Die Lehrergewerkschaft GEW geht wüst mit der grün-roten Koalition ins Gericht. Das schmerzt besonders die SPD, die sich für die Bildungspartei per se hält.

Stuttgart - Dieser Sommer hat die Herzen der baden-württembergischen Sozialdemokraten nicht erwärmt, mochte sich Mütterchen Sonne auch noch so sehr anstrengen. Erst brachte der Vizeministerpräsident und Finanzminister Nils Schmid mit Sparüberlegungen den ländlichen Raum gegen sich auf, dann schwänzte die ohnehin schon unter verschärfter Beobachtung stehende SPD-Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer die Pressekonferenz zum Schuljahresauftakt – ein Delikt, das mangelnden Instinkt verrät, politisch jedoch belanglos erscheint. Aber was die Öffentlichkeit ihren grünen Publikumslieblingen im Zweifel durchgehen lässt, gerät bei der SPD doch sehr schnell zur Staatsaffäre.

 

Das Verfehlen der strukturellen, also langfristig wirksamen Sparziele im Landeshaushalt für die Jahre 2013 und 2014 wurde wiederum Schmid angelastet. Das ist freilich nur die halbe Wahrheit. Jeder, der sich auch nur im Vorübergehen mit den Mechanismen des Regierens beschäftigt, weiß: ohne die Rückendeckung des Ministerpräsidenten steht ein Finanzminister auf verlorenem Posten. Er hat dann die Durchsetzungskraft einer Schlagbohrmaschine ohne Stromanschluss. Beim Sparen haben sich beide, das zeigt das Zahlenwerk, als allzu skrupulös erwiesen – Nils Schmid ebenso wie Winfried Kretschmann.

Abbau von Lehrerstellen: Warum auch nicht?

Immerhin: Grün-Rot beginnt mit dem Stellenabbau bei den Lehrern. Warum auch nicht? Die Schülerzahl sinkt rapide, bei der Lehrer-Schüler-Relation hat sich Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren weit nach vorn gearbeitet. Rein rechnerisch kommt im Südwesten ein Lehrer auf 14 Pennäler. Nur steht nicht jeder Lehrer vor einer Schulklasse, ein erheblicher Teil der Deputate versickert in anderen Aktivitäten. In der öffentlichen Diskussion setzt sich, wenn auch langsam, die Erkenntnis durch, dass weniger Schüler auch weniger Lehrer bedeuten, ohne dass damit jeder Reform gleich die Luft abgeschnürt wird. In anderen Bereichen der Landesverwaltung, in der Wirtschaft sowieso, werden zusätzliche Aufgaben schon lange nicht mehr automatisch mit Personalaufbau beantwortet. Das Gegenteil ist die Regel.

Dennoch bringt just dieser überfällige Paradigmenwechsel nach Jahren einer Hysterie, die jede neue Bildungsstudie mit zusätzlichen Lehrerstellen beantwortete, den Finanzminister in die Bredouille. Denn Schmid ist ja auch SPD-Landesvorsitzender. Die SPD aber ist seit ihren Anfängen eine Bildungspartei. Dass der Schlüssel für den sozialen Aufstieg in der Bildung liegt, musste man Sozialdemokraten noch nie erklären; es ist Teil ihrer Identität.

Die SPD hat ein Trauma aus der Zeit der Großen Koalition

Daher auch die Unruhe, der Zorn und der Frust, der sich in der Partei über den angekündigten Abbau von 11 600 Lehrerstellen bis zum Jahr 2020 entlädt. Anträge für den Landesparteitag an diesem Samstag fordern eine Rückabwicklung dieses Beschlusses. Der innerparteiliche Konflikt weckt ungute Erinnerungen. 1995, zu Zeiten der Großen Koalition unter Erwin Teufel (CDU) und Dieter Spöri (SPD), brachte ein Parteitag in Biberach der damaligen SPD-Führung eine schmerzliche Niederlage bei. Unter Führung von sozialdemokratischen Funktionären der Lehrergewerkschaft GEW wurde gegen den Widerstand der Parteiführung die Forderung nach 8000 neuen Lehrerstellen erhoben. Das Echo war verheerend: nicht regierungsfähig, weil finanzpolitisch nicht seriös – so lautete das Urteil. Der damalige SPD-Landeschef Ulrich Maurer und der Landtagsabgeordnete Norbert Zeller – heute Stabsstellenleiter im Kultusministerium – jammerten hernach, die „einseitige und falsche Beschränkung“ der Bildungsdebatte auf die Forderung nach möglichst vielen Lehrerstellen lenke von der Notwendigkeit ab, eine grundlegende Reform des Schulwesens in Angriff zu nehmen. Ein Jahr später erlitt die SPD eine böse Wahlniederlage.

Die GEW geht wüst mit der grün-roten Koalition ins Gericht

Inzwischen zahlt das Land jedes Jahr 1,8 Milliarden Euro Kreditzinsen. Mit dem Geld ließe sich viel Gutes tun in der Bildungspolitik. Bayern muss wesentlich weniger berappen, weil sich das Land in der Vergangenheit weniger verschuldete. 2011 betrug die bayerische Zinslast knapp 1,2 Milliarden Euro. Solche Überlegungen halten die GEW aber nicht davon ab, wegen des Lehrerstellenabbaus wüst mit der grün-roten Koalition ins Gericht zu gehen. Ganz von ungefähr kommt das nicht. Zu Oppositionszeiten hatten die heutigen Regierungsfraktionen viel versprochen; nun tragen sie schwer daran, alle diese schönen Reformen mit den Haushaltszwängen zu vereinbaren.

Freilich dürfte die GEW auch von organisationspolitischen Interessen geleitet sein. Weniger Lehrer bedeuten weniger GEW-Mitglieder. Aber die Drohung der Gewerkschaftsvorsitzenden Doro Moritz, die Eltern gegen die grün-rote Bildungspolitik zu mobilisieren, könnte ihr noch auf die Füße fallen. Im riesigen Geschäftsbereich des Kultusressorts ging es, anders als in anderen Teilen der Verwaltung und in der Wirtschaft, nie darum, Effizienzreserven zu heben. Es ging eigentlich immer nur um mehr Stellen. Dies entspricht nicht einmal mehr im übrigen öffentlichen Dienst der Lebenswirklichkeit.