einen knittrigen Programmzettel aus dem Jahre 1951 zeigen lässt. Schriftlich bitten da die Brüder Wolfgang und Wieland Wagner, die beide bei Hitler auf den Schoß gesetzt wurden, darum, politische Gespräche am Grünen Hügel doch tunlichst zu unterlassen. Man wisse schon, gell: es gelte der Kunst! Herheim blendet auf, um im selben Moment wieder zu dimmen.

Im Übrigen hat sich im Werkstattverfahren vor allem viel Routine eingeschliffen bei dieser „Parsifal“-Produktion. Nichts hakt, nichts quietscht, alle Monsterumbauten und Szenenwechsel gehen gleichsam am Schnürchen. Aber es ist dann natürlich auch relativ glatt und leicht wegkonsumierbar, wenn sich erst einmal ein wenig diese „Ja so warn’s, die oiden Rittersleut“-Stimmung breitmacht. Zumal Herheims tiefenpsychologischer Ansatz immer noch ein wenig oberflächlich wirkt. Herzeleide wäre demnach partiell auch Kundry, wie aber auch viel Amfortas in ihr steckt und umgedreht. Alle drei haben, wie Parsifal, rotblonde Haare. Wessen Kind ist er? Aber so genau will es die Inszenierung dann auch nicht wissen. Kundry und Gurnemanz aber möchten es am Ende auf ihre älteren Tage offenbar doch noch richtig miteinander versuchen. Hoffnungsvoll blicken sie an der Rampe in die Zukunft. Der Nächste, der den „Parsifal“ in Bayreuth anpackt, wird der Maler Jonathan Meese sein. Zur Abwechslung mal einer, der wirklich gern mit Hakenkreuzen und Hitler-Assoziationen spielt. Das wird was werden.

Ein neuer Dirigent mit flotten Tempi

Als Dirigent debütiert in Bayreuth heuer der Schweizer Philippe Jordan, ein effizienter Mann, der die Musik, paradox formuliert, beherzt anfasst, ohne es wirklich zu sein. Er hält die Dinge im Fluss, nimmt ein zügiges Tempo auf (der erste Aufzug dauerte eine Stunden und 45 Minuten) und will einen schlanken, durchhörbaren Orchesterklang. Aber die Phrasen sind nicht immer gleich gut geformt, und nach, schwieriger Begriff, Tiefe, sucht man oft vergeblich. Herausragend zwei Wort für Wort verständliche Sänger: Kwangchul Young als Gurnemanz und Detlef Roth (Amfortas). Ein bisschen zu outriert der Klingsor von Thomas Jesatko. Geschmackssache bleiben Kundry (Susan Maclean) und Parsifal (Burkhard Fritz). Beide kämpfen sehr mit ihren Rollen, bei Kundry kann man das mögen. Aufs Ganze gesehen jedoch hat wohl noch nie eine „Parsifal“-Produktion in Bayreuth eine solch massive Zufriedenheit ausgelöst. Viel Gral fürs Geld. Und man kann mal eine Weile hübsch von sich absehen.