2500 Piraten wählen am Wochenende aus zehn Kandidaten einen Vorsitzenden – und streiten weiter über das Parteiprogramm.

Neumünster - Bei anderen Parteien ist all das undenkbar: Nach zwei erfolgreichen Landtagswahlen und mitten im Wahlkampf für zwei weitere Parlamente endet an diesem Wochenende für den Parteichef Sebastian Nerz und seine Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband ihre Amtszeit. Weisband tritt wegen zu hoher zeitlicher und emotionaler Belastung nicht mehr an, auch der Schatzmeister Rene Brosig geht. Nerz würde gerne weitermachen – ob er gewählt wird, steht in den Sternen.

 

Allein zehn Kandidaten stellen sich für das Amt des Vorsitzenden zur Wahl, 42 für den Vorstand. Unter den zehn sind acht Männer und zwei Frauen, drei der Bewerber gehören erst seit Kurzem zur Partei. Mindestens zwei Bewerber sind umstritten: der 60 Jahre alte Dietmar Moews aus Berlin kritisiert gern das „Weltjudentum“ und Carsten Schulz aus Hannover fordert, das Leugnen des Holocaust zu legalisieren. Die Partei gibt ergänzend folgenden Hinweis: „Spontankandidaturen sind möglich und zu erwarten.“ Der Vorstand verspricht „mitreißende Wahlen und viele Überraschungen“. Wer das Rennen macht, ist offen. Nerz tritt erneut an.

Die Halle wird auch zur Schlafstätte

Nach einer Umfrage des Parteimagazins „Flaschenpost“ ist der aussichtsreichste Bewerber der bisherige Stellvertreter Bernd Schlömer. Der Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium hat in Berlin viele Unterstützer. Aus diesem Landesverband stellt sich auch die Politologin Julia Schramm zur Wahl.

Der Parteitag als oberstes Beschlussgremium verfügt nicht über ein Delegiertensystem. Theoretisch könnte jedes der etwa 26 000 Parteimitglieder in Neumünster abstimmen. Praktisch werden etwa 2500 Menschen erwartet. Als der Veranstaltungsort ausgesucht wurde, rechnete keiner mit solch einem Andrang – seit Wochen sind die Hotels in der Stadt ausgebucht, die Halle wird nachts zur Schlafstätte.

„Wir brauchen mehr Flausch“

Tagsüber allerdings wird vermutlich heftig gestritten, zum Beispiel über einen Antrag, künftig die Vorstände zu bezahlen. Bis jetzt wird alle Parteiarbeit ehrenamtlich geleistet – eine Tatsache, die seit dem Blitzerfolg zur Erschöpfung der Führungsriege beiträgt. Da die Piraten sich vom klassischen Bild des „Berufspolitikers“ abgrenzen möchten, ist die Idee einer Aufwandsentschädigung umstritten. Mehr als ein Dutzend weitere Programmanträge wurden eingereicht. Eine Debatte wird darüber erwartet, wie sich die Partei glaubwürdig gegen rechtsextreme Positionen abgrenzen kann, die immer wieder Mitglieder äußern. Den Umfragen zufolge schadet dies bis jetzt nicht: Nach dem ZDF-Politbarometer haben die Piraten bundesweit einen Punkt auf jetzt neun Prozent zugelegt.

Der harte Ton der Auseinandersetzung, der jüngst Schlagzeilen gemacht hatte, wurde nun auch innerhalb der Partei als Problem erkannt. Die „Jungpiraten“ bitten daher in einem offenen Brief: „Wir möchten (. . .) an jeden Teilnehmer (. . .) appellieren, zuerst zu denken und erst dann zu reden. Zudem muss die Kommunikation innerhalb der Piratenpartei rücksichtsvoller und höflicher werden. Auch Diskriminierung, gleich welcher Art, hat bei uns nichts zu suchen. Wir brauchen mehr Flausch!“