Partei unter Druck Das Dilemma der Grünen
Wer regiert, macht sich die Hände schmutzig. Daran kommt die Partei nicht vorbei, kommentiert Reiner Ruf.
Wer regiert, macht sich die Hände schmutzig. Daran kommt die Partei nicht vorbei, kommentiert Reiner Ruf.
Plötzlich stehen die Grünen in der Schmuddelecke. Sie sehen sich unter Verdacht gestellt: dass sie eine Agenda durchdrücken wollen, welche „die Leute“ ablehnen. Dass sie kein Gespür für die „normalen“ Menschen haben. Dass sie immer nur recht haben wollen – und andere Verdächtigungen und Anwürfe mehr. Darunter findet sich manches Wahre: etwa der Befund einer gewissen sozialen Abgehobenheit.
Diese Antistimmung wird aus dem konservativen Lager und deren publizistischem Umfeld angeheizt, was kaum zu kritisieren wäre, wenn dabei nicht mit handfesten Lügen und Unterstellungen gearbeitet würde – wie im bayerischen Landtagswahlkampf – seitens Markus Söders, Hubert Aiwangers und der AfD. In den digitalen Medien tobt ein Mob gegen die Grünen. Dies beiseitegestellt, bleibt die Erkenntnis, dass die Partei auf zwei zentralen Handlungsfeldern quer zum Meinungstrend steht. Das betrifft zum einen Asyl und Migration, zum anderen die Klimapolitik. In beiden Fällen tönt mächtig der Ruf nach Begrenzung. Beide Forderungen berühren den Markenkern der Grünen. Geben sie dem Druck nach, wird dieser Kern zerstört. Beharren sie auf ihren Überzeugungen, müssen sie ihre machtpolitischen Ansprüche in Bund und Land begraben – was im Südwesten darauf hinausliefe, das Ministerpräsidentenamt verloren zu geben. Das ist ein echtes Dilemma. Anders ausgedrückt: Wie sie es anstellen, sie machen es falsch.
Nun besteht in der Migrationsfrage wenig Zweifel, dass nach der Willkommenskultur 2015/2016 und nach der Aufnahme von mehr als einer Million ukrainischen Kriegsflüchtlingen eine Erschöpfung eingetreten ist. Die Argumentationslinien der Begrenzer von Migration sind jedoch keineswegs stringent: Mal wird gefordert, dass Flüchtlinge nicht arbeiten sollen, um keine Anreize zu geben für Nachahmer. Mal sollen diejenigen, die hier sind, doch bitte schön nicht herumlungern, sondern dort anpacken, wo jede Hand gebraucht wird. Was, bitte schön, gilt?
Zur weiteren Verwirrung trägt bei, dass Wirtschaftsverbände und Wissenschaftler vorrechnen, eine starke Zuwanderung sei erforderlich, um den Wohlstand zu wahren. Die Zahlen, mit denen sie hantieren, liegen über der von der Union revitalisierten Marke von 200 000 Migranten. Da ist es doch ratsam, sich um jene Menschen zu kümmern, die schon hier sind. Zumal Hochqualifizierte nicht gerade nach Deutschland drängen.
Gleichwohl ist eine Begrenzung der Aufnahme von Flüchtlingen notwendig. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat auf dem Landesparteitag der Grünen am Wochenende das ausschlaggebende Argument in die Worte gefasst, andernfalls drohe eine Erschütterung der Demokratie. Wohin die affektive, populistische Aufladung von Politik führen kann, bewies der Brexit. Allerdings erwecken die Grünen einen in dieser wichtigen Frage eher unsortierten Eindruck. Das muss sich ändern, wollen sie aus ihrer aktuellen Randlage herausfinden.
Machbar wäre es. Industrie und Handwerk benötigen Arbeitskräfte, und der Klimaschutz ist eine Riesenchance für die hiesigen Unternehmen. In beiden Fällen geht es um Sicherung von Wohlstand und von Zukunft. Damit können die Grünen arbeiten, das schafft Verbündete. Die in Deutschland herrschende, lustvoll ausgelebte Generalverdrossenheit nimmt ja allmählich absurde Züge an. In ihrer Grundaufstellung sind die Grünen nicht Teil des Elends, sondern Teil der Lösung. Dazu gehören allerdings auch Demut und soziale Sensibilität. Die CDU im Südwesten verlor ihre Dominanz, als sie den Menschen nicht mehr zuhörte. Dies sollte den Grünen zu denken geben.