In Weissach im Tal gibt es seit drei Jahren ein sehr erfolgreiches Patensystem: Jede Flüchtlingsfamilie bekommt einen Ehrenamtlichen an die Seite gestellt. Die Paten unterstützen ihre Schützlinge bei allen Fragen des (deutschen) Alltags.

Weissach im Tal - „Wenn es mir nicht gut geht, wenn es meinen Kindern nicht gut geht, wenn irgendetwas schief geht, dann ist Heike da. Sie ist wie meine Mum“, sagt Edith Ebhorhon und lächelt. Die junge Frau aus Nigeria lebt seit einigen Monaten in Weissach im Tal. Sie spricht sehr gut Englisch, Heike Kaupp spricht kaum Englisch – und trotzdem verstehen sich die beiden Frauen so gut, dass sie sich mittlerweile als Freundinnen sehen. „Jede Patenschaft ist anders, und jede Patenschaft ist auf ihre Art schön“, sagt Heike Kaupp, die sich im Weissacher Patenprojekt engagiert. Dieses Modell zur direkten Begleitung von Flüchtlingen wurde vor kurzem beim landesweiten Wettbewerb „Leuchttürme der Bürgerbeteiligung“ mit einem zweiten Preis bedacht.

 

Die ersten Paten leisteten Pionierarbeit

Vor drei Jahren, kurz bevor die ersten Flüchtlingsfamilien nach Weissach im Tal kamen, hatte sich die Gemeinde dieses Modell überlegt. „Wir wollten, dass jede Familie gleich beim Einzug in die Unterkunft eine Vertrauensperson an die Seite bekommt“, erzählt Jennifer Reinert, die als hauptamtliche Ansprechpartnerin im Rathaus fungiert. Die Ehrenamtlichen sollten den Flüchtlingen zeigen, wo man am besten einkauft, wie man ein Konto eröffnet, wo der Bus abfährt und was zu tun ist, wenn jemand aus der Familie krank ist. Die ersten Paten leisteten dabei wahre Pionierarbeit – mittlerweile wurde ein Leitfaden ausgearbeitet.

Eine Herausforderung für die Paten war und ist nicht nur die Bürokratie – hinzu kommen die sprachlichen Barrieren und die unterschiedlichen Kulturen. „Das fängt bei der Mülltrennung an und hört bei der Diskussion auf, ob Mädchen alleine mit dem Bus fahren dürfen“, sagt Lucia Stetter, eine weitere Patin.

Kein Flüchtling fällt durch den Raster

Insgesamt wurden mittlerweile 150 Flüchtlinge betreut, zurzeit sind 25 Paten aktiv. Nicht bei allen hat das Modell funktioniert. „Die Harmonie muss stimmen. Wenn man keine Basis findet, ist es besser, die Patenschaft zu beenden“, sagt Jennifer Reinert. Doch im großen Ganzen ist das Projekt eine Erfolgsgeschichte. „Dadurch fällt kein Flüchtling durch das Raster, jeder hat die gleichen Chancen. Das ist etwas ganz anderes, als wenn ein Sozialarbeiter wenige Stunden vor Ort ist“, sagt Heidi Josua, die sich mit ihren Arabisch-Kenntnissen eingebracht hat. Zudem bekämen die Paten Konflikte zwischen Familien gleich mit, „bevor diese eskalieren“. Durch das Projekt ist es sogar gelungen, fünf minderjährige Flüchtlinge aus Syrien zu versorgen. „Die Jungs waren verwahrlost, als sie ankamen. Wir waren ab dem ersten Tag für sie da“, sagt Heidi Josua, die das Modell für unschlagbar hält: „Die Paten sind die ersten Deutschen aus der Zivilbevölkerung, zu denen die Flüchtlinge eine Beziehung aufbauen können.“

Das Engagement der Paten verleiht Autorität

Durch ihr Engagement würden sich die Paten zudem eine gewisse Autorität erarbeiten. „Sie wissen, dass ich ihnen helfe. Und deswegen kann ich ihnen auch Werte wie Pünktlichkeit vermitteln“, sagt Lucia Stetter. Ihr ist es wichtig, dass die Schützlinge immer eigenständiger werden. „Ich helfe ihnen, ein Formular auszufüllen. Dann kopiere ich es, und beim nächsten Mal sollen sie es allein machen“, erzählt sie.

Schließlich ist es durch das Projekt und die Vernetzung zwischen den Paten auch gelungen, den Flüchtlingen das Ankommen im Ort zu erleichtern. Hacer Kasakolu ist mit ihrer kleinen Tochter inzwischen in einer Krabbelgruppe. „Da komme ich in meinem Alter nicht mehr drauf. Aber den Tipp habe ich vom Rathaus bekommen“, sagt Lucia Stetter, ihre Patin.

Sie hat zudem das Gefühl, dass sich durch das Projekt in Weissach im Tal etwas verändert hat: „Von dieser anfänglichen emotionalen Ablehnung bekommt man nichts mehr mit.“ Bestätigung kommt auch von anderer Seite: Vergangene Woche hat der Gemeinderat Leitlinien zur Flüchtlingsarbeit verabschiedet, mit dem Patenmodell als zentralem Bestandteil. „Das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, sagt Jennifer Reinert.

Vorbildliche Bürgerprojekte

Wettbewerb
: Der Staatsanzeiger hat bereits zum dritten Mal den Wettbewerb „Leuchttürme der Bürgerbeteiligung“ ausgelobt. Vor fünf Jahren war dieser als erster landesweiter Wettbewerb zur Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg ausgerufen worden. Bei der dritten Auflage 2016/2017 lag der Schwerpunkt auf dem Thema Integration. 83 Projekte haben daran teilgenommen, verteilt auf fünf Kategorien (je nach Größe der Gemeinde). Zum einen konnten die Leser online über die Projekte abstimmen, zum anderen hat eine Bürgerjury die Bewerber bewertet.

Gewinner:
Das Patenprojekt aus Weissach im Tal hat in der Kategorie 2 den zweiten Platz erreicht, zudem gehören Projekte aus Ostfildern und Esslingen zu den Preisträgern.