Partyexzesse, Ruhestörung und Müll Andere Städte, ähnliche Probleme wie in Stuttgart

Nicht jede Party verlief zuletzt in Stuttgart völlig friedlich. Foto: 7aktuell.de/Simon Adomat

Die Krawallnacht im Juni 2020 in Stuttgart war ein Extremfall. Dass nächtliche Partys aus dem Ruder laufen, ist aber kein Stuttgarter Phänomen. Das zeigt der Blick nach München, Heidelberg, Freiburg, Berlin und Frankfurt.

Stuttgart - Nächtliche Unruhen und Partyexzesse waren in Stuttgart zuletzt ein dominierendes Thema. Wie ist die Situation eigentlich in anderen Städten? Mit Hilfe unserer Korrespondenten haben wir den Blick über Stuttgart hinausgerichtet.

 

München – das Viertel der Glasscherben

Jedes Wochenende ist auf der Türkenstraße im Münchner Uni-Viertel nächtliche Party angesagt und entsprechend groß das Polizeiaufgebot. Bis zu 1000 hauptsächlich ältere Schüler und junge Studierende machen das, wozu sie in den langen Lockdown- und Sperrstunden-Monaten nicht gekommen sind: feiern. Mal wurde die Straße abgesperrt, damit nicht noch mehr Menschen rein drängen. Mal wurde sie geräumt – mit mäßigem Erfolg, die Leute zogen in die nächsten Straßenzüge. In München gibt es einige solcher Hotspots, die Stadt versucht, angemessen darauf zu reagieren. Am Gärtnerplatz etwa herrscht Alkoholverbot. In die Türkenstraße – als neues Glasscherbenviertel tituliert – dürfen keine Glasflaschen mehr mitgebracht werden.

Dass das Feiern in einen Gewaltexzess umschlagen kann, hatte sich vor sieben Wochen im Englischen Garten gezeigt: Die Polizei wollte ein Sexualdelikt an einer 14-Jährigen aufklären, als sich Jugendliche gegen die Beamten solidarisierten. Die Polizisten wurden mit Bierflaschen beworfen, 19 Beamte erlitten Verletzungen. Seitdem ist Ähnliches nicht mehr vorgefallen.

Mehr Platz und damit mehr Sicherheit schaffen – das ist Ziel des Vorschlags, an Wochenenden die Ludwigstraße bis zum Siegestor für Autos zu sperren. Die Stadtverwaltung spricht von „Entzerrung“. Gastronomen meinen, dass die Öffnung von Clubs unter Corona-Auflagen die Leute von der Straße bringen würden. Da bleibt Bayern aber restriktiv: Clubs haben weiter keine Öffnungsperspektive. Vandalismus? Gibt es kaum. Müll? Ja, zuhauf. Die Anwohner in den Partyzonen arrangieren sich damit. Sie wissen, dass sie nicht in Alleinlage am Starnberger See wohnen.

Heidelberg – Katz und Maus mit der Polizei

In der Heidelberger Altstadt und auf der Neuenheimer Neckarwiese sorgen feiernde Jugendliche seit Jahren für Probleme. „Heidelberg hat traditionell eine große Anziehungskraft, die Leute kommen aus dem ganzen Umland und auch aus dem Raum Karlsruhe“, erklärt Christopher Weselek, Sprecher des Polizeipräsidiums Mannheim. Bei schönem Wetter sind da schnell tausend und mehr Leute zusammen und machen lautstark Party bis in den Morgen. „Das ist bei uns nichts Neues, das gibt es nicht erst seit Corona“, sagt Timm Herre, Pressesprecher der Stadt. „Neu ist allerdings, dass es immer öfter Events gibt, bei denen die Grundstimmung nicht mehr gesund ist“, meint er. „Da kommt es zu Katz- und Mausspielen mit der Polizei, eine kleine Klientel prägt das Geschehen mit Lust an Konflikten, Provokationen und einer gewissen Gewaltbereitschaft“.

