Die Grünen sehen sich als Regierungspartei im Wartestand. Auf dem Parteitag in Bielefeld an diesem Wochenende ist den erfolgreichen Chefs Habeck und Baerbock der Jubel sicher – dabei wird es für die beiden jetzt erst richtig ernst.

Berlin - Bielefeld und die Grünen, das ist eine Sache für sich. Zwanzig Jahre ist es her, dass die Partei in der ostwestfälischen Stadt einen der schwersten Konflikte ihrer Geschichte austrug: Damals war sie gerade als Juniorpartner in die Regierung von SPD-Kanzler Gerhard Schröder eingetreten. Und plötzlich standen die Grünen mit ihrer pazifistischen Grundhaltung vor der Frage, ob sich Deutschland im Zuge des Kosovo-Konflikts an Luftschlägen der Nato gegen Restjugoslawien beteiligen solle. Es ging auch um den Fortbestand der Koalition. Auf einem Sonderparteitag in Bielefeld ging es hoch her, Außenminister Joschka Fischer bekam einen Farbbeutel ab. Am Ende entschied sich die Mehrheit für den Militäreinsatz und damit fürs Weiterregieren.

 

Von Freitag bis Sonntag kommen die Grünen wieder zu einem Parteitag in Bielefeld zusammen. So heftig wie 1999 dürfte es diesmal aber nicht werden. Jetzt geht es darum, sich thematisch möglichst breit aufzustellen und den Weg für weitere Wahlerfolge zu ebnen. Demnächst werden die Grünen in elf Bundesländern in der Regierung sitzen, im Bund betrachten sie sich selbst als Regierungspartei im Wartestand. In den Umfragen sind sie seit Monaten stark, die Zahl der Mitglieder steigt rapide. Es scheint sogar denkbar, dass der nächste Kanzler ein Grüner sein wird. Die Parteiführung um die beiden Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock genießt den Erfolg. Zugleich treibt sie aber die Sorge um, dass dieser nicht von Dauer sein könnte.

Die Landtagswahlen in Thüringen waren ein Warnschuss für die Grünen

Derzeit punkten die Grünen vor allem mit dem Thema Klimaschutz. Aber in einer Konjunkturkrise könnte es damit schnell vorbei sein. Ein Warnschuss waren die Wahlen im ländlich geprägten Thüringen vor drei Wochen, wo die Grünen nur knapp den Wiedereinzug in den Landtag schafften. Die Leute dort scheinen andere Sorgen zu haben als jene in den prosperierenden Groß- und Universitätsstädten der Republik, wo die Partei ihre Hochburgen hat. Die Grünen wollen sich jetzt verstärkt anderen Themen zuwenden. Geschäftsführer Michael Kellner sagt: „Wir arbeiten als Grüne an den Zukunftsfragen der Gesellschaft.“

So werden in Bielefeld neben dem Klimaschutz vor allem die Themen Wohnen, Wirtschaft und Finanzen eine Rolle spielen. In einem Leitantrag des Vorstands werden unter anderem ein Mindestlohn in Höhe von zwölf Euro pro Stunde und gesetzliche Mindesthonorare für Solo-Selbstständige gefordert. Mittelständler sollen einen Rechtsanspruch auf einen schnellen Internetanschluss bekommen. Mit einem Altschuldenfonds sollen Kommunen finanziell entlastet werden. Den chinesischen Mobilfunk-Ausrüster Huawei wollen die Grünen vom Ausbau des 5G-Netzes ausschließen. Gesamteuropäische Infrastrukturprojekte wollen sie mit gemeinsamen Anleihen finanzieren. Für mehr öffentliche Investitionen hierzulande wollen sie die Schuldenbremse behutsam lockern und so dem weiteren Verfall der Infrastruktur entgegenwirken. Überwölbendes Ziel ist es, Wachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.

Recht auf Wohnen soll ins Grundgesetz

„Die Botschaft ist klar: Wir setzen auf die Marktkräfte – aber in einem öko-sozialen Rahmen“, sagt der industriepolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Dieter Janecek. „Wir bekennen uns dazu, dass wir Partner in der Wirtschaft brauchen.“

In einem anderen Leitantrag wird dafür plädiert, ein Recht auf Wohnen ins Grundgesetz aufzunehmen. Die Mietpreisbremse soll dauerhaft im Mietrecht verankert werden, in bestehenden Verträgen wollen die Grünen den Mietanstieg auf maximal drei Prozent pro Jahr deckeln. In den kommenden zehn Jahren wollen die Grünen eine Million neue Sozialwohnungen schaffen, dazu soll der Bund jährlich drei Milliarden Euro investieren. Öffentliche und private Bauherren sollen stärker steuerlich gefördert werden. Die Spekulation mit Wohnungen wollen die Grünen erschweren, Enteignungen werden als „letztes Mittel“ bezeichnet.

Auch Wahlen wird es bei dem Parteitag geben: Am Samstag treten nach knapp zwei Jahren Amtszeit unter anderem die beiden Parteichefs Habeck und Baerbock wieder an. Sie können mit sehr guten Ergebnissen rechnen. Gegenkandidaten gibt es bislang nicht.