Der Streit in der Linken-Führung über die Zuwanderung verdeckt die ideologische Orientierungslosigkeit der Partei, kommentiert Norbert Wallet.

Leipzig - Die Lage der politischen Linken in Deutschland kann niemandem egal sein, der sich um den Zustand der Republik sorgt. Nicht jeder muss deren Politikkonzepte teilen. Aber eine kontinuierliche Selbstverständigung darüber, welche gesellschaftliche Chancen- und Reichtumsverteilung noch als gerecht angesehen werden kann, ist für eine Industriegesellschaft, in der es viel Wohlstand, aber keinen Wohlstand für alle gibt, grundlegend wichtig. Es gibt eine Spanne unterschiedlicher Verteilung, die eine plurale Gesellschaft toleriert. Und es gibt Überschreitungen, die den Zusammenhalt einer Gesellschaft untergraben.

 

Die Frage lebendig zu halten, wie das Oben und das Unten austariert werden, ist die Aufgabe linker Parteien. Es liegt im allgemeinen Interesse, dass ihnen das gelingt. Warum? Wird dieses Gerechtigkeitsthema nicht aufgegriffen oder nicht als Verteilungsfrage behandelt, entsteht ein Vakuum, das von anderen gefüllt wird. Von denen nämlich, die Gerechtigkeit nicht nach dem Oben-Unten-Raster abhandeln, sondern nach dem Muster Drinnen-Draußen, Fremde-Freunde, Nationalstaat-Globalisierung. Das lässt sich derzeit in Deutschland besichtigen. Rechtspoplisten gewinnen an Boden, weil sie die Lebenslüge pflegen, dass „die das draußen“ uns etwas wegnehmen wollen: wahlweise Flüchtlinge, global organisierte Unternehmen oder anonyme Verschwörer.

Wagenknecht in der ideologischen Nähe Donald Trumps

Genau deshalb ist der am Wochenende in der Linkspartei lustvoll zelebrierte Konflikt mehr als ein beliebiger parteiinterner Streit. Sahra Wagenknecht mag mit ihrem Hinweis auf objektive Überforderungen der Gesellschaft in der Flüchtlingsfrage Richtiges treffen. Was aber oft übersehen wird: Im Kern vertritt sie ein nationalstaatliches und nationalökonomisches Modell, als sei die Welt noch in der überschaubaren Bequemlichkeit vorglobalisierter Verhältnisse aufgehoben. Donald Trump tut das auch. Keine sehr behagliche Nachbarschaft. Das am Beispiel der Flüchtlinge von der Linkspartei durchdiskutierte Thema „Abschotten oder offen bleiben“ ist also vielschichtig.

Was also hat der linke Parteitag gebracht? Sicher die öffentlich vorgeführte Erkenntnis, wie tief die Gräben in der Partei sind. Allerdings auch die Einsicht, dass die Partei mit Leidenschaft und Hingabe darüber streitet, wie das Leid von Flüchtlingen in Deutschland und ihren Herkunftsregionen gemildert werden kann. Das gereicht ihr durchaus zur Ehre. Vielleicht scheint auch allmählich die Einsicht zu reifen, wie selbstzerstörerisch der persönliche Zwist des Spitzenpersonals ist. Allem zugrunde liegt dabei nicht der Streit um die Flüchtlingspolitik. Letzter Kern ist die ungeklärte Frage, wie dem Abdriften der urlinken Klientel der sozial Schwachen zur AfD begegnet werden kann. Die Linke hat noch keine gemeinsam geteilte Antwort darauf. Die Sozialdemokratie hat sie auch nicht. Nimmt man gerade das positionslose Dahintreiben der SPD dazu, ist die Lage der deutschen Linken derzeit insgesamt ziemlich lamentabel.