Ein erster trauriger Höhepunkt war das Pfingstwochenende. Da wurden Polizeibeamte, die auf der Neckarwiese weit nach Mitternacht wegen lauter Musik einschreiten wollten, mit Flaschen beworfen und verletzt; ein Kiosk, ein Corona-Testzelt und Parkbänke wurden beschädigt. Seitdem ist die Polizei Woche für Woche im Einsatz und hält sich mit starken Kräften im Hintergrund bereit. „Oft ist es ein ganz schmaler Grat zwischen Feiern und Randale, aber wir wollen rasch vor Ort sein, wenn die Stimmung kippt“, erklärt Weselek. Die letzten größeren Zwischenfälle gab es Ende Juni, als etwa 100 der gut 1500 Besucher der Neckarwiese Feuerwerkskörper zündeten, Schmährufe gegen die Polizei skandierten und anschließend bis zum frühen Morgen die Altstadt unsicher machen.

Um Auswüchse einzudämmen, hat die Stadt eine Überarbeitung der seit 40 Jahren geltenden Satzung für das Neckarvorland eingeleitet. Damit sollen die Nachtruhe, die Nutzung von Musikanlagen, und der Aufenthalt von Gruppen strenger reguliert werden. Mitte Juni hat die Stadtverwaltung zudem nächtliche Alkoholverkaufs- und Konsumverbote für Teile der Stadt und die Neckarwiese erlassen, die noch bis zum Ende der Fußball-EM gelten sollen.

Freiburg – der heißeste Platz der Stadt

Der neue Hotspot für vergnügungswilliges Publikum in lauen Sommernächten in Freiburg ist der Platz der Alten Synagoge, zentral gelegen zwischen Stadttheater und Universität. Der weitgehend gepflasterte Platz heißt so, weil dort das Gotteshaus der jüdischen Gemeinde stand, bis es von den Nazis in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 angezündet wurde. In diesem Sommer haben die nächtlichen Massenversammlungen unschöne und zum Teil gewalttätige Ausmaße angenommen. Es gab fortwährende Ruhestörungen, eine Messerattacke und zwei sexuelle Übergriffe. Aus der Menge von gut 1000 Personen flogen Flaschen gegen die aufmarschierte Polizei, der Platz musste geräumt werden. Die Vermüllung der Innenstadt hat sprunghaft zugenommen. Rund vier Kubikmeter kommen pro Nacht auf dem zentralen Platz zusammen. Die Mülltonnen am Rande sind meist halb leer.

Glasscherben, Pizzakartons und Scherben, Urin und Kot an den Wänden sind die unschönen Seiten des nächtlichen Auflaufes, der bis weit ins ländliche Umland Zulauf bekommt. Die Clubs und Diskotheken haben nach wie vor geschlossen, Party wird – mit viel Alkohol – im Freien gemacht. Die Stadt Freiburg hat mit einem Glasverbot für zwei Wochen auf dem Synagogenplatz reagiert. Ein weiterer Platz jenseits des Hauptbahnhofs wurde wegen der Schließung eines Nachladens zu einem weiteren Unruheherd.

Alkoholverbot und Polizeipräsenz haben bisher wenig Wirkung erzielt, das Publikum weicht auf andere Straßen und Plätze aus. Die Stadtverwaltung hat inzwischen eine Projektgruppe eingerichtet, in der ein Gesamtpaket von Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der kommunalen Kriminalprävention ausgearbeitet werden soll. Ehrenamtliche Helfer sollen am Wochenende unter dem Motto Aktion „Chill out and keep clean“ Papiertüten für den Abfall verteilen. Zudem wollten die Jugendorganisationen der Freiburger Parteien diese Woche in einen Dialog mit Platzbesuchern treten und deren Wünsche und Forderungen notieren. Insgeheim wird auf Regenwetter am Wochenende spekuliert.

