Was genau die KP beim bevorstehenden Parteitag vor hat, ist sogar den eigenen Kadern schleierhaft. Denn offenbar hat die Parteispitze schon längst entschieden, wie die Posten besetzt werden sollen.

Peking - Die Funktionärin macht sich keine Illusionen. „Ich weiß, dass ich beim Parteitag meine Stimme für Xi Jinping abgeben werde“, sagt die Genossin. „Aber das bedeutet natürlich nicht, dass ich dort wirklichen Einfluss hätte.“ Es ist ein milder Herbstabend in der chinesischen Provinz. In den Bäumen blinken bunte Lichterschlangen. Kellner tragen Blechschüsseln mit scharfen Flusskrebsen auf. Unter der Bedingung, dass ihr Name nicht genannt wird, ist die Lokalpolitikerin bereit zu erzählen, was sie über Chinas geheimnisumrankten Parteitag weiß, der am 8. November in Pekings Großer Halle des Volkes beginnen und eine neue Führungsgeneration um den bisherigen Vizepräsidenten Xi Jinping ins Amt heben soll.

 

„Vor ein paar Monaten habe ich erfahren, dass ich zu den Parteitagsabgeordneten gehören werde“, sagt die Delegierte, die in ihrer Heimatprovinz verschiedene Ämter bekleidet und seit mehreren Jahren im Nationalen Volkskongress sitzt, dem chinesischen Parlament. 2270 Parteimitglieder werden stellvertretend für 1,3 Milliarden Chinesen die Führungsmannschaft wählen. „Das ist eine große Ehre“, meint die Funktionärin. Sollte sie nicht eher von Verantwortung sprechen? Sie lacht. Die Parteispitze habe doch längst entschieden, wie die Posten besetzt werden sollen.

Von den Neuen kenne sie selbst kaum mehr als die Namen und Gesichter. Wahlprogramme oder Grundsatzdiskussionen gibt es nicht. Hundert, höchstens zweihundert Topkader können bei zentralen Entscheidungen mitreden, schätzt die Provinzdelegierte und scheint damit keinerlei Probleme zu haben. Bisher weiß sie selbst noch nicht einmal, wie das Wahlverfahren funktioniert. „Aber das wird man uns erklären, und ich tue dann, was meine Aufgabe ist“, sagt sie. „So läuft das halt in China.“

Kontinuität auf dem Weg zur Weltmacht

Die Staatspropaganda versucht das Kunststück, den Parteitag in Szene zu setzen, ohne den Eindruck entstehen zu lassen, dass dort neue Akzente gesetzt würden. Kontinuität auf dem Weg zur Weltmacht ist das einzige Wahlversprechen. Dabei erwarten den designierten Staats- und Parteichef Xi Jinping und seinen innersten Machtzirkel Herausforderungen, die mit den Rezepten ihrer Vorgänger kaum zu lösen sind. Wird es der mittlerweile zweitgrößten Volkswirtschaft gelingen, nach drei Jahrzehnten des ungestümen Booms ein neues Wachstumsmodell zu finden, das nachhaltiger und sozialer ist? Wie kann die Partei die bisher ungelösten Probleme der Korruption, Umweltverschmutzung und wachsenden Ungleichheit in den Griff bekommen? Und welche Rolle will China mit seiner zunehmenden politischen und militärischen Macht auf der internationalen Bühne spielen? Antworten, die über die vagen Vorgaben des im vergangenen Jahr verabschiedeten 12. Fünfjahresplans hinausgehen, sucht man vergebens.

Aber wer sucht schon danach? Es ist schwer, außerhalb von Pekings politischen Zirkeln überhaupt Menschen zu finden, die sich für das Ereignis interessieren. „Mit mir hat das alles nichts zu tun“, sagt Wen Chunyuan, ein 36-jähriger Pekinger Versicherungsangestellter. „Politik beschäftigt mich nur, wenn ich auf dem Weg zur Arbeit plötzlich Straßensperren vorfinde. Dann weiß ich, dass wieder irgendeine Versammlung stattfindet.“ Tan Jia, ein 21-jähriger Student aus dem zentralchinesischen Hefei, kann weder mit seinem künftigen Präsidenten Xi noch mit dem designierten Regierungschef Li Keqiang etwas in Verbindung bringen. „Ich weiß absolut nichts über sie, und sie interessieren mich auch nicht“, sagt er. Selbst der Pekinger Politikwissenschaftler Zhang Ming tut sich mit einer Einschätzung schwer. „Wir wissen zu wenig über die internen Vorgänge, um beurteilen zu können, was der Führungswechsel für Auswirkungen haben wird“, sagt der Professor der renommierten Volksuniversität. „Es ist nicht leicht, sich dazu eine Meinung zu bilden.“

Derartige Politikverdrossenheit könnte durchaus gewollt sein. Die Partei hat keinerlei Interesse, das politische Engagement ihres Volkes zu fördern. „Der Parteitag soll vor allem Harmonie und Geschlossenheit demonstrieren“, sagt Hu Xingdou, politischer Kommentator und Ökonom an der Pekinger Hochschule für Technologie. Die Schlagzeilen der vergangenen Monate waren da nicht gerade förderlich. Erst stürzte der für einen Top-Posten gesetzte Chongqinger Parteichef Bo Xilai. Dann verlor der scheidende Staatschef Hu Jintao Ende August in der entscheidenden Phase des Postengeschachers seinen engsten Vertrauten, Ling Jihua, nachdem dessen Sohn unter mysteriösen Umständen am Steuer eines Ferrari ums Leben gekommen war. Eine maßgebliche Rolle soll dabei Ex-Präsident Jiang Zemin gespielt haben, der auch zehn Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit hinter den Kulissen noch immer großen Einfluss auszuüben scheint.

Die Abgeordnete aus der Provinz weiß darüber nicht mehr als andere Chinesen. Ihre Informationen bezieht sie aus dem Internet. „Politiker trauen sich untereinander kaum, über diese Sachen zu sprechen“, sagt sie. „Es macht auch keinen Unterschied.“ Von ihr wird nur ihre Stimme verlangt, die Wahl fällen andere.