Die Alternative für Deutschland wendet sich der sozialen Frage zu. Einige ihrer Spitzenpolitiker wollen sie verbinden mit der Frage nach der deutschen Identität.

Augsburg - Arbeitsparteitage ziehen sich. Sie sind wenig spannend. Regularien, Besetzung von Schiedsgerichten, Satzungsänderungen. Doch auch zunächst unbedeutende Wendungen können Hinweise geben auf Befindlichkeiten und Bauchgefühle der Delegierten.

 

Beispiel Alternative für Deutschland (AfD): Auf ihrem Bundesparteitag am Wochenende in Augsburg wird ein Antrag schon bei der Feststellung der Tagesordnung intensiv diskutiert: Der Bundesvorstand werde aufgefordert, 2019 einen Parteitag zur Sozialpolitik einzuberufen. Auf diesem Politikfeld sei die Partei ziemlich blank, so die Begründung.

Der thüringische Landes- und Fraktionschef Björn Höcke ergreift das Mikrofon. Er plädiert für einen solchen Parteitag, möglichst in Sachsen. Höcke ist nicht irgendwer in dieser Partei. Er ist eine Galionsfigur und ein Vordenker der Rechtsausleger. Wenn Höcke redet, wird zugehört. Die einen spitzen die Ohren, weil er ihr Wortführer ist. Die anderen, weil sie gedankliche Ausflüge auf ein politisches Terrain befürchten, auf dem sich die NPD tummelt.

Zurück zum Nationalstaat

Höcke bekommt seinen Parteitag – gegen den Widerstand von mindestens Teilen des Vorstandes. Das ist ein Signal, denn Höcke will inhaltliche Pflöcke einschlagen. Die würden, gewollt oder ungewollt, dem wirtschaftsliberalen AfD-Flügel heftige Kopfschmerzen bereiten.

Was will Höcke? Für ihn ist die soziale Frage das Kernthema der Zukunft. Gesundheit, Pflege, Rente. Insbesondere für die Ostländer sei das wichtig. Dort wird 2019 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg der Landtag neu gewählt.

Aber sozialpolitische Antworten allein reichen Höcke nicht, zumal es auf diesem Feld mit SPD und Linken Konkurrenten gibt. Höcke will mehr. Er will der AfD ein Alleinstellungsmerkmal verpassen und die soziale Frage mit dem Thema Identität verknüpfen: zurück zum Nationalstaat, gegen den „Bevölkerungsaustausch“ (Parteichef Alexander Gauland), wider die „Dekadenz im Westen Europas“ und den Multilateralismus (Parteichef Jörg Meuthen), für die „Heimatverteidigung“ (Gauland).

Parteichef Meuthen hält wenig von staatlicher Vorsorge

In einem Positionspapier vom April mit dem Titel „Leitkultur, Identität, Patriotismus“ hatte Thüringens AfD-Landtagsfraktion bereits die „wahllose Masseneinwanderung“ aus nicht europäischen Ländern als „in der Hauptsache eine Migration in das deutsche Sozialsystem auf Kosten der Beitrags- und Steuerzahler“ bezeichnet. In konkrete Politik gegossen, kann das für Höcke und Co. nur heißen: Sozialleistungen in der Regel nur für Deutsche. Ähnliche Rezepte hat Europas Rechte längst in anderen Ländern erprobt. So wies Parteichef Meuthen in Augsburg denn auch ausdrücklich darauf hin, dass die Populisten Viktor Orban (Ungarns Regierungschef), Matteo Salvini (Italiens Innenminister) oder Heinz-Christian Strache (Vizekanzler Österreichs) die europäischen Verbündeten der AfD sind.

Allerdings wird der Wirtschaftsprofessor Meuthen das Anliegen Höckes mit zwiespältigen Gefühlen verfolgt haben. Zwar weiß Meuthen um die Bedeutung der sozialen Frage. Aber anders als Höcke ist für ihn staatliche Vorsorge von Übel. So verwandte Meuthen die längste Zeit seiner Rede darauf, den Staat als ineffiziente, gierige Krake zu beschreiben, getragen von „konzeptions- und visionslosen Eliten“. Meuthen will das staatliche Sozialsystem grundsätzlich verändern hin zu privater Vorsorge.

Umstrittene Gauland-Anspielung auf Hitler

Der AfD steht in den kommenden Monaten eine ausgewachsene inhaltliche Auseinandersetzung bevor. Und wie positioniert sich Alexander Gauland, der wie Meuthen Parteichef ist? In Augsburg hat er sich dazu nicht geäußert. Stattdessen hat er erneut mit Anspielungen auf den Nationalsozialismus jongliert: „Deutschland ist derzeit verfeindet mit Russland wegen Putin, mit den Amerikanern wegen Trump, mit den Briten wegen des Brexit. Die Beziehungen zu Polen, Ungarn, Italien und sogar Österreich sind miserabel. Der letzte deutsche Regierungschef, der eine solche Feindkonstellation aufgebracht hat . . .“ – an dieser Stelle brach Gauland bewusst ab. Lebhafte Zustimmung im Saal. Jeder musste annehmen, Gauland vergleiche Kanzlerin Angela Merkel mit Hitler. Und natürlich erfolgte dann Gaulands semantische Belehrung, er habe ja nur verglichen und nicht gleichgesetzt.

Wie gehabt: bewusster Tabubruch und gezielte Provokation. Auch auf Arbeitsparteitagen, die sich ziehen . . .