Der Bezirksbeirat bereitet eine Partnerschaft nach Istanbul vor. Die Anfänge sind zäh: Ein Besuch der Bezirksvorsteherin in der Türkei ist im Rathaus nicht erwünscht.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Die Delegation aus Stuttgarts Mitte wird passend zu einem Termin großer Politik in Istanbul angekommen. Am 5. November hat die Europäische Union die Verhandlungen mit der türkischen Regierung wieder aufgenommen, um den Beitritt zur Union vorzubereiten. Vier Tage später fliegt eine Abordnung von Bezirksbeiräten nach Istanbul, um eine Partnerschaft zwischen dem Stadtteil Kadiköy und dem Stadtbezirk Stuttgart-Mitte vorzubereiten.

 

Dieser Zusammenschluss beginnt, wie der zwischen der Türkei und dem Rest Europas begonnen hat: zäh. Zwei der Eingeladenen sind gleichsam wieder ausgeladen worden: die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle und Detlev Kron, der Leiter des Stadtplanungsamts. Deren Teilnahme ist unerwünscht – nicht von türkischer Seite, sondern im Stuttgarter Rathaus. Gemäß einem Beschluss des Gemeinderats will Stuttgart keine weitere Partnerstadt. Partnerschaften zwischen Stadtteilen sind deswegen zwar nicht ausgeschlossen. Allerdings „soll der Eindruck eines offiziellen Charakters vermieden werden“, sagt der Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle.

Die Teilnahme von Rathausmitarbeitern ist unerwünscht

Mithin ist die Teilnahme von Rathausmitarbeitern unerwünscht. Zwar ist Kienzle Bezirksvorsteherin im Ehrenamt, dennoch gilt für sie Gleiches. Wölfle hat ihren Reiseantrag abgelehnt, „damit keine Erwartungen geweckt werden, die man nicht halten kann“, sagt er. „Das wäre schade.“ Nicht, dass er etwas gegen freundschaftliche Beziehungen nach Istanbul hätte. Er war selbst schon mehrmals zu Gast in jenem Stadtteil Kadiköy, aber letztlich gibt es für eine solche Partnerschaft keinen Etat.

Im Bezirksbeirat erregt die Entscheidung Überraschung bis Unmut. Überraschung nicht zuletzt, weil Kienzle und Wölfle langjährige Parteifreunde sind. Beide gehören sie den Grünen an. Unmut, weil die Lokalpolitiker seit zwei Jahren über ihren Partnerschaftswunsch sprechen. Im Frühjahr fiel die endgültige Entscheidung – einstimmig. Seitdem wird jene Reise vorbereitet. „Wir sind enttäuscht und sauer“, sagt der Sozialdemokrat Manuel Krauß. Enttäuscht über die Entscheidung, sauer darüber, wie und wann sie mitgeteilt wurde.

Kienzles Reiseantrag ist bis heute unbeantwortet. Die Absage bekam sie mündlich „zehn Tage vor der Reise“, sagt Krauß, Sofern die Partnerschaft unerwünscht ist, „hätte spätestens nach dem einstimmigen Beschluss ein Veto kommen müssen“. Wölfles Entscheidung „ist bedauerlich“, sagt Annegret Breitenbücher von den Grünen. „Zu einem Austausch gehören eben Reisen.“ Am schwersten trifft die Absage selbstverständlich den Reiseorganisator Ersin Ugursal. „Die Herren im Rathaus haben plötzlich etwas dagegen“, sagt er. „Eine Absage in letzter Minute finde ich unfair.“

Plieningen hat jahrelang unbeirrt eine Partnerschaft vorbereitet

Zumal die Begründung befremdet. 2009 hatte Edgar Hemmerich, damals Bezirksvorsteher von Plieningen und Birkach, eine Partnerschaft mit Gaziemir begonnen, einem Stadtteil von Izmir. Bürgermeister, Stadträte, Beamte aus der Türkei reisten an. Stets betreute sie der Bezirksvorsteher selbst. Zweimal reisten im Gegenzug Delegationen nach Izmir – mit Hemmerich an der Spitze. Kritik daran gab es nie.

Kienzle selbst mag die Absage nur knapp kommentieren. „Ich finde es sehr schade“, sagt sie. „Der Bezirksbeirat arbeitet seit 2011 an einem Austausch, und die Verwaltung war über alle Beschlüsse informiert.“

Neben Ugursal ist der Christdemokrat Michael Scharpf die treibende Kraft auf dem Weg zu einer Partnerschaft. „Ich bin völlig entspannt“, sagt er. Sein Vorbild ist der Berliner Zwillings-Stadtbezirk Kreuzberg-Friedrichshain. Der pflegt seit Jahren Kontakte eben nach Kadiköy. Dies unabhängig vom Rathaus mit Hilfe eines eigens gegründeten Vereins. Nach diesem Beispiel „reisen wir jetzt eben nach Kadiköy und bereiten das vor“, sagt Scharpf.

Dies mit Bezirksbeiräten der CDU, der SPD und der FDP. Womit die mit Abstand größte Fraktion fehlt: die Grünen.