Berlin – Partys in den Parks

Auch in der Hauptstadt sind die Straßen und Parks in den Sommermonaten ein beliebter Treffpunkt. Bereits im vergangenen Jahr mussten aufgrund der Coronapandemie viele Veranstaltungsorte schließen. Daher habe sich bereits 2020 die sogenannte Berliner Partyszene in die Parks und Grünanlagen der Stadtverlagert, erklärt eine Sprecherin der Berliner Polizei. Diese „Ersatzflächen“ würden nach wie vor überwiegend von jungen Menschen und Touristen genutzt. In den vergangenen Wochen kam es immer wieder zu Einsätzen der Polizei, weil große Gruppen im Freien feierten und dabei Kontaktbeschränkungen, Hygieneauflagen und den Lärmschutz ignorierten. Vor allem in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni kam es zu Konflikten. Rund 1500 Menschen trafen sich im Mauerpark an der Grenze der Berliner Ortsteile Prenzlauer Berg und Gesundbrunnen. Nach Beschwerden von Anwohnern über den Krach in der dicht besiedelten Gegend kam die Polizei und versuchte, die Lage zu beruhigen. Dabei seien Beamte angegriffen und mit Flaschen beworfen worden, so die Polizeisprecherin.

Im James-Simon-Park und benachbarten Monbijoupark nahe der Museumsinsel in Berlin-Mitte war ebenfalls einiges los. Laut Polizei feierten dort kurz vor Mitternacht rund 2000 Menschen. Und im Bürgerpark Pankow trafen sich rund 200 Menschen. Da es auch hier zu Gewalt kam, räumten die Polizisten die Grünfläche. Ebenso den Park Hasenheide im Szenebezirk Neukölln, weil sich dort größere Gruppen aufhielten, laute Musik hörten und die Hygieneregeln missachteten.

„Wir haben Verständnis für laue Sommerabende in einladenden Parks, aber nicht für Gruppen, die Einsatzkräfte angreifen und mit Flaschen bewerfen, wenn die den Anwohnenden ihre berechtigte Ruhe verschaffen wollen“, twitterte die Berliner Polizei am Tag nach den Partys.

Vergleichbar mit den aufsehenerregenden Vorgängen in Stuttgart sei die Situation in der Hauptstadt allerdings nicht, sagt die Polizeisprecherin: „Krawalle wurden durch die Polizei Berlin bislang nicht verzeichnet.“ In der Regel würde es ausreichen, wenn die Polizeibeamten die Gruppen darum bitten, den Platz zu verlassen.

Frankfurt – die Randale liegt ein Jahr zurück

Wildpinkeln in Vorgärten, Müllberge am Mainufer und in den Parks: Auch in Frankfurt hat die Rückkehr des öffentlichen Lebens nicht nur schöne Seiten. Immerhin aber ist der Start in den Sommer friedlich verlaufen. Randale gab es vor knapp einem Jahr: An einem heißen Juli-Wochenende kam es zu einer Schlägerei auf dem Opernplatz. Als die Polizei einschritt, wurden die Beamten mit Flaschen beworfen, fünf von ihnen wurden verletzt. Auch eine Bushaltestelle wurde demoliert. 39 „Störer“ wurden vorübergehend festgenommen, angeklagt wurden sieben junge Männer.

Wenn die Schäden auch geringer waren, so gab es doch Parallelen zur Stuttgarter Krawallnacht im Juni 2020. Auch auf dem Opernplatz in Frankfurt hatten sich zahlreiche junge Leute zum Trinken und Feiern versammelt; an den Ausschreitungen waren nach Polizeiangaben viele junge Männer mit ausländischen Wurzeln beteiligt. Das Publikum auf dem Opernplatz war angesichts der Corona-Einschränkungen offenbar ein ganz anderes als in früheren Jahren – normalerweise ziehen dort Weinfeste und Open-Air-Konzerte eher zahlungskräftige Besucher an. Nach dem Gewaltausbruch ließ die Stadt den Opernplatz einige Wochenenden lang ab ein Uhr nachts sperren. Schon vor Mitternacht rückte zudem die Stadtreinigung an. Größere Auseinandersetzungen mit der Polizei hat es seitdem nur am 1. Mai gegeben, bei einer Demonstration linker Gruppen. Nach Polizeiangaben wurden die Einsatzkräfte bei der Kundgebung mit Flaschen, Steinen und Pyrotechnik angegriffen. Die Veranstalter warfen wiederum der Polizei vor, mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen Demonstranten vorgegangen zu sein.

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