Auf ihrem Parteitag in Dresden zeigt sich die Linkspartei geschlossen wie nie. Sie will die Konkurrenz mit sozialen Themen vor sich her treiben. Da hält sogar Ex-Parteichef Lafontaine still.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Nur einmal wird die Regie energisch. Der Sitzungsleiter muss zu Rap-Musik in foltertauglicher Lautstärke greifen, um die Delegierten von der sonnigen Elbterrasse vor den Fenstern des Kongresszentrums aus der Mittagspause in den Saal zu holen. Sein Lockruf war ungehört verhallt: „Liebe Leute, der Gregor will gleich sprechen. Das könnt Ihr ihm doch wirklich nicht antun!“ Aber natürlich muss der Fraktionschef und Spitzenmann Gregor Gysi dann nicht vor leeren Reihen reden, und natürlich werden ihm am Ende die Ovationen im Stehen entgegengebracht.

 

20 Forderungen hat Gysi formuliert: den Stopp der Bundeswehreinsätze und der Waffenexporte, höhere Löhne, Renten sowie Sozialleistungen, die Gleichstellung von Männern, Frauen und Behinderten – auch dürfe es nicht mehr zu Theaterschließungen kommen. „Wir wollen natürlich noch viel mehr“, sagte Gysi etwas resigniert ob der Vielzahl linker Projekte unter Punkt 21. „Das kann ich aber in meiner Rede nicht mehr unterbringen.“

Die Gefahr der Spaltung ist fürs erste gebannt

Mit einem Füllhorn von Ideen tritt die Linke im Wahlkampf an, und mit der Überzeugung als antikapitalistische Partei ein Alleinstellungsmerkmal zu besitzen. „Dass Merkel ihren Wahlkampf nach sozialem Muster stricken muss, ist unser Verdienst“, sagte Gysi. „Die müssen von uns abschreiben, das ist doch ein Erfolg. Wir müssen sie noch viel weiter treiben.“

Zwischen dem aktuellen und dem vorherigen Parteitag liegen Welten. Vor der Wahl der neuen Führung vor einem Jahr hatte Oskar Lafontaine die Partei mit seinem Wackelkurs in der Frage, ob er den Chefposten erneut anstrebt, an den Rand des Zerbrechens gebracht. Auf dem Delegiertentreffen brachen die innerparteilichen Klüfte so deutlich auf wie nie zuvor. Gysi beschwor angesichts von Hass und üblen Tricksereien in den Auseinandersetzungen die Gefahr der Spaltung, was Lafontaine in Abrede stellte. Nie zuvor war der Riss zwischen den Parteigranden und zwischen den konkurrierenden Strömungen deutlicher geworden. Nach ihrer Wahl war es das Hauptziel der neuen Parteispitze um Katja Kipping und Bernd Riexinger gewesen, Gräben zuzuschütten und Brücken zu bauen. In Dresden konnten die Vorsitzenden nun ihre Ernte einfahren. Beide bekamen nicht nur freundlichen, sondern anerkennenden Applaus dafür, in vielen Telefonkonferenzen, bei Basisbesuchen und Diskursrunden den inneren Frieden in der Partei stabilisiert zu haben. Ein „Gewitterparteitag“ sei das damals in Göttingen gewesen, sagt Gysi jetzt, und dass er selbst auch eine „Gewitterrede“ gehalten habe. Heuer dagegen, so ist die mit vereinten Kräften vorgetragene Botschaft, gibt es bei der Linken weder Blitz noch Donner, sondern klaren Himmel. Lafontaine saß als Delegierter in der ersten Reihe oder führte Gespräche am Rande; ins Geschehen auf der Bühne griff er nicht ein.

Die Hoffnung auf ein rot-rot-grünes Bündnis ist verflogen

„Meinen Respekt habt ihr Euch erarbeitet“, lobte Gysi die beiden Vorsitzenden. Auch die Streitfragen zum Wahlprogramm, das den Titel „100 Prozent sozial“ trägt, konnten im Vorfeld fast zu hundert Prozent ausgeräumt werden. Bei den Debatten um 261 Änderungsanträge gab es so gut wie gar keinen Streit, sondern Stunde um Stunde bemerkenswerte Disziplin.

Riexinger machte in seiner kämpferischen Rede glasklar, wo die Feinde der Linken stehen: nicht im Inneren der Partei, sondern draußen bei der Konkurrenz. Katja Kipping präsentierte die Linke als „Kümmerer-Partei“, die sich nicht mit Verhältnissen abfinden will, bei denen ein normaler Arbeitnehmer 591 Jahre arbeiten müsste, um ein Jahresgehalt des Bundespräsidenten zu erarbeiten; mit Verhältnissen, wo die schwarz-gelbe Bundesregierung mit Unterstützung der rot-grünen Länder die Prozesskostenhilfe kürzt und der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann sich „bei Unternehmerverbänden in Baden-Württemberg für Sozialabbau entschuldigt“. Doch auch wenn die Linke leidenschaftlich ihr Weltbild von sich selbst als einziger sozialer Partei pflegt, hinkt sie ihrem Rekordergebnis von 11,9 Prozent bei der letzten Bundestagswahl deutlich hinterher. In den Umfragen dümpeln die dunkelroten Genossen bei sechs bis neun Prozent. Dennoch hat Gysi ein zweistelliges Wahlergebnis am 22. September als machbar ausgegeben.Abgeschrieben hat die Partei offenbar alle stillen Hoffnungen, dass es zu einem rot-rot-grünen Regierungsbündnis kommen könnte. Jedenfalls hat nicht nur Riexinger, sondern auch Gysi die Latte für Koalitionen sehr hoch gelegt. Nur wenn SPD und Grüne aus der „Konsenssoße“ austräten, betonte Gysi, sei daran auch nur zu denken. Die potenziellen Partner müssten schon für den unverzüglichen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, die Abwicklung der Rente mit 67, eine echte Vermögenssteuer und ein wirklich gerechtes Steuersystem eintreten, damit eine Koalition für die Linke überhaupt in Frage komme. „Wann seid ihr endlich bereit, Euch bei der Bevölkerung für die Agenda 2010 zu entschuldigen?“ fragte Gysi an die SPD gewandt und erntete dafür anerkennende Pfiffe und Jubel der Delegierten.

Schlappen musste der Vorstand nicht einstecken. Bei der Debatte um Lafontaines Euro-Vorschlag (siehe Interview) stieg Riexinger jedoch in den Ring, um eine Niederlage zu verhindern. Die Kompromissformel lautet nun: „Auch wenn die Europäische Währungsunion große Konstruktionsfehler enthält, tritt die Linke nicht für ein Ende des Euro ein.“ Voraussetzung für dessen Fortbestand sei aber ein Ende „der Kürzungspolitik von Troika, Merkel & Co“. Das war der größte Brocken – nach fast 15 Stunden Antragsmarathon wurde das Programm in der Nacht abgesegnet. Nur fünf der etwa 550 Delegierten stimmten dagegen.