Als Hauptredner beim Parteitag der baden-württembergischen Links-Partei in Stuttgart hat Oskar Lafontaine seine geknickten Parteifreunde wieder etwas aufgerichtet.

Stuttgart - Dieses verdammte Wort „eigentlich“. Eigentlich müsste die Linke von Triumph zu Triumph eilen. Die Krise des Finanzkapitalismus mündete umstandslos in die europäische Schuldenkrise, doch ausgerechnet die Partei, die den Kapitalismus überwinden will, dümpelt traurig vor sich hin. Da half nicht einmal das laute Aufstöhnen des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher, der im Feuilleton seiner Zeitung verzweifelt bekannte: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat.“ In den baden-württembergischen Landtag hat es die Partei dennoch nicht geschafft, und für die kommenden Wahlen in Nordrhein-Westfalen sowie in Schleswig-Holstein sieht es auch eher mau aus. Dafür reden alle von den Piraten.

 

So ist die Lage, und die hat die Linke auf ihrem Landesparteitag am Wochenende in Stuttgart ziemlich ratlos aussehen lassen. Vorstandssprecher Bernd Riexinger und seine Kollegin Sybille Stamm versuchten es zu Beginn des Parteitags mit Durchhalteparolen. Stamm erkannte in der Linken eine „frische Partei“, die zwar derzeit im „heftigen Gegenwind“ stehe, aber mit dem nötigen „langen Atem“ werde schon alles gut. Riexinger erwähnte die kläglich verlorene Landtagswahl nur ein einziges Mal, und auch dann lediglich, um zu sagen, dass die Linke als Partei der sozial Schwachen dringend nötig sei. Was aber, wenn die Wähler das anders sehen?

Diese Frage treibt auch Oskar Lafontaine um. Der war anstelle der ursprünglich angekündigten stellvertretenden Parteichefin Sahra Wagenknecht eingesprungen, von der Lafontaine sagte, sie sei erkältet. Der nach überstandener Krebserkrankung wieder abenteuerlustige Politiker erklärte die Linke zunächst zum Opfer einer Medienkampagne, die darauf abziele, die Partei als überflüssig zu erklären. Dabei, so Lafontaine, sei die Linke das wahre Sprachrohr aller Unterdrückten.

Lafontaine sieht die Partei als Opfer einer Medienkampagne

Sodann warf er die Frage auf: „Ja, warum profitiert die Linke nicht von der Krise?“, um darauf zu antworten, solange die Menschen den größten Teil ihres Alltags in autoritären Strukturen eingebunden seien, könnten sie nicht das nötige Bewusstsein ausbilden, um ihre Rechte einzufordern. Das war nun allerdings eine problematische Auskunft, deren nüchterner Kern in der Ansicht liegt, die Leute seien zu dumm, um die zur Verbesserung ihrer Lage nötigen politischen Konsequenzen zu ziehen. Diese Denkfigur hat eine unselige Tradition in der politischen Geschichte; sie wurde sowohl auf der rechten wie auch auf der linken Seite zur Eigenlegitimierung benutzt, von den einen für einen patriarchalisch-reaktionären, von den anderen für einen revolutionären Autoritarismus.

Mit den autoritären Strukturen zielte Lafontaine auf die sich krebsartig verbreitenden prekären Beschäftigungsverhältnisse, die er „modernes Sklaventum“ nannte. In der Sache findet diese Sicht Zustimmung bis in die CDU hinein. Zu den Piraten fiel Lafontaine allerdings auch nicht viel mehr ein, als seinerseits den Zugang zum Internet zu einer Art Grundrecht zu erklären, das auch Hartz-IV-Empfängern zustehe, notfalls „mit staatlicher Alimentation“. Den „Schlüssel für das Aufkommen der Piraten“ erkennt er darin, dass die Menschen „merken, da stimmt etwas nicht mit der Gesellschaft“, weshalb sie sich „neu aufkommenden Bewegungen zuwenden“.

Warum interessieren sich die Wähler mehr für die Piraten?

An dieser Bewertung ist richtig, dass die Linke keine neue Bewegung mehr ist. Aber ob das reicht, um zu erklären, weshalb die Leute sich eher für die Piraten interessieren? Ulrich Maurer, Fraktionsvize im Bundestag, hatte da eine befriedigendere Erklärung. Parteien würden wegen ihrer Inhalte, aber auch wegen ihrer Funktion gewählt, sagte Maurer am Rande des Parteitags. Weil aber SPD und Grüne zumindest im Westen bisher Koalitionen mit der Linken verweigerten, entfalle das funktionelle Argument, die Linke zu wählen.

Lafontaines rhetorisch forcierte Rede wurde im Stuttgarter Gewerkschaftshaus durchaus auch als Bewerbungsrede für den Parteivorsitz verstanden, der nach dem Rückzug von Gesine Lötzsch von allerlei Spekulationen umrankt wird. Der 68-jährige Lafontaine, der die Linke bereits von 2007 bis 2010 führte, wollte sich dazu nicht äußern. Seine Partei warnte er vor „endlosen Personalquatschereien“. Bis zu den Landtagswahlen, so heißt es in der Partei, komme in dieses Thema keine Bewegung.